Was ist

Sensation! Google kann jetzt auf Wunsch das Netz durchsuchen und Links anzeigen. Keine Snippets, keine gesponserten Produkte, einfach nur simple, blaue Links. Noch ist die Funktion etwas versteckt, aber bald könnte der neue Web-Filter prominent angezeigt werden.

Okay, kleiner Scherz. Was 404 Media als „Revolutionary New Google Feature“ anpreist, ist letztlich nur ein Opt-out-Button für alles, was Google in den vergangenen Jahren an der klassischen Suche verändert hat (The Verge). Neben den Filtern für Videos, Bilder und News taucht jetzt ein Web-Tab auf, der die Ergebnisliste von allem Ballast befreit.

Vor allem ist der Web-Filter die einzige Möglichkeit, Googles neuen KI-Überblick zu umgehen. Auf viele Suchanfragen wird Google an oberster Stelle KI-generierte Antworten anzeigen. Erst danach folgen die normalen Suchergebnisse.

Was seit einem Jahr in den USA als Search Generative Experience (SGE) im Beta-Stadium getestet wurde, soll jetzt für Hunderte Millionen Menschen zum Standard werden. Zunächst wird die Funktion nur in den USA angeboten. Im Laufe des Jahres sollen weitere Länder folgen, darunter auch Deutschland. Bis Ende des Jahres sollen eine Milliarde Menschen Zugriff haben.

Warum das wichtig ist

Google ist der wichtigste Knotenpunkt des Internets. Millionen Webseiten sind auf Google-Traffic angewiesen, viele Medien und Unternehmen könnten ohne Google nicht überleben. Deshalb hat sich eine milliardenschwere SEO-Industrie formiert, die Seiten so baut, dass Google es mit Sichtbarkeit belohnt (The Verge).

Mit seinen Entscheidungen beeinflusst Google den Konsum, das Faktenwissen und die Weltanschauung von Milliarden Menschen. Bereits kleine Änderungen an den Suchalgorithmen können große Auswirkungen haben.

Auch für den Mutterkonzern Alphabet ist Google überlebenswichtig. Nach wie vor wirft die Websuche den Großteil des Umsatzes ab. Allein im ersten Quartal 2024 nahm man durch Google-Werbung rund 46 Milliarden Dollar ein.

In den vergangenen 25 Jahren hat sich Google ständig verändert. Als Google 2004 an die Börse ging, sagte Gründer Larry Page (Kottke):

We want you to come to Google and quickly find what you want.

Heute hat Google nichts mehr mit dem Unternehmen zu tun, das Page beschrieb. Statt Menschen weiterzuleiten, beantwortet Google viele Fragen selbst. Bereits seit 2021 führt mehr als Hälfte der Google-Suchen zu keinem weiteren Klick (SMWB). Für Seiten, die auf SEO-Traffic angewiesen sind, ist das bedrohlich.

Doch alle Snippets und Knowledge Panels sind nichts gegen die Veränderung, die KI für die Websuche bedeutet. Links waren nur eine Übergangslosung für Google. Das Ziel waren schon immer Antworten – genauer gesagt: die eine richtige Antwort. Vor fast zwei Jahrzehnten sagte der damalige Google-Chef Eric Schmidt (Washington Post):

We should be able to give you the right answer just once. We should know what you meant. You should look for information. We should get it exactly right and we should give it to you in your language and we should never be wrong.

Im vergangenen Jahr wiederholte Schmidt seine Aussage (Nieman Lab):

We're trying to move from answers that are link-based to answers that are algorithmically based, where we can actually compute the right answer.

Diese Vision könnte bald Wirklichkeit werden – mit drastischen Konsequenzen für das gesamte Netz.

Wie KI die Suche verändern soll

Wenn man sich das Netz als gigantische Bibliothek vorstellt, war Google in seinen Anfangstagen eine Bibliothekarin, die wissbegierigen Besucherïnnen sagte, in welchen Büchern sie fündig werden könnten. Man bekam aber nur eine Werksauswahl präsentiert, die gewünschten Informationen musste man selbst nachschlagen.

Im Laufe der Jahre veränderte sich das Verhalten der Bibliothekarin. Statt auf Bücher zu verweisen, las sie bei vielen Fragen gleich die passenden Passagen vor. Wenn man möchte, kann man selbst weiterlesen – aber vielen Menschen reichte bereits der Auszug.

Jetzt bekommt die Bibliothekarin Hilfe von KI. Sie zitiert nicht nur aus einzelnen Büchern, sondern aggregiert Informationen aus mehreren Quellen und gibt eine eigene Zusammenfassung. Am Ende sagt sie: Wenn Du mehr wissen möchtest, kannst Du hier weiterlesen. Doch statt zehn Büchern landen nur noch zwei oder drei auf der Shortlist. Und wie viele Menschen werden sich die Mühe machen, selbst nachzuschlagen?

Wie Google beschwichtigt

Seit Jahren sagt Google: Das offene Web liegt uns am Herzen. Wir sind uns bewusst, welche Rolle wir dabei spielen, und wollen weiter der Wegweiser des Internets bleiben. Verlage und Unternehmen müssen sich keine Sorgen machen, dass der Traffic versiegt.

Tatsächlich ist Google in einer anderen Position als Meta. Mark Zuckerberg behauptete auch jahrelang, dass Journalismus ihm am Herzen liege – bis er Medien plötzlich klarmachte, dass sie auf Facebook und Instagram bestenfalls geduldet sind (SMWB). Meta kann sich das erlauben, weil Nachrichten und journalistische Inhalte wirtschaftlich relativ unwichtig für das eigene Geschäftsmodell sind.

Bei Google sieht das anders aus. Eine Suchmaschine funktioniert nur, wenn es genug hochwertige Inhalte gibt, auf die man verweisen kann. Auch die Antwortmaschine, in die sich Google verwandelt hat, ist darauf angewiesen, dass Dritte recherchieren und Wissen produzieren, das man dann selbst indexiert.

In einem Blogeintrag beschwichtigt Liz Reid, die erst im März die Verantwortung für die Suche übernahm und als großer KI-Fan gilt (The Verge):

Mit KI-basierten Übersichten besuchen Menschen eine größere Bandbreite an Websites, um Hilfe bei komplexeren Fragen zu erhalten. Und wir sehen, dass die in den Übersichten enthaltenen Links mehr Klicks generieren, als wenn die Seite für diese Suchanfrage als herkömmlicher Webeintrag erschienen wäre. Während wir diese Funktion für mehr Menschen verfügbar machen, werden wir uns weiterhin darauf konzentrieren, wertvollen Traffic an Publisher und Creator zu senden.

Mehr Klicks, konstanter Traffic – kein Grund zur Sorge also? Well …

Warum die Sorgen berechtigt sind

Was Reid schreibt, hat wenig Aussagekraft. Im KI-basierten Überblick tauchen meist nur zwei oder drei Links auf. Eine normale Google-Suche liefert zehn Ergebnisse. Dass eine Quelle mehr Klicks erhält, wenn sie zu den wenigen, prominent platzierten Links gehört, ist nicht überraschend. Insgesamt könnte der Traffic aber trotzdem zurückgehen, weil man seltener Teil des KI-Überblicks wird, als in den Suchergebnissen gefunden zu werden.

Wenn man liest, was Reid weiter schreibt, wird klar, dass sich viele Verlage, Bloggerinnen und Unternehmen Sorgen machen sollten:

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