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7 Min. Lesezeit TikTok

Zensur bei TikTok?

Was ist: In der vergangenen Woche hat TikTok zweimal Schlagzeilen produziert, die der chinesische Entwickler ByteDance sicher lieber vermieden hätte:

Warum das wichtig ist: Kein soziales Netzwerk ist im vergangenen Jahr so rasant gewachsen wie TikTok. Schneller als jede andere Plattform hat die App die Marke von einer Milliarde Nutzerïnnen erreicht (FT). Damit ist sie größer als Twitter und Snapchat zusammen.

Zur schieren Größe kommt bei TikTok der chinesische Eigentümer hinzu – und damit auch der Verdacht, dass die Regierung in Peking Einfluss auf die Inhalte nehmen will, die in vielen Teilen der Welt die Jugendkultur prägen (Guardian). Facebook und YouTube zeigen, dass bei Content-Moderation auf globalen Plattformen zwangsläufig Fehler gemacht werden. Bei TikTok sind es womöglich nicht nur falsche Entscheidungen einzelner Mitarbeiterïnnen, sondern bewusste politische Zensur.

Illustration: pixelpaten für watchblog.io

Was Netzpolitik herausgefunden hat: Vorab: Der Text der Kollegïnnen ist lang und lesenswert. Wer tiefer einsteigen will, sollte die ganze Recherche (netzpolitik) lesen. Die wichtigsten Eckpunkte:

Was TikTok dazu sagt: In seinem deutschen Blog hat TikTok auf die Recherche von Netzpolitik reagiert: Der Eintrag „Erläuterung unseres Ansatz zur Moderation von Inhalten“ bezieht sich auf „einige öffentliche Äußerungen der Medien und anderer über die angebliche Zensur von Inhalten“, ohne Netzpolitik direkt zu erwähnen.

Das sind die zentralen Aussagen zum Einfluss Chinas:

„TikTok moderiert keine Inhalte basierend auf politischen Angelegenheiten oder Sensitivitäten. Unsere Moderationsentscheidungen werden von keiner ausländischen Regierung, auch nicht der chinesischen Regierung, beeinflusst. Wir entfernen oder stufen keine Videos von Hongkonger Protesten herab und auch nicht von Aktivisten.“

Zum Datenschutz:

„Die TikTok-App ist nicht in China verfügbar und die Benutzerdaten von TikTok werden in den USA und Singapur gespeichert. (Anm.: Die chinesische Version von TikTok heißt Douyin und wird – wie das gesamte chinesische Netz – zensiert und überwacht (Variety).

Zu LGBTQIInhalten:

„Weder entfernen wir noch reduzieren wir die Reichweite von LGBTQI-Inhalten. Ein Video wird beispielsweise nur entfernt, wenn eine Person eine andere verletzt oder der Einsatz von Waffen gefördert wird.“

Zur Änderung der Richtlinien:

„In unseren Anfangszeiten haben wir einen weitgehenderen Ansatz verfolgt, um Konflikte auf der Plattform zu minimieren. Mit steigender internationaler Bekanntheit im vergangenen Jahr, haben wir erkannt, dass dies nicht der richtige Ansatz ist. Wir haben begonnen, lokale Teams zu stärken, die ein differenziertes Verständnis für jeden Markt haben.“

Wie die Kontroverse um Feroza Aziz abgelaufen ist: Ein überraschend politisches Schminkvideo, eine Sperre, ein Satirevideo mit Osama bin Laden, ein Dementi, eine Entschuldigung, Hunderte kritische Artikel – und das alles innerhalb von zwei Tagen. Die Ereignisse im Überblick:

Be smart: In Briefing #590 haben wir zusammengefasst, warum TikTok wohl ein schwieriges und mit Sicherheit anstrengendes Jahr 2020 bevorsteht: Die US-Regierung hat Sicherheitsbedenken, die durch Aussagen ehemaliger Mitarbeiterïnnen befeuert werden (Washington Post).

Außerdem wächst der Konkurrenzdruck: In China hat etwa Alibaba 100 Millionen Dollar in VMate investiert, das vor allem in Indien erfolgreich ist. Dort boomt auch die (ebenfalls chinesische) App Likee (The Information). Auch Facebook, Google und Snapchat bauen bestimmte Funktionen (NYT) nach oder testen gleich ganze App-Klone wie Lasso und Reels (Techcrunch).

ByteDance hat große Pläne für TikTok: Es will sich zwei Milliarden Dollar von Banken leihen (The Information). Das Geld soll die „Kriegskasse“ für den Kampf mit Facebook und Snapchat füllen. TikTok-Chef Alex Zhu weist die Zensurvorwürfe zurück und preist die App als unpolitischen Raum (NYT):

Today, we are lucky, because users perceive TikTok as a platform for memes, for lip-syncing, for dancing, for fashion, for animals — but not so much for political discussion„.

Doch eine Plattform, auf der sich mehr als eine Milliarde Menschen vernetzen, ist zwangsläufig auch politisch. TikTok ist eine globale Kommunikationsinfrastruktur, auf der Politikerïnnen, Prominente und mittlerweile auch die Tagesschau Inhalte teilen (Briefing #594).

Ich würde nicht so weit gehen wie Theresa Locker, die dazu auffordert, TikTok sofort zu löschen (Vice). Aber Markus Beckedahl stellt die richtige Frage (Netzpolitik):

Wollen wir eine Öffentlichkeit, in der wir als Gesellschaft und als Netzbürgerïnnen davon abhängig sind, ob das dahinterstehende Unternehmen eine gesellschaftliche Debatte für wünschenswert hält – oder einfach unterdrückt?

Die Frage ist rhetorisch, und die Antwort lautet nein. Deshalb ist es wichtig, dass Journalistïnnen TikTok mindestens genauso kritisch im Blick haben wie Facebook, Instagram und YouTube.

Autor: Simon Hurtz

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