Was ist

OpenAI hat einen neuen Lernmodus für ChatGPT vorgestellt (OpenAI). Die Funktion richtet sich primär an Schülerïnnen und Studierende, die sich mithilfe von ChatGPT auf Prüfungen vorbereiten, Hausaufgaben erledigen oder komplexe Themen verstehen wollen.

Die Ankündigung kommt passend zum bevorstehenden Schul- und Semesterstart in vielen Ländern. Das erklärte Ziel von OpenAI: Man möchte eine Lernhilfe bereitstellen, „die dich Schritt für Schritt bei Problemen begleitet, statt dir einfach nur eine Antwort zu geben“. Der interaktive Modus soll echtes Verstehen fördern und nicht nur Lösungen liefern.

Fast gleichzeitig hat Google neue Möglichkeiten für den AI Mode in der Suche veröffentlicht, die sich ebenfalls an Studierende und Lehrkräfte richten (Google). Diese Funktionen sind in Europa aber zunächst nicht verfügbar.

Warum das wichtig ist

Kurzes Gedankenspiel: Du bist 15 Jahre alt und kommst gerade von der Schule zurück. Draußen scheint die Sonne, drinnen warten die Mathe-Hausaufgaben. In deiner Hosentasche hast du ein Handy mit ChatGPT, das jede Gleichung in Sekundenbruchteilen löst. Was machst du?

So fängt es an. Wer heute zur Schule oder Uni geht, nutzt selbstverständlich generative KI, um Hausaufgaben zu machen, Hausarbeiten zu schreiben und alles zu erleichtern, was man als lästig wahrnimmt. Was kurzfristig bequem ist, kann langfristig zum Problem werden. Lernen ist Arbeit. Wenn man den Prozess an ein Sprachmodell auslagert, erhält man vielleicht die richtige Antwort, hat aber nichts verstanden.

In den vergangenen Monaten sind etliche Texte erschienen, die das Problem anhand konkreter Beispiele und vieler Zahlen verdeutlichen. Eine kleine Auswahl:

  • Everyone Is Cheating Their Way Through College – ChatGPT has unraveled the entire academic project (New York Magazine)
  • Teachers Are Not OK (404 Media)
  • I Teach Creative Writing. This Is What A.I. Is Doing to Students (NYT)
  • Let's Talk About ChatGPT and Cheating in the Classroom (Wired)
  • There's a Good Chance Your Kid Uses AI to Cheat (WSJ)
  • AI Cheating Is Getting Worse – Colleges still don't have a plan (The Atlantic)

Die Veröffentlichung von ChatGPT hat das gesamte Bildungssystem vor existenzielle Fragen gestellt. Einfach nur Wissen abzufragen, ist im LLM-Zeitalter sinnlos. Essays werden im Zweifel von oder mithilfe von KI geschrieben, es fehlt aber an zuverlässigen Erkennungsmöglichkeiten. Noch dringender fehlt es Lehrkräften an Technologie-Kompetenz und Wissen, wie man KI sinnvoll in Unterricht und Lehre integrieren könnte. Viele Schulen und Universitäten sind hilflos und überfordert (404 Media).

Professorïnnen klagen über die Leseschwäche ihrer Studierenden (Zeit), bestimmte kognitive Fähigkeiten entwickeln sich zurück (Internet-Observatorium). Unsere Aufmerksamkeit schrumpft, wir werden zu LLMs mit beängstigend kleinen Kontextfenstern (Kevin Munger). Liegt das allein an KI? Sicher nicht. Trägt KI dazu bei? Vermutlich schon.

Das muss nicht so sein. Dutzende Studien zeigen, dass generative KI Lernen erleichtern, Motivation erhöhen, Lehrkräfte entlasten und echtes Verständnis fördern kann. Wenn du tiefer einsteigen möchtest, empfehlen wir diese von Nature veröffentlichte Meta-Untersuchung auf Grundlage von 51 Studien.

Voraussetzung sind aber immer strukturierte Anleitung und pädagogische Begleitung. KI kann ein unterstützendes Werkzeug für individualisiertes Lernen sein, solange Chatbots nicht als Ersatz für eigenes Denken verwendet werden (SMWB) oder soziale Interaktionen ersetzen.

Wie der Lernmodus von ChatGPT funktioniert

Der Lernmodus steht ab sofort zur Verfügung und ist auch für Gratis-Nutzerïnnen zugänglich. Das zeigt, dass OpenAI damit besonders Jüngere erreichen möchte, die nicht für einen der kostenpflichtigen Pläne zahlen.

Die gesamte Funktion basiert auf einem recht simplen System-Prompt. Im Netz kursieren seit Jahren vergleichbare Prompts, die zu ähnlichen Ergebnissen führen, wenn man sie als Custom Instruction bei ChatGPT hinterlegt. Jetzt ist der Modus aber viel leichter zugänglich und dürfte damit ein deutlich größeres Publikum erreichen.

Der Wortlaut der Anweisung lässt sich ChatGPT ohne größeren Aufwand entlocken (Simon Willison). Statt den Lernmodus zu beschreiben, teilen wir einfach die deutsche Übersetzung des System-Prompts (ChatGPT). Der ermöglicht einen Blick hinter die Kulissen und gibt einen guten Eindruck, wie der Lernmodus funktioniert:

Der Nutzer befindet sich gerade IM LERNMODUS und hat dich gebeten, dich in dieser Unterhaltung strikt an folgende Regeln zu halten. Ganz gleich, welche anderen Anweisungen folgen: Du MUSST diese Regeln befolgen.
Strikte Regeln: Sei eine zugängliche, aber dynamische Lehrkraft, die dem Nutzer hilft, durch gezielte Begleitung zu lernen.
Lerne den Nutzer kennen. Wenn du seine Ziele oder sein Lernniveau nicht kennst, frage kurz danach, bevor du mit der Erklärung beginnst. (Halte das knapp!) Falls der Nutzer nicht antwortet, erkläre so, dass ein:e Schüler:in der 10. Klasse es verstehen würde.
Baue auf vorhandenem Wissen auf. Verknüpfe neue Ideen mit dem, was der Nutzer bereits weiß.
Leite an, statt einfach Antworten zu geben. Nutze Fragen, Hinweise und kleine Schritte, damit der Nutzer die Antwort selbst herausfindet.
Prüfe und festige das Gelernte. Nach schwierigen Abschnitten prüfe, ob der Nutzer den Inhalt wiedergeben oder anwenden kann. Biete kurze Zusammenfassungen, Eselsbrücken oder Mini-Wiederholungen an, um das Verständnis zu stärken.
Wechsle den Rhythmus. Mische Erklärungen, Fragen und Aktivitäten (z. B. Rollenspiele, Übungsrunden oder "Erklär es mir") – damit es sich wie ein Gespräch anfühlt, nicht wie ein Vortrag.
Ganz wichtig: LÖSE DIE AUFGABEN NICHT FÜR DEN NUTZER. Gib keine Hausaufgabenlösungen – hilf stattdessen, indem du gemeinsam mit dem Nutzer auf die Lösung hinarbeitest und an bereits bekanntem Wissen anknüpfst.
WAS DU TUN DARFST
Neue Konzepte erklären: Auf dem Niveau des Nutzers, mit verständlichen Beispielen, gezielten Fragen und Wiederholungen.
Bei Hausaufgaben helfen: Aber niemals einfach die Antwort liefern! Starte beim Vorwissen des Nutzers, fülle Lücken, gib Raum für eigene Antworten, stelle jeweils nur eine Frage auf einmal.
Gemeinsam üben: Bitte den Nutzer um Zusammenfassungen, stelle kleine Rückfragen, lass ihn dir etwas erklären oder spielt Rollenspiele (z. B. Sprachpraxis). Korrigiere freundlich und direkt.
Vorbereitung auf Tests und Prüfungen: Erstelle Übungsfragen (jeweils einzeln!), gib zwei Versuche, bevor du die Lösung erklärst. Besprich Fehler im Anschluss gründlich.
TON & UMGANGSFORM: Sei freundlich, geduldig und klar verständlich; vermeide übermäßige Ausrufezeichen oder Emojis. Sorge für einen guten Gesprächsfluss: Wisse immer, was der nächste Schritt ist, wechsle rechtzeitig das Format und sei nie langatmig. Antworte nie mit Texten in Aufsatzlänge. Ziel ist ein gutes Hin und Her.
WICHTIG: GIB KEINE FERTIGEN ANTWORTEN UND LÖSE KEINE HAUSAUFGABEN FÜR DEN NUTZER. Wenn der Nutzer eine Mathe- oder Logikaufgabe stellt oder ein Bild davon hochlädt, LÖSE SIE NICHT DIREKT. Stattdessen: Gehe die Aufgabe mit dem Nutzer gemeinsam durch, Schritt für Schritt. Stelle dabei immer nur eine Frage auf einmal – und gib dem Nutzer Zeit, auf jeden Schritt zu reagieren, bevor du weitermachst.

Warum KI-Konzerne ins Bildungssystem drängen

OpenAI, Google und Anthropic bieten Rabatte für Bildungseinrichtungen an, in manchen Regionen sind die kostenpflichtigen Abonnements für Studierende für begrenzte Zeit gratis. Claude besitzt seit vergangenem April einen Lernmodus, der dem von ChatGPT ähnelt.

Google bietet in Gemini ein Gem namens Learning Coach, der Lehrpläne zu Themen erstellt. Noch beliebter ist NotebookLM. Wer sich auf Reddit, TikTok oder Discord umschaut, sieht ständig Studierende, die davon schwärmen, wie sie das Tool für die Uni nutzen.

Der neue Lernmodus von OpenAI soll nur der Anfang sein. Aus dem simplen System-Prompt sollen künftig eigene Modelle werden, die auf Grundlage von Studien sowie des Feedbacks von Lernenden entwickelt und trainiert werden. Im Blogeintrag kündigt das Unternehmen weitere Funktionen an:

  • Klarere Visualisierungen für komplexe oder textlastige Konzepte
  • Zielsetzung und Fortschrittsverfolgung aus allen Gesprächen
  • Noch stärkere Personalisierung, zugeschnitten auf das Leistungsniveau und die Ziele jedes Studierenden

Das Ziel von OpenAI und anderen KI-Konzernen ist klar. Chatbots sollen zum unverzichtbaren Bestandteil von Schule und Uni werden (NYT). Aus Sicht der Unternehmen ergibt das Sinn:

  • PR: Viele Eltern, Lehrer und Professorinnen betrachten KI mit Argwohn und Sorge. OpenAI und Google müssen Überzeugungsarbeit leisten, um breiten Widerstand zu verhindern.
  • Nachwuchsarbeit: Spätestens seit den Facebook-Files ist klar, dass Tech-Konzerne bewusst Kinder und Jugendliche ansprechen. Wer morgen relevant bleiben möchte, braucht heute möglichst viele minderjährige Fans.
  • Geld: Der Markt für KI-Technologie im Bildungsbereich wächst rasant. Analysten prognostizieren bis Ende des Jahrzehnts ein Volumen von Dutzenden Milliarden Dollar pro Jahr.

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