Zukunft der Cookies: Sind Googles FLoC gefloppt?
Was ist
In den vergangenen Wochen haben sich eine Menge Tech-Schwergewichte gegen Googles Federated Learning of Cohorts (FLoC) positioniert. Das gefährdet Googles ambitionierten Versuch, Cookies von Drittanbietern aus dem Browser zu verbannen.
Warum das wichtig ist
Third Party Cookies, Browser Fingerprinting, Privacy Sandbox: Auf den ersten Blick klingt das alles sehr technisch. Doch wir sprechen über eine Branche, die Hunderte Milliarden Dollar pro Jahr umsetzt. Online-Werbung ist nicht nur die Grundlage für den Siegeszug von Facebook und Google, sondern ermöglicht viele kostenlose Angebote und finanziert Journalismus.
Warum FLoC Work in Progress ist
Wir haben FLoC in Briefing #707 ausführlich erklärt. Damals endeten wir mit einem vorsichtig optimistischen Fazit:
Wir glauben, dass die Abkehr von Drittanbieter-Cookies richtig ist und helfen kann, allzu aggressives Tracking deutlich einzuschränken. (…) Vor diesem Hintergrund halten wir Googles Entscheidung für überfällig. Ob FLoC aber die beste Lösung ist, daran gibt es zumindest Zweifel. Um uns ein abschließendes Urteil zu bilden, müssen wir noch weitere Gespräche mit Expertïnnen führen, die sich besser auskennen als wir.
Diese Gespräche haben wir mittlerweile geführt, ein Teil davon sind in diesen Bericht und diesen Kommentar (jeweils SZ) eingeflossen. Die Kurzfassung: Der Ansatz ist richtig, die Umsetzung hat Schwächen. Im aktuellen Entwurfsstadium könnte FLoC sogar die Privatsphäre von vielen Menschen weiter erodieren lassen (Restore Privacy), statt sie zu schützen – von dem Risiko, dass Google seine Dominanz weiter ausbaut, erst gar nicht zu reden.
Entscheidend ist das Wort Entwurfsstadium: Google will FLoC gemeinsam mit dem World Wide Web Consortium (WC3) entwickeln. Es ist ausgeschlossen, dass das Konzept in der aktuellen Form Realität wird. Das gibt auch Google selbst zu und sagt offen, dass man Feedback einholt, um FLoC zu verbessern.
Deshalb werden wir vorerst nicht weiter in die technischen Details einsteigen, weil sich das Rad in ein paar Monaten vermutlich eh zweimal weitergedreht hat. Vielmehr fassen wir zusammen, wer FLoC aus welchen Gründen und Motiven ablehnt.
Warum FLoC einen schweren Stand haben
Bereits im Frühjahr meldeten sich die "üblichen Verdächtigen" zu Wort. NGOs und Bürgerrechtsaktivistïnnen protestierten, Bennett Cyphers von der EFF nannte FLoC "a terrible idea", Cory Doctorow legte später nach (EFF):
The only sense in which "pro-privacy" and "competition" are in tension is the twisted sense implied by FLoC, where "pro-privacy" means "only one company gets to track you and present who you are to others."
So weit, so erwartbar. Seitdem ist der Widerstand gewaltig gewachsen. Außer Google selbst hat sich bislang kaum jemand hinter das Projekt gestellt, fast alle Browser-Hersteller und Konkurrenten sind skeptisch:
- Amazon blockiert FLoC auf fast allen seinen Webseiten (Digiday). Dabei geht es weniger um Privatsphäre, sondern um Konkurrenz. Amazon fürchtet, dass FLoC dem eigenen Werbegeschäft schaden könnte. Der Konzern ist nach Google und Facebook der drittgrößte Anzeigenverkäufer und hat einiges zu verlieren.
- Mozilla hat ausführliche "Technical Comments on FLoC Privacy" (PDF) veröffentlicht und in einem etwas leichter verständlichen Blogeintrag zusammengefasst. FLoC könnte etwa Browser Fingerprinting vereinfachen, Werbetreibenden sogar mehr Daten geben und Nutzerïnnen leichter identifizierbar machen. Mozilla hält das Konzept aber nicht per se für schlecht, sondern hat konkrete Verbesserungsvorschläge, mit denen sich FLoC "retten" ließe.
- Die meisten großen Browser, die nicht Chrome heißen, blockieren bereits Third-Party-Cookies, darunter Mozillas Firefox und Apples Safari. Microsoft Edge, Brave und Vivaldi werden jedenfalls nicht auf FLoC setzen. Die Browser-Hersteller wollen die Technik nicht implementieren (Bleeping Computer).
- Microsofts Widerstand geht noch weiter: GitHub, das Microsoft 2018 für 7,5 Milliarden Dollar übernahm, blockiert FLoC auf seiner Webseite.
- Mit WordPress hat Google auch noch das größte Content-Management-System gegen sich. Man will FLoC wie ein Sicherheitsrisiko behandeln (WordPress-log) und die dafür benötigten HTTP-Header wegfiltern – was gut 40 Prozent aller Webseiten betrifft.
Be smart
Der Widerstand gegen Google zeigt, dass selbst die digitalen Gorillas verwundbar sind. Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein ambitioniertes Projekt, das Potenzial hätte, das Netz grundlegend zu verändern, ganz anders entwickelt als gedacht: Auch Googles Accelerated Mobile Pages (AMP), die zum schnellen und schlanken Standard für mobile Webseiten werden sollten, sind auf dem Rückzug (t3n).
Ganz wehrlos ist der Nicht-GAFA-Teil des Webs zum Glück noch nicht – wobei man sagen muss, dass Google mit Amazon und Microsoft mächtige Gegenspieler hat. Wenn das Silicon Valley an einem Strang zieht, ist der Rest der Welt wohl doch hilflos. Und auch ein Konzern allein kann viele Entscheidungen durchdrücken, wenn er die Kontrolle über das Ökosystem hat. Schließlich schrieben wir in der vergangenen Ausgabe (#727) noch über Apples Privacy-Pläne:
Es wird immer schwerer, auf einer von Apples Plattformen Geld zu verdienen, wenn man keine Abos verkauft. Apple drängt App-Entwicklerïnnen und Kreative, sich von Werbung zu verabschieden, die Menschen gezielt anspricht. Ein mächtiges Unternehmen entscheidet, was gut für seine Nutzerïnnen ist – das mag im Ergebnis richtig sein, aber der Prozess wirft Fragen auf.
Deutschland vs. Telegram: Jetzt greift das NetzDG
Was ist
Das Bundesjustizministerium (BMJV) will Telegram schärfer regulieren. Das Bundesamt für Justiz (BfJ), das dem Justizministerium untersteht, hat zwei Bußgeldverfahren gegen Telegram eingeleitet (Spiegel) und Anhörungsschreiben nach Dubai geschickt, wo der Messenger angeblich seinen Firmensitz hat.
Warum das wichtig ist
Im Laufe des vergangenen Jahres hat sich Telegram zur wichtigsten Plattform für Querdenker, Verschwörungsideologïnnen und QAnon-Gläubige entwickelt, hinzu kommen offen rechtsradikale Akteure. Sie erreichen über ihre Kanäle Hunderttausende Menschen (SZ). Der Hass bleibt nicht im Netz, sondern schwappt auf die Straße über und dient als Brandbeschleuniger für Radikalisierung (SZ). Das geschieht nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt (Rest of World).
Telegram hat bislang meist tatenlos zugeschaut. Der Messenger ist für Medien, Behörden und Ermittlerïnnen kaum bis gar nicht zu erreichen. Man kann darüber streiten, ob Telegram Lügen löschen sollte – die sind schließlich nicht verboten. Doch es geht nicht nur um Inhalte im Graubereich, sondern um eindeutige strafbare Posts, die stehen bleiben. Es ist überfällig, dass das BMJV tätig wird.
Warum die Behörden jetzt handeln
Lange Zeit war unklar, ob Telegram unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) fällt. BMJV und BfJ äußerten sich auf mehrfache Anfragen ausweichend. Das NetzDG schließt "Plattformen zur Individualkommunikation", sprich Messenger, eigentlich aus. Doch Telegram gleicht mit seinen Gruppen und öffentlichen Kanälen längst einem sozialen Netzwerk.
Das hat offenbar auch das zuständige Ministerium erkannt. Jetzt geht man davon aus, dass mehr als zwei Millionen Menschen Telegrams Kanäle nutzen. Ab diesem Schwellenwert greift das NetzDG. "Keine Plattform, die millionenfach in der EU genutzt wird, darf sich unserer Rechtsordnung entziehen", sagte SPD-Justizministerin Christine Lambrecht.
Was Telegram droht … "droht"
In der Theorie könnte ein Bußgeld von bis zu 55 Millionen Euro verhängt werden. Das ist für ein Unternehmen wie Telegram nicht nur relativ wenig; es ist auch zweifelhaft, dass Telegram zahlt. Die zentralen Vorwürfe lauten, dass Telegram keine Beschwerdemöglichkeit für strafbare Inhalte biete und ein Ansprechpartner mit deutscher Adresse fehle.
Der zweite Punkt macht uns skeptisch: Wird Telegram wirklich auf ein Anhörungsschreiben reagieren, das als sogenannte diplomatische Verbalnote durch die deutsche Botschaft an das Außenministerium der Vereinigten Arabischen Emirate übermittelt wurde? Der Spiegel versuchte kürzlich, Telegram in den Kazim Towers in Dubai ausfindig zu machen:
Sechs Türen gehen von einem Flur mit Marmorboden ab. Die braune Tür mit der Nummer 2301 gehört zum Telegram-Büro. Weder Schild noch Klingel weisen auf den Mieter hin, mehrmaliges Klopfen bleibt ohne Reaktion, die Tür ist abgeschlossen. Unten an der Rezeption sagt die Empfangsdame, sie habe in den drei Jahren, in denen sie hier arbeite, noch nie jemanden gesehen, der in das Büro gegangen sei. "Es ist sehr seltsam, wir haben nicht einmal einen Kontakt von denen. Nichts." Immerhin, im System sei Telegram registriert.
Ermittlerïnnen haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder an Telegram gewandt, um Daten zu Accounts anzufordern, über die Straftaten begangen werden. Sie bekommen keine Antworten auf ihre Anfragen. Telegram schreibt dazu:
To this day, we have disclosed 0 bytes of user data to third parties, including governments.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, man wolle erst mal abwarten, ob und was Telegram antworte. Wir glauben, dass Deutschland da lange warten kann, und wünschen viel Geduld.
Wer hinter Telegram steckt
Die drei Spiegel-Kollegïnnen, auf deren Recherche die aktuellen News beruhen, haben Pawel Durow zwar nicht getroffen oder gesprochen. Sie haben aber eine der besten Annäherungen an den Telegram-Gründer veröffentlicht, die wir bislang gelesen haben.
Durow vertritt extremen Libertarismus und will, dass sich Staaten aus allem heraushalten. Für uns ist das befremdlich, wir halten Telegrams Umgang mit illegalen Inhalten für ignorant. Man muss Durow aber zugutehalten, dass er seine Überzeugungen immerhin konsequent vertritt und auch nicht davor zurückschreckt, sich mit autoritären Regimen anzulegen. Deshalb hat sich Telegram etwa in Belarus und Hongkong zu einem wichtigen Kommunikationswerkzeug demokratischer Bewegungen entwickelt.
Der Text steht hinter einer Paywall, deshalb möchten wir ihn an dieser Stelle nicht komplett zusammenfassen. Unserer Meinung lohnt es sich, dafür ein (Probe-)Abo abzuschließen oder den Artikel per Einmalkauf über Blendle zu lesen.
Alternativ empfehlen wir ein Porträt, das Niklas Wirminghaus vor drei Jahren schrieb, das aber nach wie vor lesenswert ist. Capital hat den Text am 11. Juni erneut veröffentlicht, tatsächlich stammt er aber aus dem Jahr 2018.
Be smart
Seit vergangener Woche ist der Telegram-Kanal von Attila Hildmann auf Android- und iOS-Geräten blockiert. Was dahintersteckt, ist unklar. Anfangs wurde spekuliert, dass Apple und Google dahinterstecken könnten. Das hat Google aber dementiert, Apple verweist nur auf seine Richtlinie für den App Store.
Miro Dittrich vom Thinktank "Center für Monitoring, Analyse und Strategie" geht davon aus, dass tatsächlich Telegram selbst gehandelt hat (Deutschlandfunk). Das liegt aber ziemlich sicher nicht an den aktuellen Verfahren des BMJV. Vielmehr dürften Apple und Google direkt Druck auf Telegram ausgeübt haben.
Kampf gegen Desinformation
- Deepfakes besser erkennen: Facebook hat in Kooperation mit der Michigan State University eine Methode entwickelt, um Deepfakes besser erkennen zu können (Facebook Newsroom) – und zwar via Reverse Engineering.
Follow the money
- Werbung im VR-Headset: Ehrlich gesagt hatten wir darüber noch gar nicht nachgedacht, aber es war ja eigentlich klar, dass es so kommen würde: Facebook testet die ersten Anzeigen in den hauseigenen Oculus VR-Brillen (CNBC). Immersive Werbung – OMG!
- Shopify öffnet sich: Die E-Commerce-Plattform Shopify hat angekündigt, dass der hauseigene One-Click-Checkout-Service mit dem Namen Shop Pay bald für alle US-Händler verfügbar sein wird, die auf Facebook oder Google verkaufen – und zwar auch dann, wenn sie nicht die Software von Shopify für ihre Online-Shops verwenden.
- TikTok Hauptsponsor der VidCon: TikTok macht nicht nur bei der EM 2020 (sic!) auf sich aufmerksam, sondern auch beim wichtigsten Events der Webvideo-Szene: das chinesische Unternehmen ist Hauptsponsor der diesjährigen VidCon (Variety) in Anaheim. Bislang war das eigentlich immer YouTube…
- Einschränkungen für Anzeigen im YouTube-Masthead: In Briefing #621 berichteten wir von Trumps Werbe-Coup bei der US-Wahl 2020: Trump hatte sich den wohl begehrtesten Werbeplatz der Welt für die Tage vor der US-Wahl gesichert hat: den Masthead bei YouTube. Der Clou daran: Während sämtliche Werbeplätze auf YouTube personalisiert ausgespielt werden, ist der Masthead-Anzeigenplatz fix. Jeder sieht die gleiche Anzeige auf YouTubes-Startseite ganz oben. Immer. Genau auf diesem Werbeplatz gibt es künftig Einschränkungen hinsichtlich der Frage, welche Anzeigen dort geschaltet werden können: Verboten sind künftig Anzeigen für Politik, Alkohol, Online-Kasinos und Medikamente (Support Google).
Audio Boom
- Podcasts bei Facebook: Ab nächster Woche können Podcast-Seitenbetreiberïnnen ihren Podcast via RSS-Feed automatisch bei Facebook posten (The Verge).
- Social Audio bei Spotify: Auch Spotify hat jetzt auch einen Clubhouse-Klon gelauncht (Techcrunch). Genau genommen handelt es sich dabei um ein Rebrand der bereits vor einigen Wochen aufgekauften App Locker Room. Spotify Greenroom heißt das neue Ding.
- Facebook testet Live Audio Rooms: Zwar noch etwas ruckelig das ganze, aber an sich ein ziemlich perfekter Clubhouse-Klon, schreibt Kaya Yurieff bei The Information.
Creator Economy
- Streamer Fan-Gruppen bei Facebook: Gaming Creator, die bei Facebook im offiziellen Partner-Programm sind, können nun spezielle Streamer Fan-Gruppen aufsetzen (Facebook Newsroom). Das Besondere: Fans können über die Gruppen mit anderen Fans zocken, sie können sich in speziellen Chats zu bestimmten Themen austauschen und Streamer können die Gruppen nutzen, um ihren Fans mitzuteilen, dass sie live gehen. Der Launch ist quasi Facebooks Antwort auf den anhaltenden Erfolg von Discord bei Gamern.
- Twitch für Musikerïnnen: Die New York Times hat einen spannenden Artikel zur Bedeutung von Twich für Musikerïnnen veröffentlicht. Hatte Twitch vor der Pandemie vor allem für Gamer Relevanz, ist die Plattform heute auch für Musikerïnnen ein wichtiges Instrument – no pun intended.
Neue Features bei den Plattformen
- Weniger Beef in den Kommentaren: Facebook hat ein Tool entwickelt, das Gruppen-Admins dabei helfen soll, Konflikte in den Kommentaren frühzeitig zu erkennen (The Verge).
- Mehr Überblick: Mit Admin Home haben Gruppen-Administratoren nun eine zentrale Seite, wo sie alle wesentlichen Infos zu ihrer Gruppe auf einen Blick (Facebook Newsroom) erhalten.
- Member summary: Zudem erhalten Gruppen-Admins mit der neuen „member summary“ eine Möglichkeit, direkt alles Wesentliche über ein bestimmtes Gruppen-Mitglied (Facebook Newsroom) zu erfahren.
- Don’t @ me: Twitter könnte Nutzerïnnen bald die Möglichkeit geben, sich von der Markierung des eigenen Accounts durch Dritte zu lösen (Techcrunch).
Header-Foto von Stavrialena Gontzou bei Unsplash