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Wie das deutsche Urheberrecht das Netz verändern könnte / Facebook arbeitet an Newsletter-Tools / Instagram bastelt an einem vertikalen Stories-Feed

Wie das deutsche Urheberrecht das Netz verändern könnte

Was ist

Am Mittwoch hat das Bundeskabinett dem "Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes" zugestimmt (PDF). Die 174 Seiten sollen die EU-Urheberrechtsrichtlinie in nationales Recht umsetzen.

Warum das wichtig ist

2019 gingen mehr als 100.000 Menschen auf die Straße, um gegen Upload-Filter und für das freie Netz zu protestieren. Nicht alle ihre Ängste mögen berechtigt gewesen sein, trotzdem gab es einen Grund für den Widerstand: Die Urheberrechtsreform der EU und die entsprechenden nationalen Gesetze werden das Netz und insbesondere Social Media verändern. Nicht zwangsläufig zum Guten.

Der deutsche Gesetzesentwurf strotzt vor komplizierten Begriffen und eignet sich hervorragend als Gute-Nacht-Lektüre für Menschen, die schlecht einschlafen. Aber er betrifft alle, die Inhalte im Netz hochladen, teilen oder einfach nur betrachten – also Millionen Menschen in Deutschland.

Wer soziale Netzwerke nutzt, kommt zwangsläufig in Kontakt mit dem Urheberrecht. Wir zitieren aus Texten, teilen Fotos, posten Links, unterlegen Videos mit Musik und erstellen Memes oder Collagen. Dabei verwenden wir oft urheberrechtlich geschützte Inhalte – teils legal, teils nicht.

Das neue Gesetz will all diese Nutzungen neu regeln. Kreative sollen entlohnt werden, wenn andere mit ihren Inhalten Geld verdienen. Doch was in der Theorie gut klingt, könnte zu einem komplexen, automatisierten Sperr- und Lösch-Regime führen, bei dem Software-Filter viele Uploads zu Unrecht blockieren.

Außerdem geht es um Geld. Viel Geld. Auf der einen Seite stehen Musik- und Filmindustrie, Verleger und andere Rechteinhaberïnnen. Auf der anderen Seite stehen Unternehmen, an deren Jahresumsatz noch eine Null mehr hängt: Google, Facebook und andere Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley.

Ihre Idealvorstellungen liegen weit auseinander: Die Verwerter wollen für jede Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks Geld sehen. Die Plattformen wollen möglichst weitreichende Ausnahmen. Diesen Spagat soll das neue Urheberrecht schlagen – und kann dabei nur scheitern.

Was war

Wenn du dich beruflich mit diesem Thema beschäftigst oder ein Netzpolitik-Nerd bist, kannst du diesen Abschnitt überspringen. Für alle anderen erklären wir noch mal kurz, warum Deutschland überhaupt ein neues Urheberrecht bekommen soll:

Wie sich das deutsche Gesetz gewandelt hat

Was im deutschen Gesetzentwurf steht

Warum Upload-Filter unvermeidlich sind

Warum das Gesetz auch gute Seiten hat

Wie es weitergeht

Be smart

Seit die EU die Reform auf den Weg brachte, steht fest: Deutschland wird es mit der Umsetzung nicht allen recht machen können. Tatsächlich ist kaum jemand so richtig glücklich über den Gesetzesentwurf (Ausnahmen wie GEMA und VG Wort bestätigen die Regel). Musik- und Filmindustrie, Verleger und andere Rechteinhaber klagen über die Ausnahmen. Plattformen beschweren sich, dass sie den Anforderungen kaum nachkommen können und zu viel Geld ausschütten müssen.

Man könnte sagen: Wenn beide Seiten jammern, ist es ein guter Kompromiss. Unserer Einschätzung nach trifft das nicht zu. Wir teilen im Wesentlichen die Kritik von Verbraucherschützern, Bürgerrechtsorganisationen, Netzpolitikerinnen, Aktivisten und zahlreichen Urheberrechtsexpertïnnen.

Upload-Filter ließen sich nicht vermeiden. Dazu sind die Vorgaben der EU zu eindeutig. Doch an anderen Stellen hätte die Bundesregierung Spielraum gehabt, ein Urheberrecht zu entwerfen, das die Interessen der Urheberïnnen berücksichtigt (iRights.info). Doch nach monatelangen Lobbyschlachten ist von den innovativen Ansätzen wenig übrig geblieben.

Vor anderthalb Jahren sprach ich mit dem Urheberrechts-Professor Martin Kretschmer. Damals sagte er (SZ):

Ich bezweifle, dass die Regierungskoalition bereit ist, die rückwärtsgewandte Richtlinie progressiv umzusetzen. Die Vergangenheit gibt wenig Anlass, optimistisch zu sein. Beim Urheberrecht haben sich meist die Bewahrer durchgesetzt, selten die Modernisierer.

Seine Einschätzung hat sich leider bewahrheitet:

Die Reform ist in den kontroversen Maßnahmen reine Industriepolitik, die wirtschaftlichen Interessen dient: Die Richtlinie sollte Plattenfirmen und Presseverlagen helfen. Das hat geklappt, aber mit einer überfälligen Neuausrichtung des Urheberrechts hat das wenig zu tun. (…) Die Interessen der Kreativen und der Nutzerïnnen haben eine untergeordnete Rolle gespielt.


Creator Economy

Facebook arbeitet an Newsletter-Tools

Eigentlich keine große Überraschung, eine Meldung ist es aber definitiv wert: Auch Facebook arbeitet hinter den Kulissen an Newsletter-Tools (New York Times), um im War for Talent (siehe Briefing #699) nicht das Nachsehen zu haben. Sicher: Newsletter sind kein Allheilmittel, sie können aber sehr wohl dabei helfen, die eigene Reichweite sinnvoll zu monetarisieren. Von daher ist Facebook gut beraten, ähnliche Features im Repertoire zu haben.

Substack-Gründer schießt gegen Facebook und Twitter

Dass Facebook und Twitter auch in das Newsletter-Business einsteigen, findet Substack-Gründer Hamish McKenzie gar nicht lustig. Stilecht schreibt McKenzie auf Substack, dass sein Unternehmen angetreten sei, die Welt vor der sogenannten „Attention Economy“¹ zu retten. Wenn jetzt Facebook und Twitter – also zwei Unternehmen, die jahrelang den Boden für eben diesen Kampf um Aufmerksamkeit bereitet haben – Newsletter-Tools anbieten, dann findet er das zwar vom Ansatz her richtig. Fiese Seitenhiebe kann er sich dennoch nicht verkneifen. Die Gründe für seine Gereitzheit liegen auf der Hand:

After all, they have announced very plainly that they intend to take our business.

¹ Die Ökonomie der Aufmerksamkeit, auch als Aufmerksamkeitsökonomie bezeichnet, ist ein Konzept der Informationsökonomie, das die Aufmerksamkeit von Menschen als knappes Gut betrachtet, und ökonomische Theorien zur Erklärung von menschlichen Verhaltensweisen und Thesen der Informationsökonomie verwendet. Mit der zunehmenden Vernetzung und den Neuen Medien sinken die Kosten für Information und Unterhaltung immer weiter. Begrenzend ist nicht mehr der Zugang, sondern die Aufmerksamkeit. Sie ist knappe Ressource, begehrtes Einkommen, ökonomisches Kapital und soziale Währung zugleich. (siehe Wikipedia)


Social Media & Politik

Facebook überdenkt Gruppen-Feature

Seit Jahren erklären aufmerksame Beobachterïnnen, dass Gruppen auf Facebook zur Radikalisierung beitragen können. Näh-Clubs und Bücher-Gruppen in allen Ehren, viel zu häufig finden sich Menschen aber auch in Facecbook-Gruppen wieder, um noch tiefer in extremen politischen Ansichten abzutauchen, manches Mal so gar gespickt mit Aufrufen zu Gewalt. Facebook ist das durchaus bekannt. Jetzt wollen sie endlich etwas dagegen tun (Wall Street Journal). Wer sich ein Bild davon machen will, was z.B. in AfD-Facebook-Gruppen passiert, sollte @DieInsider auf Twitter folgen.

Studie: Konservative Stimmen werden nicht zensiert

Die Mär, konservative Stimmen würden von den Plattformen systematisch unterdrückt, hält sich hartnäckig. Eine neue Untersuchung der New York University zeigt: Es gibt keine wissenschaftlich nachweisbaren Hinweise darauf, dass Konservative weniger Sichtbarkeit erhielten. Die Wissenschaftlerïnnen halten genau diese Erzählung vielmehr für eine Form von Desinformationskampagne.


Kampf gegen Desinformationen

TikTok führt Warnhinweise ein

Was auf anderen Plattformen bereits geübte Praxis ist, wird jetzt auch bei TikTok eingeführt (Axios): Sobald Nutzerïnnen Inhalte teilen wollen, die bereits als „irreführend“ markiert wurden, erhalten sie einen Warnhinweis. Teilen können sie den Post dann aber trotzdem.


Social Media & Journalismus

TikTok will mehr Lerninhalte

TikTok arbeitet weiter daran, als Plattform für Lerninhalte wahrgenommen zu werden. Group Nine Media erhält daher 50 Millionen Dollar aus dem Creative Learning Fund. Das Ziel: ansprechenden Content produzieren, der bei der Gen Z verfängt. Das ist deshalb so spannend, weil Verlage und Sender bei den anderen Plattform nicht nur gute Erfahrungen mit solchen Kooperationen gemacht haben. Mal schauen, wie sich das bei TikTok darstellt.

Clubhouse und die Verifizierungs-Falle

Eine neue Woche, ein neuer Aufreger auf Clubhouse. Dass Arafat Abou-Chaker sich mit einigen Journalistïnnen ein Stelldichein gab, hat eine gesonderte Betrachtung verdient (Zeit Online). Wir möchten an dieser Stelle zunächst einmal den Blick auf eine spannende Beobachtung der Kollegin Niddal Salah-Eldin richten: bei eben diesem Talk mit Abou-Chaker gab sich jemand als ein in der Branche durchaus bekannter Journalist aus. Erst später stellte sich heraus, dass eben dieser Kollege überhaupt nicht beim Talk anwesend war. Wohl kein Einzelfall: an anderer Stelle gab sich bereits jemand als Armin Laschet aus, wie Kristin Becker auf Twitter berichtet. Ein Problem, das Clubhouse schnell in den Griff kriegen muss. Ansonsten dürfte die App nämlich nur noch halb so spannend sein für all jene, die echten Promis gern nah sein möchten.


Neue Features bei den Plattformen

Instagram

WhatsApp

YouTube

TikTok


Tool der Woche: So sparst du dir Tipparbeit (und viel Zeit)


Header-Foto von Thor Alvis bei Unsplash