Zum Inhalt springen
11 Min. Lesezeit

Was aus der deutschen Contact-Tracing-App geworden ist, das große Mediensterben, die beliebtesten Kommunikationsdienste

Was aus der deutschen Contact-Tracing-App geworden ist, das große Mediensterben, die beliebtesten Kommunikationsdienste

Was aus der deutschen Contact-Tracing-App geworden ist

Was war

Der April war der Monat, in dem alle über Tracing-Apps gesprochen haben. Zwischenzeitlich konnte man den Eindruck gewinnen, als seien solche Apps ein Allheilmittel, das dem Coronavirus seinen Schrecken nehmen könnte.

Auch wir haben dem Thema im Laufe des Aprils ein halbes Dutzend Analysen gewidmet und sind dabei ausführlich auf Risiken, Nebenwirkungen und die aller Voraussicht nach begrenzte Wirksamkeit von Tracing-Apps eingegangen:

Was ist

In den vergangenen Wochen ist es stiller geworden um die Tracing-Apps. Nachrichten, die einen Monat zuvor noch ein großes Medienecho ausgelöst hätten, tauchen jetzt eher bei Heise und Golem als beim Spiegel und der FAZ auf. Wenn größere Medien doch berichten, dann hält sich das Interesse der Leserïnnen in Grenzen (das können wir zumindest in Bezug auf die SZ und Zeit Online sagen, wo wir die Zugriffszahlen kennen).

Was kommt

Der Hype scheint vorbei zu sein, die Entwicklung aber geht weiter. Mittlerweile haben sich die teils überzogenen Hoffnungen und Erwartungshaltungen verflüchtigt, die manche mit der App verbunden haben.

Dem Gartner-Hype-Cycle (Wikipedia) nach, der den Umgang mit neuen Technologien beschreibt, befinden wir uns jetzt im „Tal der Enttäuschungen”. Nach dem „Gipfel der überzogenen Erwartungen” haben wir den Tiefpunkt erreicht – ab sofort müsste es aufwärts gehen. Glaubt man der Kurve, folgen nun der „Pfad der Erleuchtung” und das „Plateau der Produktivität”.

In dieser Ausgabe wollen wir versuchen, drei Fragen zu beantworten:

  1. Rückblick: Warum hat das Interesse so schnell so stark nachgelassen?
  2. Bestandsaufnahme: Wie steht es um die Entwicklung der deutschen Tracing-App?
  3. Ausblick: Kann die App doch noch zu einem wichtigen Baustein im Kampf gegen die Pandemie werden?

1. Warum hat das Interesse so schnell so stark nachgelassen?

Der wichtigste Grund ist das Chaos der vergangenen Wochen:

Hinzu kommen eine Reihe weiterer Gründe:

2. Wie steht es um die Entwicklung der deutschen Tracing-App?

3. Kann die App doch noch zu einem wichtigen Baustein im Kampf gegen die Pandemie werden?

In Ausgabe #630 haben wir Dutzende mögliche Probleme genannt, die dem Erfolg von Tracing-Apps im Weg stehen könnten, die wir den Kategorien „Verbreitung”, „Verwirrung”, „Zuverlässigkeit”, „Sicherheit”, „Psychologische und soziale Folgen” und „Testkapazitäten” zugeordnet haben. In Briefing #634 haben wir weitere Hürden und Herausforderungen aufgelistet und präzisiert.

All diese Punkte sind nach wie vor aktuell. Hinzu kommen zwei Berichte aus dem Ausland, die in den vergangenen Wochen die Runde machten – und nicht unbedingt zuversichtlich stimmen:

„The technology is more or less … I wouldn’t say useless. (…) I would say Rakning has proven useful in a few cases, but it wasn’t a game changer for us.”

Der Covid-Tracing-Tracker des MIT gibt einen guten Überblick, welche Länder bereits Tracing-Apps einsetzen und wie die Apps jeweils ausgestaltet sind. Bislang haben wir von keiner App gehört, die gleichzeitig datenschutzfreundlich (invasive Tracking-Systeme wie etwa in China fallen damit weg) und effektiv ist.

Das stimmt wenig zuversichtlich, was den Erfolg der deutschen App angeht. Ein Rechenbeispiel mit folgenden Grundannahmen:

In diesem Beispiel nutzen 27 Millionen Menschen die App, das sind etwa 35 Prozent der Bevölkerung. Das bedeutet, dass etwa jede achte Kontaktpersonen eines Infizierten gewarnt werden kann.

Das ist natürlich besser als nichts und kann helfen, R zu senken – zeigt aber auch, dass wir uns endgültig von der Illusion verabschieden sollten, dass eine App ein normales Leben ermöglichen wird, wie wir es vor der Pandemie geführt haben.

Umso erschreckender sind die Äußerungen, die jetzt von einigen konservativen Politikerïnnen zu hören sind:

Wir wissen noch nicht, wann die App kommen wird und wie viele Menschen sie nutzen werden. Eines wissen wir aber mit Sicherheit: Dass einige Politikerïnnen jetzt schon anfangen, die Freiwilligkeit in Frage zu stellen, die sie zuvor immer wieder garantiert hatten, macht uns schlechte Laune.


Das große Mediensterben beginnt – wer ist Schuld?

Wer irgendwas mit Medien macht, dürfte es mitbekommen haben: Das Coronavirus hat nicht nur das öffentliche Leben weitgehend lahmgelegt, sondern auch die Anzeigenerlöse vieler Verlage einbrechen lassen. In Deutschland sind etliche Redaktionen in Kurzarbeit – in den USA sieht es noch deutlich übler aus.

Poynter sammelt alle Zwangsurlaube, Kündigungen und Pleiten, die seit dem Ausbruch der Pandemie verkündet wurden – es ist eine sehr lange Liste. Darunter sind nicht nur viele Dutzend lokale und regionale Zeitungen, Radiosender und TV-Stationen, sondern auch digitale Medien (Washington Post), die noch vor wenigen Jahren als die Zukunftshoffnung des Journalismus galten, vor allem auf Social Media als Verbreitungskanal setzten und teils mit vielen Milliarden bewertet wurden:

Im April schrieb die New York Times von 36.000 betroffenen Angestellten und Mitarbeiterïnnen bei Medienunternehmen, mittlerweile dürften es deutlich mehr sein. Meist werden zwei Gründe für die Krise genannt – ein akuter und ein grundsätzlicher:

But we aren’t seeing the return from the platforms benefiting and making money from our hard work. Now, after many years of this, the squeeze is becoming a chokehold. Platforms are not just taking a larger slice of the pie, but almost the whole pie.

Beide Erklärungsansätze greifen zu kurz:

Die Ansicht, Facebook und Google müssten die Medien retten, indem sie für Inhalte Geld bezahlen, ist leider weit verbreitet – was zu bedauerlichen Initiativen wie dem deutschen Leistungsschutzrecht geführt hat.

Auch Ben Smith, der (eigentlich sehr gute) Medienkolumnist der New York Times, der selbst erst vor kurzem von BuzzFeed weggekauft wurde (Piqd), beschreibt in einem einseitigen und oberflächlichen Text die weltweiten Bestrebungen, Big Tech für Medien zahlen zu lassen. Ben Thompson nimmt die vorgebrachten Argumente standesgemäß auseinander (Stratechery).

All das beantwortet die entscheidende Frage natürlich noch nicht: Wer soll denn nun für Journalismus bezahlen, wenn es offensichtlich nicht mehr genug Menschen gibt, die dafür bereit sind? Oder, präziser ausgedrückt: Wenn viele Verlage nicht in der Lage sind, Menschen den Wert ihrer Arbeit zu vermitteln und einfache Möglichkeiten anzubieten, Abonnements abzuschließen?

Dieser Frage wollen wir in einem der kommenden Briefings nachgehen und dabei ausführlicher auf die Rolle von Facebook und Google eingehen, die derzeit viele Millionen für Medien und Journalismus bereitstellen.


Kampf gegen Desinformation und Hass

Gebrauchsanweisung: Wir haben in den vergangenen Wochen zweimal ausführlich über Verschwörungsmythen geschrieben. Einmal gingen wir der Frage nach, warum so viele Menschen an Verschwörungen glauben (Briefing #636). Das andere Mal ging es um die Frage, warum eine pauschale Abwertung der Proteste gefährlich ist (Briefing #637). Was wir bislang nicht aufgeschrieben haben: Was soll man eigentlich tun, wenn Freunde und Bekannte mit Verschwörungsmythen ankommen? Die Krautreporter haben dazu eine interessante Gebrauchsanweisung veröffentlicht (€).

Irreführende Corona-Informationen finden Nutzerïnnen vor allem über YouTube und verbreiten sie über WhatsApp. So lautet das Ergebnis von CORRECTIV.Faktencheck, die mehr als 1800 Hinweise von Leserïnnen zu möglicher Desinformation über das Coronavirus ausgewertet haben.


Studie

Bundesnetzagentur veröffentlicht Bericht zu Online-Kommunikationsdiensten und stellt fest, dass die drei beliebtesten Dienste WhatsApp, Facebook Messenger und Instagram alle zum Facebook-Konzern gehören. Nein! Doch! Die Ergebnisse, die auf einer repräsentativen Verbraucherbefragung basieren, zeigen, dass rund 83 Prozent der Befragten regelmäßig OTT-Dienste nutzen – also solche, die über das Internet mit Hilfe von Smartphones erbracht werden. Laut Studie bestehe dabei vor allem in jüngeren Altersgruppen eine hohe Affinität zu diesen Diensten: der Nutzeranteil in der Gruppe der 16- bis 24-Jährigen liegt bei 98 Prozent. Mit anderen Worten: Quasi alle Heranwachsenden nutzen entweder WhatsApp (96 Prozent), Facebook Messenger (42 Prozent) oder Instagram (30 Prozent). Hui.


Follow the money

Facebook Shops könnte dem Unternehmen laut einer Untersuchung der Deutschen Bank bis zu 30 Milliarden Dollar an zusätzlichen Umsätzen einbringen, schreibt Business Insider. In Briefing #639 haben wir aufgeschrieben, was es mit Facebooks Shops auf sich hat.

Zuckerberg: drittreichster Mann der Welt: Laut Bloomberg hat Facebook-Chef Mark Zuckerberg sein Privatvermögen innerhalb der vergangenen zwei Monate um 30 Milliarden Dollar steigern können. Damit landet Zuck nun bei rund 89 Milliarden Dollar und auf Platz 3 der reichsten Männer der Welt. Auf Platz 1 und 2 befinden sich Jeff Bezos und Bill Gates.


Schon einmal im Briefing davon gehört

Peanuts: Es gibt ein neues soziales Netzwerk, das sich ausschließlich an Frauen richtet. 1,6 Millionen Nutzerinnen zählt die Plattform bislang. Jetzt hat Peanuts 12 Millionen Dollar Risikokapitel eingesammelt (Techcrunch), um weiter zu wachsen. 👀


Tipps und Tools

Trash ist so etwas wie Apples Rückblick-Funktion, nur eben auf Steroide. Zwar haben wir die App bislang nur einmal ausprobiert, die ihr zugrundeliegende Technik macht aber einen wirklich spannenden Eindruck: The Trash app’s new features can create AI-edited music videos and more (Techcrunch)

Stack bietet die Möglichkeit, Browser-basierte Dienste besser zu clustern. So lassen sich Tabs in sogenannten Stacks bündeln und schneller wiederfinden, bzw. benutzen: getstack.app.


Header-Foto von United Nations COVID-19 Response bei Unsplash