Zum Inhalt springen

Trump zwingt Zuckerberg, sich (endlich) zu positionieren

Trump zwingt Zuckerberg, sich (endlich) zu positionieren

Was ist

Hinter uns liegt eine turbulente Woche. Vergangenen Freitag habe ich einen Kommentar für die SZ so begonnen:

Twitter hat eine Aufklärungsdrohne geschickt, Donald Trump hat mit einer Atombombe geantwortet. So lassen sich die Ereignisse der vergangenen Tage in der Kriegsrhetorik des US-Präsidenten zusammenfassen.

Aber im zweiten Absatz eingeschränkt:

Aller Voraussicht nach wird die Bombe nicht explodieren.

Nun stellt sich heraus: Die Bombe mag ein Blindgänger sein, aber Twitter befindet sich trotzdem im Krieg – und Facebook wird mit hineingezogen, obwohl es eigentlich lieber die Weiße Flagge hissen würde.

All die martialischen Vergleiche beziehen sich auf die Folgen von Twitters Entscheidung, zwei Tweets von Donald Trump mit einem Faktencheck zu versehen und einen weiteren mit einem Warnhinweis. Darauf reagierte Trump mit einem Dekret, das Section 230 einschränken soll. Die komplette Chronologie der Ereignisse und eine ausführliche Einordnung gibt es in Ausgabe #641.

Wir knüpfen in diesem Briefing direkt an den vergangenen Newsletter an und erklären, warum der mächtigsten CEO der Welt ein gewaltiges Problem hat: den mächtigsten Politiker der Welt. Moralische Grenzen überschreitet Trump täglich – nun muss sich Mark Zuckerberg entscheiden, ob der US-Präsident auch Facebooks eigene Regeln bricht. Die Antwort auf diese Frage wird das Unternehmen Facebook auf Jahre hinaus prägen.

Um den Newsletter übersichtlich und zumindest formal leicht verdaulich zu halten, weichen wir von unserer gewohnten Gliederung ab: Wir fassen zuerst kompakt die wichtigsten Ereignisse der vergangenen Tage zusammen. Daran schließen wir acht Thesen, Takeaways und Talking Points an, die wir jeweils kurz erläutern. Zumindest das Ende ist bekannt und bewährt: Be smart

Was passiert ist: die Chronologie

These THUGS are dishonoring the memory of George Floyd, and I won’t let that happen. Just spoke to Governor Tim Walz and told him that the Military is with him all the way. Any difficulty and we will assume control but, when the looting starts, the shooting starts. Thank you!

This Tweet violated the Twitter Rules about glorifying violence. However, Twitter has determined that it may be in the public’s interest for the Tweet to remain accessible.

Mark always told us that he would draw the line at speech that calls for violence. He showed us on Friday that this was a lie. Facebook will keep moving the goalposts every time Trump escalates, finding excuse after excuse not to act on increasingly dangerous rhetoric.

Was das bedeutet: acht Thesen

1. Big Tech ist politisch

Die Monate, in denen die Pandemie vergleichsweise unpolitisch war, sind vorbei. In den USA hat der Wahlkampf begonnen, und egal, was Facebook und Twitter tun – sie werden es nicht allen recht machen können.

It felt to me that over the last couple of months there was this brief moment of unity with our response on Covid, where it felt like we were all in this together.

2. Trumps Dekret wird juristisch scheitern und trotzdem Wirkung haben

3. Es gibt einen anti-konservativen Bias im Silicon Valley – aber Republikaner können sich trotzdem nicht beschweren

4. Zuckerberg handelt aus Überzeugung und liegt nicht völlig falsch

5. Die kritischen Mitarbeiterïnnen sprechen nicht für das ganze Unternehmen

6. Facebook muss diverser werden

7. Zuckerberg muss sich entscheiden, wofür er (und damit Facebook) steht

8. Die Konfrontation mit Trump könnte auch aus Business-Sicht sinnvoll sein

Facebook’s real risk here, as I see it, is getting branded as the social network for racists. Talent retention is the top challenge for every tech company. We’re going through history, right now, and Facebook is on the wrong side of it. No one wants that on their resume.

Be smart

Facebook selbst hat erst vor wenigen Wochen eine Institution geschaffen, das genau solche grundsätzlichen Fragen beantworten könnte, über die kein allmächtiger Manager allein entscheiden sollte: Erst Mitte Mai, in Ausgabe #638, haben wir Facebooks Oversight Board vorgestellt.

Dieses Gremium soll grundsätzliche inhaltliche Entscheidungen treffen und ähnlich einem Verfassungsgericht Leitlinien und Präzedenzfälle schaffen. Seine Urteile sollen den Rahmen vorgeben, welche Inhalte die wichtigste Kommunikationsplattform der Welt zulässt – und welche nicht.

Es gibt nur zwei Probleme:

  1. Das Board soll zu Beginn nur über Inhalte entscheiden, die entfernt wurden – nicht über Fälle, in denen Facebook der Aufforderung zum Löschen widersprochen hat. Trumps Post fällt in die zweite Kategorie.
  2. Die Arbeit soll erst im Laufe des Jahres beginnen (Twitter / Oversight Board). Derzeit sind die 20 Mitglieder noch nicht einsatzfähig, weil das Coronavirus dazwischengekommen sei. Unter anderem hätten sie noch keine Laptops (Twitter / Judd Legum).

To repeat: Eines der mächtigsten Unternehmen der Welt schafft es nicht, 20 hochrangige und sorgsam ausgewählte Personen, darunter Nobelpreisträgerinnen, Chefredakteure und ehemalige Ministerpräsidentinnen, mit Laptops auszurüsten? Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für Facebook, ein paar Laptops auf die Reise zu schicken – und Zuckerberg eine Entscheidung abzunehmen, die er nicht allein treffen sollte.


Header-Foto von Josh Hild bei Unsplash