Was ist
Eigentlich haben wir am Dienstag alles zu Threads gesagt. Wenn du unsere Analyse verpasst hast – hier entlang: "Threads kommt in die EU: Was für einen Erfolg spricht – und was dagegen"
Für heute hatten wir ein anderes Thema geplant, haben um kurz nach 12 Uhr aber gemerkt: Vielleicht doch kein so gutes Timing, am Tag des Starts von Threads gar nichts zu Threads zu machen. Statt zu wiederholen, was wir vorgestern geschrieben haben, konzentrieren wir uns auf die Eindrücke der ersten Stunden und ergänzen das mit aktuellen Entwicklungen.
Wie sich Threads anfühlt
- Was poste ich als Erstes? Wer ist schon alles hier? Wem soll ich folgen? Worüber wird geredet? Wie ist der Ton?
- Sich bei einer neuen Plattform anzumelden, löst ein ähnliches Gefühl aus, wie eine Party zu betreten, auf der man nur einen Teil der Gäste kennt.
- Alles ist ein bisschen aufregend, noch nicht ganz vertraut. Man weiß nicht, ob die bewährten Witze funktionieren, ob man eher in der Küche oder auf dem Balkon rumhängen soll und wie lange die Party dauern wird.
- So ähnlich lief das bei uns auch auf Threads – mit zwei entscheidenden Unterschieden: Der Gastgeber hat offenbar ziemlich viel Erfahrung damit, Partys zu organisieren. Und man wird sofort allen Gästen vorgestellt, die man kennt.
- Vom ersten Moment fällt auf, wie reibungslos alles läuft. Meta weiß, wie man große Plattformen managt. Threads hat die Beta-Phase längst verlassen, schließlich ist Tag 1 in der EU Tag 163 in den USA.
- Die meisten Early Adopter hatten sowieso schon einen Account, kurzzeitig konnte man Threads im Juli über Umwege auch in der EU nutzen. Es dauerte also nur wenige Minuten, bis sich der Feed füllte.
- Sofort waren Dutzende vertraute Stimmen und Gesichter am Start. Der Instagram-Hebel funktioniert perfekt, Netzwerkeffekt, it's a thing. Zumindest in unserem Freundes- und Bekanntenkreis scheinen viele Leute auf das Ende des Countdowns gewartet zu haben, um endlich posten zu können.
Warum das nur begrenzte Aussagekraft hat
- Wir sind Journalisten, die sich mit Social Media und Tech beschäftigen. Natürlich haben die meisten Menschen, mit denen wir uns online vernetzen, mitbekommen, dass Threads startet.
- Das sind größtenteils dieselben Leute, die bei Clubhouse, BeReal, Mastodon und Bluesky mitgemischt haben. Damit Threads sich langfristig etabliert, muss es andere Menschen erreichen. Meta macht jedenfalls fleißig Werbung vor dem Brandenburger Tor (Threads).
- In den USA brach Threads zum Start alle Rekorde, doch das Interesse flaute schnell ab. Entscheidend ist nicht, was am ersten Tag oder in der ersten Woche geschieht. Abgerechnet wird frühestens in ein paar Monaten. Erst dann zeigt sich, ob Threads sich etablieren kann.
- Vielleicht lässt sich dann auch absehen, in welche Richtung sich die Plattform entwickelt. Formieren sich Debattenräume, Nischen und Echtzeit-Kommunikation, wie wir sie von Twitter kennen? Oder wird Threads eher die textbasierte Erweiterung von Instagram, auf dem Creator Shopping-Links verbreiten?
Was Meta mit Threads vorhat
- Vor zwei Tagen schrieben wir:
In Echtzeit über Politik diskutieren, Regierungschefs und Präsidentinnen aus aller Welt folgen, Fotos und Videos von Krisen und Kriegen aus erster Hand sehen – vieles, was Twitter auszeichnete, dürfte bei Meta eher Schaudern auslösen. Mosseri hat mehrfach deutlich gemacht, dass Meta wenig Lust auf Politik und Nachrichten hat. Das macht im Zweifel nur Ärger, lässt sich schlecht vermarkten und spaltet die Nutzerïnnen. Auch bei Twitter überstiegen Relevanz und (vermutetes) Potenzial immer den finanziellen Erfolg – davon kann sich Meta aber nichts kaufen.
- Das gilt nach wie vor. Allerdings möchten wir etwas ergänzen: Plattformen entwickeln sich nicht immer in die Richtung, die sich Betreiber wünschen. Zum Glück nicht.
- Meta wird politische Debatten und journalistische Inhalte mit Sicherheit nicht fördern. Aber Mark Zuckerberg und Adam Mosseri können Menschen auch nicht verbieten, darüber zu diskutieren.
- Falls Threads tatsächlich Hunderte Millionen Menschen und prominente Politikerïnnen erreicht, wird ein Teil dieser neuen Öffentlichkeit zwangsläufig politisiert werden.
- Auch auf der selbst ernannten Unterhaltungs-Plattform TikTok spielen die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten eine Rolle. Auf Threads trendete heute Mittag übrigens der Tag „freepalestine“.
- Darauf scheint man sich bei Meta bereits eingestellt zu haben. Vom kommenden Jahr an sollen die Faktencheck-Organisationen, mit denen Meta zusammenarbeitet, auch Inhalte auf Threads prüfen und einstufen können (Meta-Newsroom).
- Nutzerïnnen sollen dann auch einstellen können, wie viele Inhalte sie in ihrem Threads-Feed sehen möchten, die von Faktencheckern bewertet wurden. In den USA ist das bereits auf Instagram und Facebook möglich.
- Ebenfalls spannend ist die angekündigte Anbindung ans Fediverse. Aktuell testet Meta die Schnittstelle mit einigen ausgewählten Accounts, die auf Mastodon sichtbar sind (Richard MacManus / Mastodon).
- Keine Frage, für Meta ist das in erster Linie nützliche PR. Offene Standards und Interoperabilität machen sich immer gut, wenn man mit EU-Abgeordneten diskutiert. Auch Tech-affine und Datenschutz-besorgte Menschen, die Meta eher kritisch sehen, dürften Meta die Entscheidung positiv auslegen.
- Der reale Nutzen für die meisten normalen Nutzerïnnen ist aktuell überschaubar. Kaum jemand wird deshalb von Threads zu Mastodon oder einem anderen dezentralen Netzwerk abwandern, das ans Fediverse angeschlossen ist. Wenn überhaupt, gibt es eine Zuwanderungsbewegung hin zu Threads.
- Und trotz allem Eigennutz: Natürlich ist es gut, dass Threads auf dem Activity-Pub-Protokoll beruht. Je mehr Instanzen diesen Standard unterstützen, desto realistischer wird eine Welt, in der man plattformübergreifend kommunizieren und mit überschaubarer Mühe zwischen Plattformen hin- und herwechseln kann.
Warum wir verhalten optimistisch sind
- Wenn man über "das alte Twitter", Blogs oder das Internet der Nullerjahre redet, läuft man immer Gefahr, die Vergangenheit nostalgisch zu verklären. Die Überschrift dieses Texts von Lisa Hegemann fasst den Mechanismus gut zusammen: "Wann wird es wieder so schön, wie es nie war?" (Zeit Online).
- Wir nehmen uns da selbst nicht aus. In der Rückschau wirken die meisten Dinge schöner, als sie wirklich waren.
- Dennoch sehnen wir uns einen Debattenraum zurück, wie Twitter ihn einst bot. Uns fehlt nicht die Plattform, aber der Austausch, die klugen Menschen, die sarkastischen Witze, ja selbst die Tweets, über die man sich aufregte.
- Dieses Gefühl teilen wir mit vielen Millionen Menschen. Es gibt ein Bedürfnis nach einem Ort, der eine ähnliche Funktion erfüllt, an dem man Hottakes hinausposaunen, sich austauschen oder stumm mitlesen kann.
- In den USA steigen die Nutzerzahlen nach dem Einbruch langsam wieder an. Allmählich wechseln Promis, Sportlerinnen, Journalisten und Politikerïnnen die Plattform.
- Wir bezweifeln, dass Threads jemals eine Plattform sein wird, auf der solche Diskussionen im Vordergrund stehen. Das macht aber nichts. Auch Twitter war vieles auf einmal, je nach Nische, in der man sich bewegte.
- Uns würde es völlig reichen, wenn wir uns auf Threads eine Community zusammenbauen könnten, die uns einen ähnlichen Mehrwert bietet wie Twitter vor Musk. Bei Threads kommt uns dieses Szenario realistischer vor als bei Mastodon und Bluesky.
Next (AR, VR, KI, Metaverse)
- KI & Journalismus 1: OpenAI und Axel Springer haben einen Deal eingetütet. Zum einen wird OpenAI dazu befähigt, ChatGPT mit Artikeln aus dem Hause Springer zu trainieren. Zum anderen soll ChatGPT Antworten auf Basis von Springer-Artikeln ausspucken, die zudem auf die Originalquellen verweisen. (Axios)
- KI & Journalismus 2: Auch die New York Times stellt sich die Frage, wie sie KI-Plattformen stärker mit ihren Angeboten verschränken kann. Um Prototypen zu entwickeln und Antworten zu finden, wurde nun der Posten eines AI Director Newsroom geschaffen — erster Direktor wird Quartz-Gründer Zach Seward. (Axios)
- Metas smarte Sonnenbrille soll dank hauseigener KI Dinge erkennen und Sprachen übersetzen können. (The Verge)
- Metas neues KI-Audio-Tool ist live: Audiobox statt Autotune. (AI Meta)
X-Watch
- Wie schade: Kurt Wagner berichtet bei Bloomberg, dass X dieses Jahr nur rund die Hälfte der Werbeeinnahmen im Vergleich zum Vorjahr verbuchen kann: 2,5 Milliarden Dollar sind aber immer noch unglaublich viel, wenn man sich vor Augen führt, was X für eine Jauchegrube ist.
- Wie erwartet testet Verschwörungs-Super-Spreader Alex Jones gleich mal aus, wo unter Musks Regime die Grenzen des Sagbaren bei X liegen. Die Behauptung, dass der Angriffskrieg auf die Ukraine eine „False Flag“-Operation seitens der Ukraine sei, um die Nato in einen Krieg mit Russland zu verwickeln, geht laut Musk klar. Dass „die Globalisten“ Anweisungen gegeben hätten, „Impftote“ zu verschweigen, ist ebenfalls eine gern gelesene und durchaus „legitime“ Meinung auf X 😮💨
- Wie kaputt X auch technisch ist, wurde einem Mittwoch wieder vor Augen geführt: Jeder einzelne Link führte für gut eine Stunden zu einer Fehlermeldung. (Mashable)
Schon einmal im Briefing davon gehört
- Flipside statt Finsta: Bastelt Instagram an einem Feature, mit dem sich Fotos mit ausgewählten Kontakten teilen lassen? Sieht ganz so aus. Dann hätte der Finsta-Account für viele wohl ausgedient. (TechCrunch)
- Peak TikTok? Könnte es sein, dass TikTok seinen Peak erreicht hat? Neueste Zahlen deuten darauf hin, dass die chinesische Kurzvideo-App in den USA sein Wachstum ausgereizt hat. Jetzt geht es nur noch um time und money spent. Das „well“ streichen wir mal an dieser Stelle. (NBC News)
Tipps fürs Wochenende
- The Year Twitter Died: The Verge hat eine Artikel-Serie zu Twitter publiziert, die in uns ganz dolle 2010er-Vibes auslöst. Zum einen ist es eine Serie, die sich mit der für uns wichtigsten Plattform der letzten zehn Jahre beschäfigt, ja sie förmlich zu Grabe trägt. Zum anderen ist die Reihe grafisch so nett aufbereitet, wie es früher™ (als Verlage für so etwas noch Geld hatten) durchaus häufiger der Fall war. The Verge
- How Anxiety Became Content: The way we commonly discuss mental-health issues, especially on the internet, isn’t helping us. (The Atlantic)
Neue Features bei den Plattformen
- WhatsApp lässt User nun Nachrichten in (Gruppen-) Chats anpinnen. (TechCrunch)
- Instagram ermöglicht Nutzerïnnen, Videos als Status bei Notes zu hinterlegen.(The Verge)
- Zudem können Creator jetzt mit der Streaming-Software ihrer Wahl bei Insta live gehen. (Instagram)
BeReal
- BeReal sieht sich seit den Ergebnissen der Pew-Studie im Aufwind und droppt direkt ein paar neue Features, um die rund 13 Prozent US-Teens bei Laune zu halten: Invite-only Chat-Gruppen und ein neuer „Behind the Scenes“-Modus sollen erst der Anfang sein. (TechCrunch)