"State of Mobile 2022": Die wichtigsten Erkenntnisse aus dem App-Annie-Report

Was ist

Das Analyse-Unternehme App Annie hat den Report "State of Mobile 2022" veröffentlicht. "Mobile is eating the world" nannte Benedict Evans schon 2016 eine Präsentation. Die Erkenntnis, dass Smartphones recht wichtig sind, reißt sechs Jahre später also niemanden mehr vom Hocker.

Der Report geht aber deutlich darüber hinaus und liefert einige spannende Einblicke in das wichtigste Ökosystem des Internets. Nicht alle Aspekte haben direkt mit unserem Kernthema zu tun. Da sämtliche Apps, von Shopping über Unterhaltung bis Social Media, um die begrenzte Aufmerksamkeit der Nutzerïnnen konkurrieren, gehen wir in unserer Zusammenfassung zumindest kurz darauf ein.

Die Zahlen beruhen auf Erhebungen von App Annie, die sich kaum unabhängig überprüfen lassen. Soweit wir das beurteilen können, ähneln die Ergebnisse den Analysen konkurrierender Unternehmen. Wer auf die Nachkommastelle Wert legt, sollte sich woanders umsehen, die Tendenz dürfte aber stimmen.

Was App Annie herausgefunden hat

1. 2021 war ein crazy Rekordjahr

  • Einfach nur ein paar Zahlen: 230 Milliarden App-Downloads (435.000 pro Minute), 170 Milliarden Dollar Umsatz in den App-Stores (320.000 Dollar pro Minute), durchschnittlich 4,8 Stunden pro Tag am Handy, 295 Milliarden Dollar Ausgaben für mobile Werbung (nur 40 Staaten haben ein größeres Bruttoinlandsprodukt).
  • Alle Zahlen liegen weit über dem Niveau des Vorjahrs. Die Pandemie hat Spuren in der Wirtschaft hinterlassen, die meisten Digitalkonzerne und App-Entwickler haben massiv profitiert.
  • In Ländern wie Brasilien, Indonesien und Südkorea schauen die Menschen im Schnitt mehr als fünf Stunden pro Tag auf ihr Smartphone – das ist gut ein Drittel der Zeit, in der sie nicht schlafen. In Deutschland sind es vergleichsweise moderate 3,5 Stunden.

2. Social und Video dominieren

  • Global gesehen verbringen Menschen gut 70 Prozent ihrer Zeit am Handy in Apps wie Instagram, YouTube, TikTok und WhatsApp – also alles, was mit Kommunikation, sozialer Interaktion und Bewegtbild zu tun hat.
  • Games machen weniger als zehn Prozent aus, Unterhaltung gerade mal zwei Prozent, journalistische Medien werden gar nicht erst separat ausgewiesen. (Wir wissen nicht, ob Streaming-Dienste wie Netflix zur Video-Kategorie oder zu Unterhaltung zählen. In Anbetracht der Zahlen tippen wir auf Ersteres, sonst könnten wir uns den geringen Unterhaltungs-Anteil nicht erklären.)
  • In Deutschland sieht das Bild deutlich anders aus: Games sind die zweitwichtigste Sparte nach Social & Kommunikation, Foto & Video folgt mit großem Abstand auf Platz drei. Apropos Games …

3. Games sind soooo freakin' groß

  • Wir sind beide keine Gamer, erst recht nicht auf dem Handy, aber howdy: 233 Apps erzielten einen Umsatz von mehr als 100 Millionen Dollar – davon sind 174 mobile Games und nur 59 Apps, die nichts mit Spielen zu tun haben.
  • Weltweit wurden im vergangenen Jahr 116 Milliarden Dollar in oder für mobile Games ausgegeben. In Deutschland waren es 2,8 Milliarden.
  • Das mit großem Abstand beliebteste Genre sind Hypercasual-Games, also Spiele, die man ohne groß nachzudenken nebenbei daddeln kann.
  • Jüngere Nutzerïnnen bevorzugen Roblox, Among Us, Pokémon (war der Hype nicht 2017 vorbei?) und Minecraft. Die beliebtesten Games der Boomer heißen Candy Crush und Solitär.
  1. Der Graben zwischen Gen Z und Boomern ist riesig
  • App Annie hat sich angeschaut, wie Babyboomer & Gen X (45+), Millennials (25-44) und Gen Z (16-24) mobile Apps nutzen. Wir sind keine allzu großen Fans dieser manchmal etwas willkürlichen Einteilungen in "Generationen", doch das Ergebnis ist so eindrücklich, dass wir es trotzdem wiedergeben möchten.
  • Die am weitesten verbreiteten Apps unter Babyboomern & Gen X sind demnach (in dieser Reihenfolge, alle Statistiken für Deutschland, Grundlage bilden die monatlich aktiven Nutzerïnnen): CovPass, Corona-Warn-App, Weather & Radar, Signal, luca.
  • Für Millennials: Facebook, Amazon, Facebook Messenger, eBay Kleinanzeigen, eBay.
  • Für die Gen Z: WhatsApp, Instagram, Spotify, Netflix.
  • Übereinstimmung: null. Bildung (logisch), Video, Social, Musik und Unterhaltung sind jung, Wetter, Nachrichten, Reisen und Medizin sprechen eher ältere Menschen an.
  • Auch die Unterschiede je nach Geschlecht fallen drastisch aus und scheinen manches Klischee zu bestätigen. Männer interessieren sich für Sport, Wirtschaft, Wetter, Produktivität und Finanzen. Frauen nutzen eher Apps für Shopping, (Weiter-)Bildung, Gesundheit und Essen.
  1. Video, Video, Video
  • Wenn wir den Report lesen, fragen wir uns, ob wir unseren Newsletter nicht besser dicht machen und durch einen YouTube-Kanal ersetzen sollten. Offenbar können Menschen gar nicht genug davon bekommen, auf einem kleinen Display bewegte Bilder anzuschauen.
  • Die Zeit, die Menschen mit Videos verbringen, stieg 2021 um rund ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr. Netflix dominiert, Amazon Prime Video und Disney+ folgen ungefähr gleichauf.
  • Leider werden für die einzelnen Apps keine Nutzungsdauer, sondern nur Downloads und das Geld ausgewiesen, das Menschen direkt in der App ausgeben. In beiden Kategorien liegt YouTube in Deutschland nur auf Platz drei.
  • Wir erklären uns das damit, dass die App auf vielen Android-Handys vorinstalliert und schon sehr verbreitet ist. Zudem geben Menschen nur selten aktiv Geld in YouTube aus, indem sie etwa Mitgliedschaften für Kanäle abschließen, sondern eher passiv über den Konsum von Werbung.

6. Social ist Live, Video – und TikTok

  • Erst Text und Chat, dann Foto und Video, zuletzt Live: Glaubt man App Annie, dann sind das die Evolutionsstufen von Social Media. (Dazu gibt es einen eigenen Report aus dem vergangenen September.)
  • Denn während die Zeit, die Menschen 2021 in Social-Media-Apps verbrachten, insgesamt nur um fünf Prozent wuchs, nahm die Zeit, in der sie sich mit Livestreaming beschäftigen, um 40 Prozent zu.
  • App Annie betrachtet Streaming-Apps wie Twitch und Bigo Live dabei als Untergruppe von Social-Media-Apps.
  • Der andere große Gewinner des vergangenen Jahres heißt TikTok. Obwohl die App auch 2020 schon Rekorde brach und sämtliche Statistiken (Download, MAUs, Time spent) dominierte, setzte TikTok 2021 noch mal eins drauf.
  • Das Einzige, was Metas Zahlen etwas schönt, ist das TikTok-Verbot in Indien. Der Markt ist so riesig, dass sich der gewaltige Zuwachs für Instagram und Facebook auch global niederschlagt.
  • Für alle weiteren Zahlen und eine ausführlichere Analyse zu TikTok verweisen wir auf Ausgabe #768. In unserem ersten Newsletter des Jahres erklärten wir, warum mit großer Reichweite große Verantwortung kommt, und äußerten eine Hoffnung, die sich nicht zu erfüllen scheint:

TikTok hat eine große Chance: Es könnte aus den Fehlern lernen, die andere Plattformen gemacht haben. Facebook und Twitter haben etwa jahrelang zu wenig in Content-Moderation und Sicherheit investiert. Spricht man mit TikTok, hört man leider immer wieder: "Wir sind ja noch jung, wir müssen noch lernen." Für einen Konzern, der so viel Anschauungsmaterial hatte und Dutzende Milliarden Dollar pro Jahr umsetzt, ist das keine Entschuldigung, sondern eine Ausrede.


Social Media & Politik

  • Nancy Faeser möchte Telegram aus den App-Stores werfen lassen: Apple und Google sollten Telegram verbannen, weil sie angesichts von Gewaltaufrufen und Hetze eine "gesellschaftliche Verantwortung" hätten, sagte die Bundesinnenministerin auf einer Pressekonferenz am Mittwoch. In einem SZ-Interview, das am selben Tag erschien, klang das etwas differenzierte: "Aber wir können Telegram auch nicht einfach so abschalten. Die Plattform bietet Oppositionellen in autoritären Staaten eine Möglichkeit der Absprache." Wir bezweifeln ohnehin, dass sich Apple und Google von der deutschen Politik unter Druck setzen lassen. Sie handeln, wenn sie das für richtig halten – oder eben nicht. In den kommenden Wochen werden wir uns der Diskussion um Telegram noch mal ausführlicher widmen, bis dahin verweisen wir auf unsere Analyse aus Ausgabe #766.
  • Big Tech investiert massiv in Imagekampagnen: Facebook, Google und Co nehmen immer gern Geld in die Hand, um ihr Image aufzupolieren. Aktuell hätten sie allerdings noch einmal eine ordentliche Schippe draufgelegt, berichtet das Handelsblatt. Von „doppelseitigen Anzeigen in Zeitungen und Magazinen und Werbevideos im Fernsehen und online“ ist gar die Rede. Der Grund: Die Angst vor einer stärkeren Regulierung der Plattformen.

Datenschutz-Department

  • Snap bessert nach: Snapchat empfiehlt Minderjährigen nur noch andere Nutzerkonten, wenn diese wenigsten einige gemeinsame Bekannte haben (The Verge) – eine längst überfällige Datenschutz-Verbesserung, die dafür sorgen soll, dass Minderjährigen nicht Konten von fremden Erwachsenen vorgeschlagen werden.

Follow the money

  • Microsoft will Activision schlucken: 68,7 Milliarden Dollar legt Microsoft für die skandalgebeutelte Spieleschmiede Activision Blizzard auf den Tisch. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren eher durch sexualisierte verbale Gewalt und toxische Unternehmenskultur (WSJ) von sich reden gemacht als durch neue Titel der Erfolgsserien Call of Duty, Candy Crush, Diablo, Overwatch oder World of Warcraft. Der enorme Kaufpreis – fast dreimal so viel wie LinkedIn vor fünf Jahren kostete – zeigt die popkulturelle und finanzielle Macht der Gaming-Branche. In einer 15-minütigen Pressekonferenz war zwar gut ein Dutzend Mal vom "Metaverse" die Rede, auch in der Pressemitteilung fällt der Begriff. Das dürfte aber eher ein Buzzword für Investoren (The Information) oder eine vage Zukunftsvision gewesen sein. Im Moment geht es um Triple-A-Games für Konsole und PC, die Microsoft zum drittgrößten Spielekonzern nach Tencent und Sony machen würden. Der Konjunktiv ist wichtig, denn ob die FTC den Kauf absegnet (Platformer), ist noch offen.
  • Meta macht jetzt wohl auch bei NFT mit: Es. War. Ja. Klar. Auch Meta möchte vom Hype um Non-Fungible Token (NFTs) profitieren. Einem Bericht der Financial Times zufolge prüft der Social-Media-Juggernaut Pläne, die es Nutzerïnnen ermöglichen würde, NFTs auf Facebook und Instagram zu erstellen, zu präsentieren und zu verkaufen. Wenn es tatsächlich so kommt, dann wäre das die finale Mainstreamisierung dieser trendigen, absichtlich verknappten, arg umstrittenen, digitalen Güter. Falls Non-Fungible Token für dich noch Neuland sind – hier unser Explainer (#708).
  • Amazon plant Boutique: Laut CNBC hat Amazon im vergangenen Jahr Walmart als Nummer 1 im Bekleidungshandel in den USA überholt. Der geschätzte Umsatz des Unternehmens im Bereich Bekleidung und Schuhe: 45 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021. Jetzt geht Amazon noch einen Schritt weiter: Die erste hybride Shopping-Boutique soll her. Der Clou: Nutzerïnnen können in dem Laden so ziemlich alles via App machen (Geekwire): Klamotten auswählen, vergleichen, sich andere Größen in die Kabine bringen lassen und noch einiges mehr. Nicht ganz Social Media, ist klar. Aber das Thema Hybrides Shopping wird uns sicherlich auch mit Blick auf Facebook, Insta und Co in den kommenden Monaten noch einmal wieder begegnen – Hybrid is here to stay, schreibt das Beratungsunternehmen Avionos in einem lesenswerten Report.

Creator Economy

  • Instagram testet kostenpflichtige Abos: Meta führt wohl weitere Optionen ein, wie Creator mit ihrer Arbeit Geld verdienen können: Derzeit testet das Unternehmen kostenpflichtige Abonnements bei Instagram (@mosseri). Ausgewählte Creator können für den Zugang zu ihren Stories und Live-Videos nun auch bei Insta Geld verlangen – die Preisspanne reicht von 99 Cent bis 99,99 Dollar pro Monat. Zwar haben auch YouTube und Twitter bereits ähnliche Tools im Angebot, Meta nimmt aber vorerst keinen Anteil am Erlös. Ein mega Incentive für alle Creator, Instagram nicht zugunsten einer anderen Plattform den Rücken zu kehren. Denn:
  • Auch TikTok testet Subscriptions: The Information zufolge testet auch TikTok derzeit kostenpflichtige Abos. Für uns stellt sich hier direkt die Frage, wie das funktionieren soll bei einem Angebot, das ja vor allem deshalb so populär ist, weil Nutzerïnnen niemandem folgen müssen, sondern der For-You-Feed alles regelt. Wirklich eine spannende Entwicklung – eine ausführliche Analyse dazu in den kommenden Tagen.
  • YouTube hilft Creatorn dabei, Pitch Decks zu erstellen: Um mehr Branded Partnerships an Land zu ziehen, braucht es eine professionelle Verkaufe. YouTube hat daher einige Funktionen gelauncht, die es Nutzerïnnen ermöglichen, einfache Pitch Decks in eigener Sache zu erstellen. (Tubefilter)
  • Wer wie viel Geld auf TikTok und YouTube verdient: Forbes hat ja bekanntlich allergrößte Freude daran, zu zeigen, wer auf dieser Welt am meisten Kohle scheffelt. Dieses Muster bringen sie nun auch bei TikTok und YouTube zur Anwendung: neid-erfülltes Doomscrolling funktioniert immer gut. Aber mal Spaß beiseite: Es ist ja auch wirklich ganz spannend, dass Bella Poarch – also die von M to B (bzw. also eigentlich ja genau nicht die von M to B, aber das interessiert nur Puristen) – mit ihrem Wirken auf TikTok stolze 5 Millionen Dollar verdient hat im vergangenen Jahr. Eine unglaubliche Summe. Aber im Vergleich zu TikToks Superstar-Schwestern Charli und Dixie D Amelio eben auch doch noch etwas weniger. Und im Vergleich zu all den männlichen, weißen Kollegen auf YouTube (Onezero) sehr viel weniger. Es ist wie immer alles eine Frage der Betrachtung.
  • Behind the Scenes: Wer einmal sehen möchte, was es braucht, um auf YouTube erfolgreich zu sein, der bekommt bei diesen beiden Behind-the-Scene-Videos einen Eindruck: Tech-YouTuber MKBHD zeigt ein paar Dudes sein Studio, Ali Abdaal erklärt, warum er nun bei YouTube all-in geht. Wer sich für YouTube interessiert und am Wochenende ein wenig Zeit hat…

Was wir am Wochenende lesen


Neue Features und Tests bei den Plattformen

TikTok

Instagram

  • Grid sortieren: Instagram testet derzeit eine Option, mit der Nutzerïnnen ihre Grids nach Belieben sortieren (@alex193a) können. Hach, das wäre ja mal was!

One more thing

Das großartige Zerforschung-Kollektiv hat ausnahmsweise keine Sicherheitslücke aufgedeckt, sondern eine geschlossen: Auf schnelltesttest.de könnt ihr unterwegs prüfen, was ein Antigen-Test taugt. Könnte die Corona-Warn-App das bitte integrieren?


Header-Foto von Zachary Domes