Was ist

In Deutschland häufen sich die Forderungen nach einem Social-Media-Verbot für Minderjährige. Auch andere EU-Länder wollen dem Vorbild von Australien folgen, und Plattformen wie TikTok oder Instagram erst ab 16 Jahren freigeben.

Wir geben einen Überblick und erklären, warum wir die Debatte für seltsam schwerelos halten: Bislang geht es fast ausschließlich um die Frage, ob ein Verbot pädagogisch sinnvoll wäre – fast niemand spricht über die juristischen und technischen Probleme bei der Durchsetzung.

Warum das wichtig ist

Soziale Medien haben Schattenseiten. Plattformbetreiber wollen Nutzerïnnen so lange wie möglich in ihren Apps halten und arbeiten mit teils dubiosen Design-Tricks, um Menschen im Bann zu halten. Übermäßige Social-Media-Nutzung kann suchtartige Verhaltensweisen hervorrufen, Kinder und Jugendliche sind dafür anfällig. Algorithmen spülen ihnen fragwürdige Inhalte in die Feeds, digitales Mobbing ist ein riesiges Problem.

Gleichzeitig gilt aber auch: Anders als Alkohol und Zigaretten sind soziale Medien nicht nur schädlich. Junge Menschen informieren sich über Social Media über Politik und halten Kontakt zu Freundïnnen. Plattformen ermöglichen digitale Teilhabe. Viele Content Creator arbeiten genauso seriös wie klassische Medien und erreichen Millionen Teenager. Jugendliche müssen Medienkompetenz und Urteilsfähigkeit entwickeln, um sich sicher im Netz zu bewegen.

Hunderte Studien haben bislang kein eindeutiges Ergebnis erbracht, ob Risiken oder Chancen überwiegen. Global verschlechtert sich die psychische Gesundheit junger Menschen. Das muss aber nicht kausal mit sozialen Medien zusammenhängen. Klimakrise, Pandemie und ökonomische Unsicherheit können ebenfalls Ängste und Depressionen auslösen.

Ziemlich eindeutig ist aber: Es gibt pathologische und problematische Mediennutzung (DAK). Dabei geht es nicht allein um den zeitlichen Umfang, sondern um die Auswirkungen auf die Psyche der Kinder und Jugendlichen. Besonders gefährdet sind junge Mädchen und Teenager, deren familiäres und soziales Umfeld wenig Unterstützung bietet.

Hier setzen die Forderungen nach Verboten an. Politikerinnen und Wissenschaftler argumentieren, dass man die Verantwortung nicht Eltern oder Lehrerinnen überlassen dürfe. Es brauche strikte Altersgrenzen, Teenager müssten besser geschützt werden.

Wer was fordert

Seit Monaten melden sich parteiübergreifend Politikerïnnen zu Wort, die sich für ein Verbot aussprechen. Dazu zählen etwa Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD), Bundesfamilienministerin Karen Prien, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (beide CDU) und Cem Özdemir (Grüne). Die Forderungen ähneln sich, meist geht es um eine Altersgrenze ab 16 Jahren.

Darauf drängt auch eine Petition mit mehr als 100.000 Unterschriften (OpenPetition). Je nach Umfrage befürworten zwei Drittel bis drei Viertel der Befragten in Deutschland ein Mindestalter für soziale Medien.

Am Mittwoch hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina ein Diskussionspapier veröffentlicht, das einen Überblick der Studienlage gibt und klare Empfehlungen ausspricht:

  • Ein Verbot für Unter-13-Jährige
  • elterliche Nutzungsbegleitung für 13-15-Jährige
  • altersgerechte Gestaltung und funktionale Einschränkungen für 13-17-Jährige

Damit folgen die Forschenden weitgehend den Maßnahmen, die Tech-Konzerne bereits durch vertragliche Regelungen implementieren. Alle Social-Media-Apps sind erst ab 13-Jahren freigegeben, es gibt Aufsichtsfunktionen für Eltern und Funktionsbeschränkungen für Minderjährige.

Die Einschränkungen lassen sich aber leicht umgehen, Millionen Kinder nutzen trotz Mindestalter soziale Medien, Jugendliche entziehen sich der Kontrolle der Eltern. Gesetze könnten die Plattformbetreiber dazu bringen, die Einhaltung der Altersgrenzen konsequenter zu forcieren.

Das Fazit der Leopoldina:

[Es gibt] deutliche Hinweise, dass die Nutzung sozialer Medien – trotz wichtiger Vorteile – die psychische Gesundheit, das Wohlbefinden und die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen erheblich beeinträchtigen kann. (…) Es ließe sich zweifellos argumentieren, dass wirksame Maßnahmen grundsätzlicher am Geschäftsmodell der Aufmerksamkeitsökonomie ansetzen müssten – schließlich betreffen dessen negative Folgen nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene. Ein solcher Ansatz wäre jedoch ein langfristiges politisches Vorhaben, während die akute Gefährdung von Kindern und Jugendlichen rasches Handeln erfordert. Unsere Handlungsempfehlungen konzentrieren sich deshalb auf den unmittelbaren Schutz dieser besonders vulnerablen Gruppe.

Deshalb solle sich Deutschland auf EU-Ebene für eine digitale Infrastruktur für Altersverifikation einsetzen und Konzerne verpflichten, die Nutzungserfahrung je nach Alter einzuschränken.

Social-Media-Verbote werden auch in zahlreichen anderen Ländern diskutiert:

  • Australien hat bereits Ende 2024 ein Gesetz erlassen, dass Social Media für Unter-16-Jährige verbietet. Die Umsetzung der Online Safety Amendment (Social Media Minimum Age) Bill steht aber noch aus.
  • Frankreich hat bereits 2023 ein Gesetz zur "digitalen Volljährigkeit" beschlossen, das Plattformen verpflichtet, das Alter der Nutzerïnnen zu prüfen und Unter-15-Jährige auszusperren. Es greift aber nicht, weil der Digital Services Act (DSA) der EU Vorrang hat.
  • Deshalb setzt sich Emmanuel Macron dafür ein, Social Media auf EU-Ebene für Minderjährige einzuschränken. Dabei wird er von Spanien, Griechenland, Dänemark, Slowenien und der Niederlande unterstützt.
  • Im Juli hat die EU-Kommission Leitlinien zum Jugendschutz im Netz veröffentlicht. Darin spricht sie sich zwar für strengere Alterskontrollen aus, schränkt diese Empfehlung aber durch mehrere Bedenken und Bedingungen ein.
  • Aktuell existiert kein System, das nach den EU-Vorgaben als „angemessen und verhältnismäßig“ durchginge (Netzpolitik). Spätestens im Sommer 2026 will die Kommission die Leitlinien deshalb überarbeiten und an aktuelle Erfahrungen anpassen.

Woran Verbote scheitern

Die Debatte über Social-Media-Verbote und Altersverifikation hat drei Ebenen:

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