Was ist
Im Dezember fragte Levin in unserem SWMB-Slack:
Nachdem ihr so stark auf RSS setzt: Könntet ihr bei Zeiten mal Einblicke in eurer Setup, euren Workflow und die zusätzlichen Services, die ihr nutzt, geben?
Das machen wir gern. Wir beginnen mit einer allgemeinen Einführung in das Thema RSS und stellen unser konkretes Setup sowie zusätzliche Tools und Automatisierungen in den kommenden Wochen vor. Gern geben wir auch auf Slack Auskunft dazu.
Damit knüpfen wir an unsere Kategorie „Tipps & Tools“ an, die wir zwischenzeitlich haben einschlafen lassen. In dieser Serie stellten wir Apps und andere Dienste vor, die wir täglich nutzen und für unverzichtbar halten, unter anderem 1Password, Standard Notes, PhraseExpress, Pinboard und Nuzzel.
Was RSS ist
- Die Abkürzung steht für Really Simple Syndication und ist ein Format, über das Webseiten Feeds anbieten können, die sich mit RSS-Readern abonnieren lassen. Sobald sich der Inhalt der Seite ändert, erzeugt das einen Eintrag im Feed.
- RSS stammt aus dem vergangenen Jahrtausend, ist also ein Web-Dinosaurier. Immer wieder wird dem Format das gleiche Schicksal prognostiziert: Aussterben.
- Als Google vor knapp zehn Jahren den Google Reader einstellte, sah es übel aus. Doch zum Glück sprangen andere Unternehmen ein, die neue und bessere Reader entwickelten.
- Trotz aller Abgesänge hält sich RSS hartnäckig. Das Format bildet die technische Infrastruktur für Podcatcher, mit denen sich Podcasts abonnieren lassen. Fast alle großen Webseiten und kleinen Blogs bieten einen oder mehrere RSS-Feeds an.
Wie du RSS-Feeds findest
- Die meisten RSS-Reader bieten eine integrierte Suche. Du gibst einfach den Namen der Seite ein und bekommst Feeds präsentiert, die du abonnieren kannst.
- Für Chrome, Firefox und Safari existieren etliche Erweiterungen, die RSS-Feeds erkennen und anzeigen. Sobald du eine Seite besuchst, die einen Feed enthält, verändert sich das Symbol der Erweiterung. Dann kannst du den Link des Feeds kopieren und in dem Reader deiner Wahl abonnieren.
- Teils gibt es nur einen einzigen Feed pro Seite, der alle Artikel enthält. Medien bieten aber oft separate Feeds für jedes Ressort an, teils kann man auch einzelne Journalistïnnen abonnieren.
- Wenn du nichts findest, helfen Low-Tech-Hacks. Der RSS-Feed versteckt sich im Quellcode der Seite, den du über den Shortcut „Strg + U“ aufrufen kannst. Dort suchst du mit „Strg + F“ nach „rss“.
- Eine andere Möglichkeit: Durchsuche die Seite, indem du nach „site:xy.com rss“ googelst. Häufig findest du dann eine Übersicht mit allen Feeds, die sonst kaum sichtbar im Header oder Footer der Seite versteckt ist.
Welche RSS-Reader wir empfehlen
- Martin nutzt Feedbin, ich schwöre auf Inoreader. Wir zahlen beide für die Pro-Version, die bestimmte Limitierungen entfernen und etliche praktische Zusatzfunktionen bieten. Beide Dienste gibt es im Web und zusätzlich als mobile App.
- Die wohl bekannteste Alternative ist Feedly, der schick aussieht und den Einstieg leicht macht. Die Gratis-Version ist aber recht eingeschränkt. Wer nicht zahlt, kann nur 100 Feeds folgen. Zur Einordnung: In meinem Inoreader landen derzeit 1595 Feeds.
Warum du RSS nutzen solltest
1. Mach dich unabhängig von Algorithmen
- Das Versprechen sozialer Netzwerke lautet: Wir zeigen dir, was dich wirklich interessiert. Wir nehmen dir alle Entscheidungen ab und sortieren die Inhalte für dich. Welche Kriterien unsere Algorithmen dafür nutzen, muss dich nicht kümmern. Vertrau uns einfach.
- Für viele Menschen funktioniert das offenbar. Wir sind aber beruflich darauf angewiesen, dass wir keine wichtigen Informationen verpassen. Deshalb stellen wir unser Medienmenü lieber selbst zusammen, als auf Twitter, Meta oder TikTok zu vertrauen.
2. Sehe alles Wichtige auf einen Blick
- Klar, theoretisch kann man sich auch Hunderte Lesezeichen anlegen und alle relevanten Quellen einzeln aufrufen. Für bestimmte Themenbereiche gibt es auch Aggregatoren wie Techmeme, die das Wichtigste kuratieren.
- Effizient ist das nicht. In unserem Fall müssten wir täglich Dutzende Medien und Hunderte Blogs öffnen, etliche Twitter-Konten und -Listen checken sowie relevante Newsletter im Posteingang suchen.
- Unsere RSS-Reader ersparen uns diese mühselige Klickarbeit. Hier folgen wir nicht nur den Digital- und Techressorts vieler Medien sowie der halben Blogosphäre, sondern bündeln auch diverse Social-Accounts.
- Ein Beispiel: Die Tweets von Elon Musk sind oft absurd – haben auch unmittelbare Konsequenzen für Twitter. Deshalb haben wir Musk in unseren RSS-Readern abonniert und lesen seine Tweets dort, wo sie nicht untergehen. Gleiches gilt für Dutzende Journalistinnen und Experten, deren Einschätzungen uns interessieren.
- Ebenso kannst du YouTube-Kanälen folgen und Newsletter per RSS lesen. Dienstleister wie Substack und Mailchimp bieten Feeds dafür an.
3. Personalisiere und automatisiere dein Medienmenü
- Die Bezahlversionen von Inoreader und Feedbin ermöglichen es, dein Medienmenü exakt auf dich zuzuschneiden – aber nicht mit Algorithmen, sondern nach deinen Wünschen.
- Du kannst etwa Einträge automatisch als gelesen markieren lassen, wenn sie bestimmte Wörter enthalten, die für dich irrelevant sind.
- Um beim Beispiel Musk zu bleiben: Wir filtern alle seine Tweets, die mit @ beginnen – das sind Antworten auf andere Nutzerïnnen, die uns nicht interessieren. Sonst hätten wir jeden Tag ein paar Dutzend neue Einträge mit Musk-Tweets, die uns den Reader verstopfen.
- Genauso praktisch: Ein Filter, der doppelte Einträge entfernt. Häufig folgen wir sowohl Journalistïnnen als auch den Medien, in denen sie publizieren. Wenn eine URL oder eine Überschrift zweimal in unserem Reader auftaucht, wird einer der beiden Einträge verborgen.
- Zudem gibt es mächtige Automatisierungen. Wir sammeln alle Artikel, die uns interessant erscheinen, in Pinboard. Mit einem Shortcut können wir Einträge aus dem RSS-Reader direkt zu Pinboard schicken, damit wir dort am Morgen des Briefings eine Auswahl treffen können.
- Pro-Tipp: Der Feed mit allen Artikeln, die wir in Pinboard speichern, läuft im SMWB-Slack im Channel #newsfeed ein.
4. Sortiere das Chaos
- Wer ein paar Dutzend Feeds liest, braucht vielleicht keine Struktur. Sobald es mehr werden, sind Ordner und Tags unverzichtbar. Das ist vergleichbar mit dem Posteingang: Wenn man viele Newsletter abonniert, beschäftigt man sich früher oder später mit Filtern und Sortierungsmöglichkeiten.
- Zum Glück machen es einem RSS-Reader leicht, Ordnung ins Chaos zu bringen. Du kannst jedem Feed einen oder mehrere Ordner zuweisen.
- Wir sortieren zum einen nach Themen. Es gibt zum Beispiel Ordner für deutsche Digitalressorts, US-Medien, Twitter-Feeds und Unternehmens-PR.
- Zum anderen versuchen wir, die Feeds nach Wichtigkeit zu ordnen. Im Ordner „1“ landen alle Quellen, die wir unbedingt und unter allen Umständen lesen möchte. Wenn wir wenig Zeit haben, reicht ein kurzer Blick in den Reader, um diesen Ordner leerzulesen.
- Die Ordner 2 bis 5 enthalten andere Quellen mit absteigender Bedeutung. Teils stecken wir auch Medien in Ordner mit geringer Priorität, wenn sie zwar thematisch und inhaltlich relevant sind, aber extrem viel publizieren.
- Das trifft etwa für Heise und Golem zu, bei denen neben spannenden Artikeln auch viel (aus unserer beruflichen Perspektive) Rauschen im Feed landet. Nach einer mehrtägigen Offline-Phase enthalten die Ordner 4 und 5 oft Tausende Einträge – die wir dann einfach alle als gelesen markieren.
5. Verabschiede dich vom Überwachungskapitalismus
- Wir haben nichts gegen Anzeigen. Viele großartige Angebote sind werbefinanziert und können nur überleben, weil sie Werbung einblenden. Das ist ein fairer Deal.
- Gerade in sozialen Medien kann Werbung aber gewaltig nerven. RSS ist frei davon. Hier siehst du keine Banner, keine Autoplay-Videos, nur Inhalte.
- Die Daten, die du in deinem RSS-Reader hinterlässt, werden nicht verwendet, um Anzeigen zu personalisieren. Niemand bildet Persönlichkeitsprofile oder vermarktet deine angeblichen Interessen, damit Unternehmen dich ansprechen können.
6. Scanne schneller mit Shortcuts
- Wenn wir am Morgen den Reader öffnen, sehen wir dort Hunderte ungelesene Einträge. Die meisten Quellen, denen wir folgen, sitzen in den USA und sind vor allem dann aktiv, wenn wir schlafen.
- Um diese Feeds möglichst effizient abzuarbeiten, vertrauen wir auf Tastenkürzel. Für fast alle Funktionen gibt es einen Shortcut.
- Wer sich die wichtigsten Kürzel merkt, fliegt geradezu durch das Medienmenü. Nächster Eintrag, nächster Ordner, alles als gelesen markieren, zu Pinboard schicken – all das geht mit einem Tastendruck.
7. Unterstütze das freie und offene Netz
- Das RSS-Format ist ein offener Standard. Du kannst deine Abos exportieren und importieren, zu anderen Readern umziehen oder mit Freundïnnen teilen.
- Feeds lassen sich auf allen Geräten und in allen Browsern lesen. Es gibt Reader im Web und als App, du kannst auch Dutzende Android- und iOS-Apps von Drittentwicklern für den Reader deiner Wahl verwenden.
- Damit ist RSS das Gegenteil der geschlossenen Ökosysteme sozialer Medien und großer Konzerne. Fast alle versuchen, Nutzerïnnen möglichst lange auf ihren eigenen Plattformen zu halten. Nur dort sehen sie Werbung und generieren Umsatz.
- Lange Zeit war Twitter eine verhältnismäßig offene Plattform. Es gab viele Schnittstellen, an die Drittentwicklerïnnen, Bots und hilfreiche Dienste andocken könnten.
- Das ändert sich gerade. Musk möchte diese APIs monetarisieren und ruft absurde Preise auf, die etliche nicht kommerzielle Projekte killen werden. Von heute an sollte der Zugang Geld kosten. Das wurde zwar noch mal verschoben, langfristig dürfte aber auch Twitter die Schotten weitgehend dicht machen.
- Das zeigt erneut: Konzerne achten in erster Linie auf ihr eigenes Wohl – sprich: ihren Umsatz. RSS gehört niemandem, und kein Unternehmen verdient daran. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass das Format noch Jahre und Jahrzehnte weiterleben wird.
Kampf gegen Desinformation
- Prebunking gegen Desinformation: Googles Tochter Jigsaw arbeitet gemeinsam mit NGOs, Faktencheckerïnnen, Wissenschaftlerïnnen und Desinformations-Expertïnnen an einer Prebunking-Kampagne für Deutschland. Im weitesten Sinne geht es darum, die Medienkompetenz von Bürgerïnnen zu stärken. Google definiert Prebunking in einem Blogeintrag als „eine wissenschaftlich erforschte Kommunikationstechnik, die Nutzerinnen und Nutzern dabei hilft, künftige Versuche, sie mit falschen Informationen zu manipulieren, zu erkennen und zurückzuweisen.“ Wir können solche Initiativen nur gut heißen – letztlich fordern wir schon seit Jahren, dass sich die Unternehmen beim Thema Medienkompetenz mehr engagieren.
Follow the money
- TikTok arbeitet an Paywall und neuem Creator Fund: Um im Kampf um Aufmerksamkeit nicht ins Hintertreffen zu geraten, setzt TikTok weiter auf Medienschaffende, die davon träumen, mit Kurzvideos ihren Lebensunterhalt zu bestreiten – ergo: Creator. Genau diese besondere Spezies hat allerdings nur dann nachhaltig Freude daran, Videos auf einer Plattform hochzuladen, wenn sie a) enorm viel Reichweite erhält, um diese dann mit Werbedeals zu vergolden. Wenn sie b) direkt von der Plattform bezahlt wird über Beteiligungen an Anzeigenerlösen oder speziellen Funds. Oder aber wenn sie c) von ihren Fans für die Produktion von Videos bezahlt werden. Nachdem TikTok über viele Jahre einige Menschen extrem mit Reichweite beworfen hat, geht das Unternehmen nun dazu über, b) und c) stärker in den Blick zu nehmen (The Information). So arbeitet TikTok zum einen an einem neuen Creator Fund (Test zunächst nur in Frankreich und Brasilien, genaue Modalitäten sind noch unbekannt) und zum anderen an der Einführung einer Paywall. Ob die Neuauflage des Creator Funds Menschen glücklich macht? Die erste Runde war ja eher underwhelming (WIRED). Und ob Leute bereit sind, auf TikTok für Inhalte zu bezahlen? Hardcore-Fans vielleicht. Aber ob sich das dann für viele Creator lohnt? Wir sind skeptisch. Was meint ihr? Schreibt es uns in die Kommentare. (Scherz.)
- YouTube launcht Creator Music: Creator Music soll Kreativen dabei helfen, Musik zu finden, die sie ohne Kopfschmerzen in ihren kommerziellen Videos nutzen dürfen. Oft gestaltete sich dieser Prozess bislang eher schwierig. Jetzt sollen die Kosten direkt auf einen Blick ersichtlich sein. Creator können dadurch besser kalkulieren, ob es sich für sie lohnt, bestimmte Tracks in ihre Projekten zu integrieren (Google Support).
- YouTube überarbeitet BrandConnect: Analog zu anderen Plattform bietet auch YouTube eine Art Marktplatz, auf dem sich Kreative mit Marken in Sachen Paid Content verbinden können. In der Vergangenheit ging da allerdings nix ohne das Zutun eines YouTube-Mitarbeiters. Künftig sollen die Deals in Eigenregie über die Bühne laufen können (Insider).
- Weiterer Stellenabbau bei Meta: Facebooks Mutterhaus plant anscheinend noch mehr Stellen abzubauen (Financial Times). Na klar, ist ja auch „the year of effiency“ bei Mark (siehe Ausgabe #857).
Hands-on
- Wie generiere ich Abos via Social Media? Kollege Andreas Rickmann bietet in seinem Newsletter einige interessante Fallbeispiele und Tipps von klugen Köpfen aus der Branche – etwa von Hannah Monderkamp, Managing Editor New Media bei Heise:
Viel besser funktionieren spezielle Community-Angebote, auf die man organisch in der Nähe von redaktionellen Inhalten hinweist: zum Beispiel im Kommentar unter dem Facebook-Posting oder als Instagram Story, die auf eine Paid-Geschichte folgt. Denn an dieser Stelle sind NutzerInnen eher neugierig auf den Artikel und bereit, einem Link zum Abo zu folgen.“
Neue Features bei den Plattformen
- Mehr Erinnerungen wagen: Instagram macht jetzt mit einem Memory-Prompt auf die Archiv-Funktion aufmerksam. Hihi. Wenn einem keine neuen Features einfallen, dann einfach umbenennen. (Twitter / JackHorwood)
- TweetDeck könnte bald ein exklusive Feature bei Twitter Blue sein. (Social Media Today)
Epic Games
- Postparty: Falls die Kids künftig nicht mehr ganz so viel bei TikTok rumhängen, könnte es auch an der neuen App aus dem Hause Epic Games liegen: Mit Postparty lassen sich Fortnite-Clips erstellen und direkt in der App bestaunen. Was will kind mehr?! (Fortnite)
- Notes-Feature: Flipboard möchte auch ein bissl von Twitters Chaos profitieren und präsentiert ein neues Notes-Features für die iOS- und Android-Apps. (TechCrunch)
One more thing
- Elon everywhere: Elon Musk konnte einfach nicht glauben, dass er auf Twitter wirklich so wenig Reichweite hat. Nur ein paar Tausend Views bei so vielen Millionen Followern? Wie soll das gehen? Also fragt er bei zwei Twitter-Mitarbeitern nach, wie die Zahlen zu erklären sind. Nachdem sie ihm darlegen, dass Peak Musk womöglich vorbei sei, feuert er sie kurzerhand (The Verge). Klar, ist ja Elon. Anderen sollte das eine Lehre sein: Am Wochenende war Twitter voll mit Tweets von Elon – egal ob man ihm nun folgt oder nicht (auch The Verge).