Zum Inhalt springen
10 Min. Lesezeit Politics

Petition gegen Online-Hass: Wichtiges Anliegen, bedenkliche Forderung

177.000 Unterschriften für verpflichtende Identifikationsnachweise? Bitte nicht.

Petition gegen Online-Hass: Wichtiges Anliegen, bedenkliche Forderung
Quelle: Unsplash+ / Sandra Seitamaa

Was ist

Die Petition "Schluss mit anonymem Internet-Hass!" hat ein hehres Ziel: Strafbare Hasskommentare im Netz sollen nicht nur konsequent gelöscht, sondern auch strafrechtlich verfolgt werden. Dafür haben mehr als 177.000 Menschen ihre Unterstützung bekundet.

Wir sind uns aber nicht sicher, ob allen klar ist, wofür sie da unterschreiben. Die Petition möchte Fake-Accounts mit einem verpflichtenden Identifikationsnachweis stoppen. In diesem Newsletter erklären wir, warum wir das für eine schlechte Idee halten.

Warum die Petition initiiert wurde

Vergangene Woche schrieben wir in unserem Briefing zu Charlie Kirk (SMWB):

Auch in Deutschland machen Rechte und Rechtsradikale klar, dass Meinungsfreiheit für sie genau dort endet, wo jemand eine andere Meinung vertritt. ZDF-Moderatorin Dunja Hayali zieht sich nach Morddrohungen und einer rechtsextremen Kampagne vorerst aus der Öffentlichkeit zurück (taz). Sie hatte Kirk in der Anmoderation eines Fernsehbeitrags zutreffend als "radikalreligiösen Verschwörungsanhänger" bezeichnet.

Die Hasskommentare, die Hayali auf Instagram veröffentlichte, sind abscheulich und teils eindeutig strafbar. Ihre vollkommen nachvollziehbare Reaktion zeigt, dass die Täter ihr Ziel viel zu oft erreichen: Betroffene verstummen, weil ihnen die Drohungen nahegehen.

Solche Fälle ereignen sich täglich, oft trifft es Frauen oder Angehörige von Minderheiten. Die Öffentlichkeit nimmt nur Notiz, wenn die Opfer prominent sind, gegen die Täter klagen oder die Hetze tragische Konsequenzen hat. Vor drei Jahren nahm sich etwa die österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr das Leben, nachdem sie von Impfgegnern und Corona-Leugnern bedroht worden war.

Deshalb halten wir das Anliegen von Ruth Moschner für unbedingt unterstützenswert. Die Fernsehmoderatorin richtet die Petition an Bundesjustizministerin Stefanie Hubig und Meta-Deutschlandchef Tino Krause. Sie schreibt:

Hass ist keine Meinung. Wer bedroht, wer einschüchtert, greift unsere Demokratie an – und muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
Wenn Journalist:innen und engagierte Stimmen im Netz mundtot gemacht werden, stirbt der öffentliche Diskurs. Die Hetze richtet sich nie nur gegen Einzelne – sie ist ein Angriff auf Pressefreiheit, Vielfalt und Demokratie insgesamt. Ohne uns wird es still im Netz.

Was die Petition fordert

Die Petition stellt vier Forderungen an Politik und Justiz:

  1. Eine konsequente und unkomplizierte Strafverfolgung von Hasskommentaren und Drohungen im Netz – keine Hürden, keine endlosen Verfahren.
  2. Bessere Ausstattung von Polizei und Staatsanwaltschaft, damit Anzeigen wegen digitaler Gewalt sofort bearbeitet und Täter:innen identifiziert werden können.
  3. Klare Verpflichtungen für Plattformen: Strafbare Inhalte nicht nur löschen, sondern systematisch an Strafverfolgungsbehörden weiterleiten.
  4. Schluss mit Fake-Accounts: Verpflichtender Identifikationsnachweis bei der Erstellung von Accounts in sozialen Medien.

Die ersten drei Punkte unterschreiben wir mit zwei kleineren Einschränkungen:

Das größte Problem stellt unserer Auffassung nach die vierte Forderung dar. Wir sind nicht sicher, ob „Schluss mit Fake-Accounts“ auf eine Klarnamenpflicht herauslaufen soll. Das hängt davon ab, was man unter „fake“ versteht. Sind damit alle Konten gemeint, die nicht ihren bürgerlichen Namen im Profil führen, oder darf man weiter pseudonym auftreten?

Letztlich spielt das aber keine große Rolle. Auch ein verpflichtender Identifikationsnachweis wäre bedenklich bis bedrohlich.

Was gegen eine Ausweispflicht spricht

Vor mehr als 30 Jahren druckte der New Yorker einen legendären Cartoon von Peter Steiner: „On the Internet, nobody knows you’re a dog“. Diese Zeiten sind vorbei. Dutzende Plattformen und Datenhändler kennen alle Hunderassen, Fellfarben und Fressvorlieben. Anonymität im Netz ist längst eine Illusion.

Umso wichtiger ist es, den letzten Rest an Privatsphäre zu bewahren. Mitte August beleuchteten wir die Debatte über ein Social-Media-Verbot für Jugendliche. Ein Mindestalter bedeutet Altersverifikation, also ebenfalls eine Ausweispflicht. Damals schrieben wir (SMWB):

Plattformbetreiber oder Drittanbieter, die im Auftrag der Tech-Konzerne die Altersverifikation übernehmen, müssen Millionen sensible Daten sammeln und prüfen: Name, Adresse, Geburtsdatum, Ausweisdokument und Selfie. Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zeigt: Kein Unternehmen ist sicher vor Hacks und Leaks. Eine zentrale Prüfstelle wäre garantiert ein beliebtes Angriffsziel für Kriminelle und Geheimdienste.

Das ist nur einer von vielen Gründen, die gegen verpflichtende Identifikationsnachweise sprechen:

2018 erklärte Markus Reuter anhand 16 fiktiver Beispiele, warum Pseudonymität im Netz unverzichtbar ist (Netzpolitik). Im Juni ergänzte er weitere eindrückliche Beispiele und schrieb (Netzpolitik):

Wer Hass und Hetze bekämpfen will, sollte sich den Menschen widmen, die täglich – mit Klarnamen! – in Parlamenten und Talkshows gegen Minderheiten wettern und ihre Verachtung für Menschenrechte und Demokratie propagieren.
Eine Klarnamenpflicht ist schon in der Demokratie brandgefährlich, in den Händen von Autoritären ist sie ein mächtiges Instrument der Unterdrückung. Nicht umsonst gibt es solche Pflichten in China und Russland. Klarnamenpflicht ist eines der mächtigsten Werkzeuge, um Meinungsfreiheit zu bekämpfen, Menschen einzuschüchtern und Informationen zu kontrollieren. Selbst wenn eine Demokratie gerade nicht bedroht ist, sollte sie ein solches Werkzeug nicht einführen. Und gerade wenn eine Demokratie – wie unsere – ernsthaft bedroht ist, dann sollte sie alles daran setzen, dieses Werkzeug nicht auch noch freiwillig jenen zu überlassen, die gerade die Macht an sich reißen wollen.

Anzeige
CTA Image

R.E.S.P.E.C.T. – Webvideo-Formate für mehr Zusammenhalt

Jugendstudien zeigen eindrücklich: Die Sorge und Überforderung junger Menschen steigt. Gerade weil sie ein hohes Bewusstsein für gesellschaftliche Ungleichheiten und globale Schieflagen haben, überwiegt bezogen auf ihr eigenes Leben häufig ein Ohnmachtsgefühl. Dahinter verbirgt sich der Wunsch nach Orientierung, positiven Zukunftsentwürfen und mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt. Wie kann das vorherrschende Ohnmachtsgefühl durchbrochen und positive Veränderung, hin zu einer respektvolleren und resilienteren Gesellschaft angestoßen werden?

Zum Ideenwettbewerb

Politics

Wahn, Psychosen, Suizid: Die dunkelste Seite von KI
GPT-5 ersetzt das Modell 4o – und Tausende Menschen reagieren, als sei die beste Freundin gestorben. Das sollte nicht nur OpenAI alarmieren.

Follow the Money

Unabhängiger Journalismus braucht deine Unterstützung
In einer Zeit, in der Desinformation zunimmt und Plattformen mit politischen und gesellschaftlichen Spannungen ringen, ist unsere Aufgabe klar: Wir wollen Orientierung geben. Das Social Media Watchblog erklärt, was auf Plattformen wie TikTok, Instagram, X oder YouTube wirklich passiert – fundiert, verständlich und unabhängig. Damit das so bleibt, brauchen wir dich.

Future of Publishing

Die Nutzung von KI für Recherchen und Ermittlungen sei „bei Weitem der größte Einsatz unserer Ressourcen und ich denke die größte Chance im Moment, wenn es um KI in den Medien geht“, sagte Seward. Sein Team helfe meist einem Reporter dabei, KI-Technologie für ein Projekt einzusetzen, und erstelle dann aus dieser Erfahrung einen wiederholbaren Prozess für andere in der Redaktion.
(Wann) kommt Google Zero?
KI beschleunigt Googles Wandel von der Such- zur Antwortmaschine. Fast niemand ist darauf vorbereitet.
Es ist ein ziemlich großes Unterfangen, sich um Reddit zu kümmern, aber ich denke, wenn man es gut macht, bringt es jede Menge organischen Traffic, sobald man die Schlüsselwörter oder Themen besetzt, in denen man Autorität hat, und diese dann auf Reddit geteilt werden.


Empfehlungen

Auf Sand gebaut: Die versteckten Risiken generativer KI für das Gemeinwohl - reframe[Tech]
Basismodelle sind das Fundament generativer KI – und damit zahlreicher digitaler Werkzeuge wie ChatGPT oder Gemini. Doch ihr Einsatz birgt Risiken, sei es wegen wahllos zusammengestellter Trainingsdaten, profitgetriebener Geschäftsmodelle oder fehlender Transparenz. Ein neuer Report der Bertelsmann Stiftung verdeutlicht, worauf insbesondere gemeinwohlorientierte Organisationen achten sollten und welche verantwortungsvolleren Alternativen es gibt.
Wie KI-Zusammenfassungen zivilgesellschaftliche Vielfalt einschränken
Wenn Chatbots und Google die Antworten bestimmen, verlieren NGOs Sichtbarkeit. Die Machtkonzentration weniger Plattformen bedroht die demokratische Vielfalt.
The 22 Very Online Upstarts Changing the Face of Politics
Introducing WIRED’s 2025 Political Power Users—the creators, podcasters, and pundits who will blow up the next electoral era.

Features

WhatsApp

YouTube

TikTok

Spotify

Mitgliedschaft
Was erhalte ich als Mitglied? * Zwei Briefings pro Woche per E-Mail * Zugriff auf Hunderte Ausgaben auf unserer Website * Zugang zu unserem exklusiven Slack-Channel * Je nach gewähltem Paket noch weitere Perks *。★ Was erhalte ich als angemeldeter User? Angemeldete Userïnnen erhalten Zugang zu unseren kostenfreien Beiträgen auf der Website sowie Vorschau-Version unserer