Was ist
Seit Anfang Oktober macht ein Artikel der Financial Times die Runde: „Have we passed peak social media?“, fragt John Burn-Murdoch. In seiner Kolumne argumentiert er, dass die Nutzungsdauer seit 2022 sinkt. Demnach wenden sich insbesondere Jüngere von Plattformen ab.
Wir haben uns die Daten genauer angesehen und sind skeptisch. Die Antwort auf die Frage von Burn-Murdoch hängt davon ab, wie man „Social Media“ definiert – und das macht der Text leider nicht klar.
Wir fassen drei zentrale Aussagen der FT zusammen und sammeln Gegenargumente.
Was die FT über Peak Social sagt
Der Text stützt sich auf drei Datenpunkte:
1. Die Nutzungsdauer geht zurück

- Seit dem Peak 2022 verbringen Menschen weniger Zeit mit Social Media.
- Vor drei Jahren waren es im Schnitt gut 2,5 Stunden pro Tag. Jetzt sind es zehn Minuten weniger.
- Der Rückgang ist bei den 16- bis 24-Jährigen besonders stark ausgeprägt.
2. Soziale Medien werden weniger sozial

- Seit 2014 hat sich der Charakter der großen Plattformen stark verändert.
- Der soziale Aspekt tritt in den Hintergrund. Menschen teilen dort seltener ihre Meinung oder vernetzen sich mit Freundïnnen.
- Stattdessen dominiert Unterhaltung. Man folgt Promis und lässt sich berieseln.
3. Die USA passen nicht ins Bild

- Während Europa und Asien die Peak-Social-These bestätigen, geht der Trend in den USA in die entgegengesetzte Richtung.
- Dort steigt die tägliche Nutzungsdauer konstant und liegt rund 15 Prozent höher als in Europa.
Was unklar bleibt
Die FT stellt keine Rohdaten zur Verfügung und schreibt nur, dass die Zahlen auf Befragungen von mehr als 250.000 Erwachsenen in mehr als 50 Ländern beruhten. Das Marktforschungsunternehmen GWI habe die Analyse im Auftrag der FT durchgeführt.
Wir vermuten, dass es sich um die jährlichen Social-Media-Reports von GWI handelt, die sich nach Angabe einer E-Mail-Adresse herunterladen lassen. Ein Teil der Zahlen findet sich auch online bei DataReportal und dem Jahresbericht von We Are Social, der sich auf GWI-Daten stützt (PDF).
Sollte diese Annahme zutreffen, sind die Zahlen der FT kaum belastbar. DataReportal versieht die entsprechenden Folien mit einer Fußnote, die auf diesen Hinweis verlinkt:
Beginnend mit ihrer Forschungsstudie des vierten Quartals 2024 hat GWI erhebliche Änderungen an der Art und Weise vorgenommen, wie die für die Mediennutzungsdauer erhobenen Daten erfragt und berechnet werden. Diese Änderungen haben die von dem Unternehmen für diese Datenpunkte ausgewiesenen Werte im Vergleich zu den Werten früherer Forschungsstudien erheblich beeinflusst. Infolgedessen werden die Werte [für 2025] nicht mit den Werten für entsprechende Datenpunkte aus früheren Ausgaben der Global Digital Reports-Reihe vergleichbar sein.
Weiter unten heißt es:
Im Rahmen seiner regelmäßigen Aktualisierungen hat GWI vor Kurzem einige wichtige Überarbeitungen an seiner zugrundeliegenden Methodik vorgenommen. Diese Aktualisierungen führten im Vergleich zu ähnlichen Datenpunkten aus früheren Berichten dieser Reihe zu signifikanten Änderungen bei den Werten verschiedener Datenpunkte in unserem Bericht vom April 2023.
Zusammengefasst: Man kann die Werte bis einschließlich 2022 nicht mit den späteren Daten vergleichen. Falls sich die FT auf diese Zahlen stützt, fehlt der Hinweis auf die methodischen Änderungen.
Gehen wir mal davon aus, dass GWI und FT wissen, was sie tun, und die Daten doch vergleichbar sind. Selbst dann bleiben Fragen offen:
- Wie lauten die genauen Fragen, die den Teilnehmenden gestellt wurden?
- Angesichts der großen Stichprobe handelt es sich vermutlich um Selbsteinschätzungen. Wie wurden diese erfahrungsgemäß unzuverlässigen Angaben geprüft?
- Sind die Zahlen für alle Länder und Altersgruppen repräsentativ?
- Welche Plattformen zählen als „Social Media“? Zählen etwa YouTube, Discord, Twitch und Reddit als soziale Medien?
- Wie sieht es mit Messengern wie Telegram und WhatsApp aus, die sich durch Gruppen und Kanäle ebenfalls in semi-öffentliche Plattformen verwandeln?
Bevor wir „Peak Social Media“ ausrufen, wüssten wir gern, auf welchen Daten diese These beruht.
Was gegen die These spricht
Zwei aktuelle Pew-Studien:
- Der Anteil der Menschen in den USA, die Nachrichten auf TikTok sehen, ist seit 2022 signifikant gestiegen. Bei den 18-29-Jährigen sind es 43 Prozent.
- Fast die Hälfte der Befragten nutzt Social Media, um sich über politische und soziale Themen zu informieren. Besonders wichtig sind Plattformen für die Meinungsbildung von Jüngeren.