Was ist
Vor zwei Wochen schrieben wir nach dem Tod von Charlie Kirk (SMWB):
Die Ursprünge von Gamergate liegen mehr als ein Jahrzehnt zurück. Seitdem sollte allen Redaktionen klar sein, dass Netzkultur keine obskure Nische ist. Es gibt nicht „das Internet“ und „die echte Welt“. Beides ist gleichermaßen real, im Guten wie im Schlechten. Internethumor kann großartig sein, aber auch grauenhaft und gewaltverherrlichend.
Die Berichterstattung über den Täter und seine mutmaßlichen Motive verdeutlichte, dass viele Medien wenig über Online-Subkulturen wissen und deren Bedeutung immer noch nicht vollends verstanden haben. Die besten Einordnungen kamen von Einzelpersonen wie Ryan Broderick, Katherine Dee oder Berit Glanz.
In dieser Reihe steht für uns auch Dirk von Gehlen. Er zählt zu den aufmerksamsten und neugierigsten Netzbeobachtern im deutschsprachigen Raum. Dirk beschreibt nicht nur, was auf Plattformen geschieht, sondern erklärt auch, wie diese Trends entstehen und was das über unsere Gesellschaft sagt.
Deshalb freuen wir uns, dass wir seine Netzkulturcharts einmal pro Monat in unserem Newsletter übernehmen können. Dirk wählt dafür jeweils fünf Dinge aus, die ihm im Netz aufgefallen sind. Das können Memes und Trends sein, kleine Beobachtungen und große Zusammenhänge. Diese Liste veröffentlicht Dirk weiter auf seinem Blog und zusätzlich bei uns.
Für uns ist das aus mehreren Gründen schön:
- Wir kennen und schätzen Dirk – menschlich und inhaltlich.
- Das Thema Netzkultur findet bei uns zu wenig Beachtung. Wir schreiben meist aus einer Vogelperspektive über Plattformen und beleuchten politische Zusammenhänge. Die Netzkulturcharts sind eine gute Ergänzung.
- Gastbeiträge geben uns die Möglichkeit, andere Themen tiefer zu recherchieren. Das kommt der Qualität des Newsletter zugute.
Wenn du mehr von Dirk lesen möchtest, kannst du ihm auf Instagram, Mastodon, LinkedIn oder Bluesky folgen. Er schreibt Bücher und ebenfalls einen Newsletter.
Pudding mit Gabel essen, 6’7, Killed by a Meme, Tiktok-Kommentare, Heidis Oktoberfest, Job your Love (Netzkulturcharts September 2025)
Platz 1: Pudding mit Gabel essen
Ende August postete der Account karlsruher-memes einen Clip auf Tiktok, in dem junge Menschen zu sehen sind, die sich treffen um gemeinsam Pudding mit Gabeln zu essen (TikTok / @karlsruher.memes). Das Video gilt als Ursprung für einen Trend, der die Muster memetischer Verbreitung mit der Idee des Flashmobs verbindet – also dem geplanten scheinbar sponanten Treffen in der Öffentlichkeit. Denn dass man sich öffentlich verabredet und dann auch noch mit dem falschen Besteck Pudding isst, wirkt auf Außenstehende so absurd, dass es die Kraft hat, die Pudding-Essende allein durch das externe Unverständnis zu einen. Genau dieses Prinzip ist auch bei den beiden folgenden Platzierungen zu beobachten.
Je populärer der Trend jedoch wird (Instagram / @funk), umso größer auch der Wunsch, Erklärungen zu liefern. So clickbaitet Watson „Was zunächst absurd klingt, könnte einen ernsten Hintergrund haben“ – und führt dann die schwierige wirtschaftliche Lage dafür an, dass junge Menschen auf derlei kostengünstige Treffen zurückgreifen müssen. Auch der österreichische Account „Die Chefredaktion“ (Instagram / @die chefredaktion) betont die Konsumfreiheit der Pudding-Treffen als Erfolgsfaktor.
Platz 2: 6’7
Im Frühjahr erschien der Song „Dot dot“ von Skrilla (Wikipedia), in dem es eine Referenz auf die 67ste Straße in Chicago gibt. Deshalb trägt der Song die sechs und die sieben im Titel. Doch das allein reichte nicht um die beiden Ziffern zu einem der unzugänglichsten Memes des Sommers zu machen (Instagram / @proppergiggle). Erst durch die Referenz auf die Körpergröße des Basketballers LaMelo Ball in einem Tiktok-Clip (TikTok / @matvii grinblat) und durch die Basketballer-Spielerin Paige Bueckers, die „6 7“ als Antwort in einer Pressekonferenz gab (YouTube / WBB Clips), wurde „6 7 “ zu einem Slang- bzw. Jugendwort, das für Außenstehende nur schwer zu erklären ist. People versucht es so: „Außerhalb der sozialen Medien wurde der Ausdruck in einem humoristischen Sinn verwendet, wobei die tatsächliche Bedeutung stark umstritten ist. Einige sagen, der Ausdruck sei ein Synonym für „so-so“, während andere einen wörtlicheren Ansatz wählen und sagen, er bedeute jemanden, der sehr groß ist.“
Platz 3: Referenzen auf Patronenhülsen
Der Mord an Charlie Kirk hatte nicht nur bedeutsame politische Folgen in diesem Monat. Der Versuch, die Botschaften zu entschlüsseln, die der mutmaßliche Attentäter auf den Patronenhülsen hinterließ, brachte auch die Frage der Netzkultur und ihrer Interpretation in die mediale Debatte. “Killed by a Meme” (Garbage Day) hieß der Text, auf den sich viele in der Folge bezogen – um zu erklären, wie die Kultur der Referenz und Bezugnahme in einem Ökosystem funktioniert, wo eine Aussage je nach Kontext viel ironischer gemeint sein kann, als sie im ersten Moment wirkt. Ich habe hier die fünf wichtigsten Fragen dazu zusammengefasst – und relevante Antworten verlinkt (Dirk von Gehlen).
Platz 4: Kommentare kommentieren - mit Bildern
Einer meiner Lieblingstiktoker widmet sich diesen Monat dem Phänomen der Tiktok-Kommentare – Adam Aleksic beobachtet, dass die Möglichkeit, auf Tiktok mit Bildern zu kommentieren, ein eigenes Ökosystem mit eigenen Mustern eröffenet habe (TikTok / @etymologynerd). Ich finde das spannend – allein weil es den Blick darauf lenkt, nicht nur den Hauptinhalt zu beoachten, sondern auch die Kommentare. Dass diese nicht immer unterstützend sind, zeigt lucargn auf Instagram und Tiktok – indem er besonders abfällige Kommentare kommentiert. Er führt deren Urheber (fast ausnahmslos Männer) vor und beschimpft ihre Kommentierung – um gleichzeitig zu Support für diejenigen aufzurufen, denen die Schmähungen galten.