Salut und herzlich Willkommen zur 549. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute teilen wir ein spannendes Impulspapier von d64 zur politischen Kommunikation im digitalen Raum. Zudem blicken wir auf Facebooks News-Feed-Update und stellen die Frage, ob Instagrams Explore-Tab nicht langsam aber sicher der „neue News Feed“ wird. Ferner geht es um den wissenschaftlich belastbaren Zusammenhang von Tech und Well-Being – Spoiler: es ist kompliziert. Herzlichen Dank für das Interesse an unserer Arbeit, Tilman, Simon und Martin
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Politische Kommunikation im digitalen Raum
Was ist: Der Berliner Think Tank d64 hat ein Impulspapier zur politischen Kommunikation im digitalen Raum verfasst. Die Vorschläge dienen als Diskussionsanstoß und sollen nicht als endgültige Lösung verstanden werden. Da wir beim Social Media Watchblog jede Woche über die Probleme von Social Media an den Schnittstellen zu Politik und Gesellschaft berichten, freuen wir uns, heute einige Lösungsvorschläge teilen zu können.
Was steht drin? Das oberste Ziel des Impulspapiers besteht darin, dass „digitale Kommunikation im politischen Raum als ein offenes, freies und sich stets veränderndes Projekt zu verstehen“ ist. Von diesem Startpunkt aus soll an stetigen Verbesserungen gearbeitet werden. Konkret geht es um folgende Aspekte: Chancen nutzen, einen Code of Conduct für Parteien sowie Anregungen für gesetzliche Regelungen. Wir möchten gern die aus unserer Sicht spannendsten Vorschläge direkt zitieren – im Papier selbst gibt es natürlich noch viel mehr Ideen. Hier eine Auswahl:
Chancen nutzen
- Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Social Media und Mitgliederbetreuung sollten in Parteien in einer schlagkräftigen und flexiblen Abteilung zusammengefasst werden.
- Für Kommunikationsabteilungen muss der direkte Kontakt zu Bürger*innen und Parteimitgliedern eine zentrale Position einnehmen. Moderne politische Kommunikation „sendet“ nicht hauptsächlich, sondern holt auch Rückmeldungen ein. Das kann nur durch ein festes und professionelles Team sichergestellt werden.
- Parteitage, Regionalkonferenzen und andere öffentliche Veranstaltungen sollten online gestreamt werden (live und nachträglich abrufbar). Für den geringen Aufwand ist der Nutzen für die öffentliche Meinungsbildung enorm.
Vorschläge für einen Code of Conduct für Parteien
- Datendiebstahl und -kauf: Wir garantieren, alle verwendeten Daten weder durch Datendiebstahl noch durch Datenankauf erhalten zu haben. Aus diesem Grund stellen wir alle Quellen, aus denen wir unsere Daten erhalten haben transparent für alle Bürger*innen online.
- Verwendung von „Dark Posts“: Wir verzichten auf intransparente Posts (Dark Posts), die nicht für alle einsehbar sind, sofern diese Vorgehensweise noch technisch möglich ist. Neben den Transparenzregistern der einzelnen Plattformen versichern wir, dass wir alle Anzeigen/ Posts sowie Werbebudgets und Zielgruppenaussteuerungen oder die Verweise zu den entsprechenden Quellen transparent und gebündelt online stellen.
- Bereitstellen von Quellenangaben: Wir versichern, alle veröffentlichten Beiträge, Zahlen, Bilder und Fakten auf Nachfrage mit öffentlich zugänglichen Quellen belegen zu können. Sofern dies nicht möglich ist, werden wir dies kennzeichnen und bei falsch verbreiteten Fakten entsprechende Gegendarstellungen veröffentlichen.
Anregungen für gesetzliche Regelungen
- Löschung von Kommentaren durch unabhängige Stelle: Betreibern von politischen Werbeinhalten (Parteien, Politiker*innen, registrierte NGOs) ist es untersagt, unliebsame Kommentare so zu löschen, dass eine Nachverfolgung der Kommentare unmöglich ist. Anstelle dessen muss ihnen die Plattform eine Möglichkeit zur Verfügung stellen, Kommentare zu verbergen. Beim Verbergen eines Kommentars ist die Nutzer*in darüber in Kenntnis zu setzen. Die Plattformbetreiber*in muss ein automatisiertes Verfahren dafür bereitstellen. Diese Regelung soll sicherstellen, dass eine etwaige Strafverfolgung durch Behörden, sowie Widerspruch gegen das Verbergen durch die Nutzer*in möglich ist. Ab drei Monaten vor Wahlen auf Landes-, Bundes-, oder Europa- Ebene hat die Plattformbetreiber*in für öffentlich-rechtlich berufene Kommissionen Lösch- und Unsichtbarkeitsmachungsmechanismen zugänglich zu machen. Die Kommissionen sollen staatsfern und unter Einbezug zivilgesellschaftlicher und fachlich kompetenter Vereinigungen besetzt werden. Den Kommissionen wird kein Recht eingeräumt, selbst Inhalte zu beanstanden. Die Eingriffsmöglichkeiten der Kommissionen bezieht sich nur auf solche Accounts, die für politische Werbeinhalte in Frage kommen. Private, sowie kommerzielle Nutzer sind davon nicht betroffen. Das beanstanden von Inhalten bleibt Bürger*innen vorbehalten. Den Kommissionen wird lediglich ein Recht auf eine erste Beurteilung des beanstandeten Inhalts eingeräumt. Beanstandete Inhalte können nach einer polizeilichen und staatsanwaltlichen Anweisung verborgen und nach einer rechtlichen Prüfung durch Gerichte gelöscht werden. Die eingesetzten Kommissionen sind für die Kommunikation mit den Behörden, sowie die zeitnahe Umsetzung ihrer Anweisungen zuständig. Für die Moderation der politischen Werbeinhalte haben die Plattformbetreiber eine festzulegende Pauschale an die öffentlich-rechtlichen Kommissionen zu entrichten. Während des angegebenen Zeitraums sind die Plattformen aus der Haftung für die betroffenen Accounts zu entlassen.
Be smart: Für politische Akteure (read: Parteien, NGOs, Lobbyverbände) führt die zunehmende Bedeutung des digitalen Raums (allen voran Social-Media-Plattformen) zu radikalen Veränderungen. Zwar gibt es einerseits eine Vielzahl an neuen Möglichkeiten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Andererseits bilden Hass, Häme, Hetze und Fake-Accounts die andere Seite der Medaille. Die vom Verein d64 skizzierten Ideen zur besseren Kommunikation im digitalen Raum haben es verdient, diskutiert zu werden.
- Hier kann das Impulspapier als PDF heruntergeladen werden.
- Hier gibt es den Blogpost von d64 zum Impulspapier.
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Facebooks News-Feed-Update
Was ist: Facebook hat zwei Ranking-Updates für den News Feed angekündigt: einerseits werden jetzt Posts von jenen Freunden stärker berücksichtigt, die man via Umfrage als „wichtigste“ Freunde identifiziert hat. Andererseits werden all jene Links priorisiert im News Feed angezeigt, von denen Facebook davon ausgeht, dass sie für den Nutzer „most worthwile“ sind.
Warum macht Facebook das? Facebook schraubt permanent am News-Feed-Algorithmus, um NutzerInnen möglichst relevante Inhalte anzuzeigen. Je schlechter die Selektion, desto weniger Gründe haben die NutzerInnen, Zeit auf Facebook zu verbringen. Die neuen Ranking-Updates sollen dafür sorgen, dass weniger Schund (aka Clickbait) die Runde macht und wieder mehr Posts von Freunden und Bekannten zirkulieren.
Was bedeutet das für mich als Inhalte-Anbieter: Für professionelle Medienanbieter hätten die Änderungen zunächst einmal keine direkten Auswirkungen. Solange die Links, die Medienhäuser anbieten, für den Nutzer relevant seien, würden sie auch weiterhin prominent ausgespielt. Im Facebook-Sprech ließt sich das so:
These changes aren’t meant to show more or less from Pages or friends. Rather, the Page links that are surfaced to people will be ones they find worth their time — and the friend posts will be from friends people want to hear from most.
Be smart: Wenn ich mir anschaue, was Instagram mittlerweile alles im Explore-Tab macht (prominente Integration von IGTV und Shopping), dann ist für mich das Explore-Tab sowieso im Begriff, „der neue News Feed“ zu werden. Wie man es schafft, im Explore-Tab mit Inhalten zu landen? Nun hier gibt es einige Tipps:
- The strongest input is what the viewer already follows and Likes in the feed. Instagram will try to show similar Stories in Explore, so if someone Likes and follows a lot of accounts you, it will show Stories from other people they Like and follow but you don’t yet
- Videos have the potential to be ranked higher than photos since videos auto-play in Explore and tend to get more attention, but great photos will still rank above mediocre videos
- Highly-visual Stories that don’t include too much text will get preference
- Stories with content more similar to and representative of a creator’s typical feed posts are more likely to show up on Explore
- Certain content types like reposts of other people’s feed posts are demoted by the algorithm
- Computer vision that detects what the actual content of a Story is helps Instagram show you ones similar to the content you interact with most, though this is a weaker signal than those above.
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Zum Zusammenhang von Tech & Well-Being
Was ist: Sorgt übermäßige Social-Media-Nutzung nun dafür, dass Teenager immer häufiger an Depressionen leiden, bzw. eine grundsätzliche schlechtere psychische Verfassung bei Kids zu beobachten ist? Oder verbringen Kids, die an Depressionen leiden, nun einmal viel mehr Zeit mit Social Media? Gibt es überhaupt einen Zusammenhang? Und wenn ja: in welcher Reihenfolge? Darauf ein entschiedenes Jein!
Alles nicht so einfach: In einem wirklich lesenswerten Artikel bei VOX gibt Kollege Bryan Resnick einen Überblick zur Frage nach dem Zusammenhang von Tech-Nutzung und psychischer Verfassung. Resnick stellt fest, dass zwar immer wieder ein Zusammenhang herbeifabuliert wird, die wissenschaftlichen Daten dafür aber fehlen, bzw. Wissenschaftler selbst davor warnen, falsche Schlüsse zu ziehen.
- Fast immer sei es in den Studien, die als Belege ins Feld geführt werden, nicht explizit darum gegangen, das psychische Wohlergehen im Zusammenhang mit Tech-Nutzung zu erfragen.
- Zudem sei meistens nicht klar definiert, was eigentlich gemeint ist. So würde gerade mit Begrifflichkeiten wie psychisches Leiden nicht standardisiert umgegangen.
- Ferner würden für die Untersuchungen die NutzerInnen viel zu häufig einfach nur nach dem eigenen Nutzungsverhalten und Wohlergehen abgefragt. Gerade bei Buzzwords wie Screen Time sei überhaupt nicht klar, was gemeint ist: zwischen stumpfer Social-Media-Nutzung in der Supermarktschlange und kollaborativen Hausaufgaben liegt schließlich ein großer Unterschied – letztlich könnte aber alles Screen Time sein.
Be smart: Was es braucht, sind Langzeitstudien und / oder die Daten von Apple und Google, die nämlich mit ihren Dashboards in der Tat sehr genau protokollieren, was die NutzerInnen den lieben langen Tag auf ihren Geräten so treiben. Aber dafür bräuchte es entsprechende Datenschutzzusagen und die Bereitschaft der Industrie, wirklich mit den Forschungseinrichtungen in dieser Sache zusammenarbeiten zu wollen. Ob sie das wollen?
Money Quote:
In nutritiuon, you wouln’t talk about ‚food time‘. Yo talk about calories, talk about carbohydrates, fats, annd proteins – the of ’Screen Time’ contains none of that richness.
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Schon einmal im Briefing davon gehört
- Tag-Gruppen sind bei Facebook der neue Shiat. Was Tag-Gruppen sind? Nun ja: quasi ein Hybrid aus alten StudiVZ-Gruppen á la „Scheiß Party! Wenn ich meine Hose gefunden habe, gehe ich nach Hause“ und lustiger Kommentar-Meme-Funktion. Manchmal werden die Gruppen sogar auch genutzt, um sich wirklich in ihnen auszutauschen. Primär werden die Gruppen aber nur genutzt, um bei Posts passend zu antworten – nämlich via Tagging der jeweiligen Gruppe. Taylor Lorenz erklärt hier ganz genau, wie das funktioniert. (The Atlantic)
- Jetzt alles auf einmal ganz secret: Apropos Facebook-Gruppen! Viele Gruppen sind jetzt geheim. Der Grund: Angst vor Spammern und Trollen, die mit ihren nicht den Community-Standards entsprechenden Posts dafür sorgen könnten, dass die Gruppe geschlossen wird – was übrigens als Zuccing bezeichnet wird. (VICE)
- Geo-Location Darf man VPN-Dienste dafür einsetzen, Geo-Sperren für die Nutzung legaler Dienste zu umgehen? Ja, wahrscheinlich schon. Aber eine hundertprozentig eindeutige Antwort darauf gibt es leider nicht, schreiben die Kollege von irights.info in einem lesenswerten Überblick zum Thema VPN und Geolocation.
- 996: Schrecklich, aber wahr: Die wöchentliche Arbeitszeit von 9:00 Uhr morgens bis 21:00 Uhr abends an sechs Tagen die Woche scheint in China mittlerweile so sehr ein Thema, dass eine Organisation mit der eigens dafür eingerichteten Website 996.icu darauf international aufmerksam machen möchte.
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Inspiration
The Pudding: Wer sich für Datenjournalismus interessiert, wird von dieser Seite begeistert sein. Bislang war mir The Pudding noch kein Begriff, aber nachdem ich diesen Essay über das Vokabular von Rappern entdeckt habe, werde ich die Seite garantiert regelmäßiger ansteuern.
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Neues von den Plattformen
- View as public: Facebook hatte die Funktion „View as public“ aufgrund von Datenschutzproblemen abgeschaltet. Jetzt scheinen die Probleme behoben – das Feature ist zurück. (Twitter / Facebook)
- Job-Dings-Bums: Jobs sind bei LinkedIn ein großes Thema – kein Wunder also, dass das Microsoft-Tochterunternehmen jetzt viele neue Features an der Job-Front anbietet. (TechCrunch)
- Direct: Instagram stampft seine Standalone-App Direct ein. Instagram selbst nennt keinen Grund für das Aus. Mit Blick darauf, wie groß der Erfolg von Stories bei insta selbst ist, scheint das Ende von Direct, das ja einst als Snapchat-Konkurrent gelauncht wurde, nur konsequent. (TechCrunch)
- Tweetdeck Upgrade: Künftig können Tweetdeck-Nutzer auch native GIFS, Umfragen und Emojis nutzen – also Features, die in von der regulären Twitter-Nutzung bestens bekannt sind. (The Verge)
Anchor
- Voice Messages: Anchor wird ja häufig dafür gelobt, Podcasting zum Kinderspiel zu machen. Jetzt geht das von Spotify aufgekaufte Unternehmen noch einen Schritt weiter und ermöglicht auch Zuhörern easy Möglichkeiten, Kontakt mit Podcast-Anbietern aufzunehmen – etwa durch Voice Messages. (TechCrunch)
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Tipps, Tricks und Apps
1 Password: Ich selbst nutze 1Password seit meiner Zeit bei bento und muss sagen, dass ich das Tool nicht mehr missen möchte. Klar, es gibt noch safere Varianten – etwa wenn alles nur lokal gehostet wird. Da ich aber derzeit nicht mit Whistleblowern kommuniziere und einfach nur sichergehen möchte, dass meine Passwörter gut aufgehoben sind, ist 1Password ein unglaublich tolles Werkzeug. Für Journalisten ist die App aufgrund einer Zusammenarbeit mit dem European Journalism Centre jetzt kostenfrei. Klare Empfehlung!
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One more thing
AMA mit Jonas Schlatterbeck: Am Freitag, den 24.5.2019, findet um 11:00 Uhr das erste Ask Me Anything (AMA) vom Social Media Watchblog statt. Sinn und Zweck des AMA ist es, in einem rund 30minütigen Werkstattgespräch von KollegInnen zu hören, was sie gerade in Sachen Social Media so treiben und welche Erfahrungen sie dabei machen. Das Gespräch wird live auf YouTube gestreamt und danach als Audio-Konserve zur Verfügung stehen. Ich freue mich sehr, dass ich mit dem Social-Media-Verantwortlichen von ZDF digital, Jonas Schlatterbeck, einen spannenden Kopf für unser erstes Gespräch gewinnen konnte. Wer bereits Fragen an Jonas hat, immer her damit! Ansonsten gern im neuen Slack-Channel #AMA posten – jetzt oder am Freitag während des Gesprächs. Der Link zum Stream wird „bit.ly/social-media-watchblog-ama-1“ lauten.
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Header-Foto von XVIIIZZ bei Unsplash