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Il faut parler de Parler | Google goes Abomodell | Womöglich doch kein erzwungener Verkauf von TikTok

Il faut parler de Parler | Google goes Abomodell | Womöglich doch kein erzwungener Verkauf von TikTok

Il faut parler de Parler

Was ist

Seit einigen Tagen geistert ein neues Netzwerk durch die Medienlandschaft: Parler. Jedes große US-Portal hat er Plattform mindestens einen Text gewidmet. Auch deutsche Medien berichten darüber.

Die Überschriften vermitteln einen guten Eindruck, was einen auf Parler erwartet:

Wir haben Parler in den vergangenen beiden Briefings jeweils nur kurz erwähnt (#682, #683). Das war Absicht: Wir hatten gehofft, das Netzwerk ignorieren zu können.

Angesichts der allgemeinen Aufmerksamkeit geben wir dieses Unterfangen auf. Die Gefahr, dass wir mit einem kostenpflichtigen deutschsprachigen Newsletter Werbung für ein rechtes US-Netzwerk machen, dürfte gering sein. Zumindest medienethisch müssen wir uns also keine Sorgen machen.

Trotzdem fassen wir uns kurz – denn wir haben immer noch die Hoffnung, dass Parler genauso wie Diaspora, Ello, Vero und Openbook seine 15 days of fame abbekommt und dann wieder von der Bildfläche verschwindet.

Was hinter Parler steckt

Warum alle über Parler reden

Warum Parler gerade jetzt groß wird

Was auf Parler los ist

Be smart

Es könnte sein, dass Parler bald wieder in der Versenkung verschwindet, in die es gehört. Rechte und rechtsradikale Inhalte lassen sich schlecht vermarkten, auch Gab und 8chan finden kaum Werbekunden und tun sich schwer damit, ein langfristiges Geschäftsmodell aufzubauen. Zudem wird Parler immer wieder von Spam und pornografischen Inhalten geflutet und kämpft mit massiven technischen Problemen.

Die Finanzierung durch die Mercer-Familie könnte Parler aber helfen, sich langfristig zu etablieren. Bis Trump im Januar aus dem Weißen Haus verschwindet, hat er noch reichlich Gelegenheit, seine Anhängerïnnen aufzustacheln. Sieben von zehn republikanischen Wählerïnnen glauben bereits, die Wahl sei nicht frei und fair abgelaufen (Politico).

Obwohl es keinerlei Belege für Wahlmanipulation gibt, entsteht in einem signifikanten Teil der Bevölkerungen ein Verschwörungsglaube. Wenn diese Menschen den Weg zu Parler finden, droht eine gefährliche Echokammer, die völlig von der Realität entkoppelt ist.

Wenn Trump im Januar seine Vorzugsbehandlung auf Twitter verliert, könnte sein Account schneller dicht sein, als er "CENSORSHIP!" schreiben kann. Parler versucht seit Monaten (WSJ), Trump und einen Teil seiner rund 89 Millionen Followerïnnen anzulocken. 2021 könnte es so weit sein.


Google goes Abomodell

Was ist

Seit mehr als 23 Jahren gilt: Fast alle Google-Dienste sind gratis. Es gibt einige kostenpflichtige Produkte für Business-Kunden und das Mobilfunkangebot Google Fi, aber die meisten privaten Nutzerïnnen bezahlen nicht in Dollar und Euro, sondern mit ihren Daten und ihrer Aufmerksamkeit.

Doch angesichts sinkender Online-Werbepreise scheint auch Google nach neuen Geschäftsmodellen oder zumindest netten Nebenverdiensten zu suchen: In den vergangenen Wochen gab es viele Anzeichen, dass Google daran arbeitet, möglichst viele Menschen zu überzeugen, ein kostenpflichtiges Abonnement für seinen Dienst Google One abzuschließen.

Wofür Google One steht

Wie Google das Abo pusht

Be smart

Ob sich Google einen Gefallen damit, die eigene Hardware derart zu sabotieren, wissen wir nicht. Genauso wenig können wir vorhersagen, ob Menschen, die sich daran gewöhnt haben, dass Google-Produkte gratis sind, bereit sind, plötzlich Geld zu bezahlen.

Verlage kämpfen schließlich seit Jahren damit, dass sich Menschen daran gewöhnt haben, dass viele journalistische Inhalte einfach im Netz stehen. Das liegt nicht an den Menschen, sondern an den Verlagen: Sie haben es jahrzehntelang versäumt, das Print-Abo digital neu zu denken. Es ist ein langwieriges Unterfangen, dieses gelernte Verhalten wieder zu ändern – das dürfte auch für Google gelten.

Neben der Sicht der Nutzerïnnen gibt es noch die Perspektive der konkurrierenden Unternehmen – und die dürften gerade ziemlich angefressen sein. Google konnte sich es leisten, jahrelang Geld mit Photos zu verbrennen. Start-ups wie Everpix, Loom, Ever und Picturelife (Twitter / Casey Newton) hatten keine Chance und mussten aufgeben.

Nun nutzen mehr als eine Milliarden Menschen Google Photos, und es gibt nur noch wenige große Anbieter auf dem Markt. Die meisten gehören zu Milliardenkonzernen wie Apple, die es sich genau wie Google erlauben können, ihre defizitären Dienste querzufinanzieren.

Will Oremus sieht darin einen Grund (OneZero), Konzerne wie Google härter zu regulieren oder gar zu zerschlagen:

Instead, this move is best understood from the standpoint of competition and antitrust. It’s Google’s vast size and scope that gave it unmatchable advantages over smaller rivals. In retrospect, the free storage offer looks a lot like predatory pricing, whether that was Google’s intent or not. But the bigger picture is that Google, like other dominant platforms, has its hand in so many different, mutually reinforcing lines of business that it will always be incentivized to leverage them in anticompetitive ways. From a certain standpoint — the standpoint of maximizing profit and shareholder value — it would be foolish not to.


Tick, Tick, Ti… Die TikTok-Uhr geht nach

Was ist

Während TikTok in Sicherheit, Datenschutz und Privatsphäre in Europa investiert (TikTok-Newsroom), Content-Moderatorïnnen von Facebook abwirbt (CNBC), in Deutschland von Datenschützerïnnen kritisiert wird (Netzpolitik) und der Mutterkonzern ByteDance in China Rekordumsätze macht (SCMP), schlägt die Tragikomödie in den USA eine neue Volte: Es sieht so aus, als sollte TikTok vorerst weder verkauft, noch verbannt werden – und auch keine "Partnerschaft" mit Oracle und Walmart eingehen.

The Verge bringt die Absurdität in einer Überschrift auf den Punkt: "TikTok says the Trump administration has forgotten about trying to ban it, would like to know what’s up"

Be smart

Wir haben in den vergangenen Monaten ungefähr ein Dutzend Briefings mit Hunderttausenden Zeichen über TikTok gefüllt. Wir haben uns die Finger wund geschrieben, uns in juristische Details der Executive Orders eingearbeitet und versucht, zwischen Verbot, Verkauf und Deal nicht den Überblick zu verlieren.

Wir könnten auch jetzt wieder in die Details einsteigen und erklären, wie sich Justizministerium (Techcrunch) und das Committee on Foreign Investment in the U.S. (Vox) verhalten, was Richterïnnen dazu sagen und wie sich das auf die Deadline für einen Verkauf auswirkt. Das sparen wir uns. Morgen ist doch eh wieder alles ganz anders.


Schon einmal im Briefing davon gehört


Header-Foto von Clay Banks bei Unsplash