Facebook und die US-Wahl
Was ist
In knapp 2 Monaten wird ein neuer US-Präsident gewählt. Um die Integrität der Wahlen zu schützen, wie es bei Facebook heißt, hat das Unternehmen eine Reihe neuer Regeln angekündigt. Grundsätzlich geht es darum, Menschen zum Wählen zu bringen und sie vor Falschinformationen zu schützen.
Die neuen Regeln
- Anzeigen: Facebook erklärt, keine neuen politischen Anzeigen in der Woche vor der Wahl zuzulassen. Das klingt nach einem soliden Vorschlag. Allerdings könnte die Idee komplett im Sande verlaufen, denn a) ist es möglich, noch am achten Tag vor der Wahl unbegrenzt viele Anzeigenplätze für die Woche vor der Wahl zu kaufen, b) kann das Budget einzelner Ads auch noch in der Woche der Wahl hochgefahren werden – halt je nachdem wie die Anzeige performt. Casey Fiesler, die zu Tech Ethic forscht, nennt das Unterfangen Ethic Theater (Twitter).
- Falschinformationen zu Covid-19: Facebook kündigt an, Beiträge zu entfernen, in denen behauptet wird, dass Menschen sich mit Covid-19 anstecken, wenn sie an der Abstimmung teilnehmen. Zudem wird Facebook einen Link zu weiterführenden Informationen über das Coronavirus an Beiträge anfügen, die die Angst vor Covid-19 nutzen, um Menschen vom Wählen abzuhalten. Grundsätzlich eine gute Idee, es kommt aber auf die Umsetzung an – dazu gleich mehr.
- Falschinformationen zur Wahl: Facebook wird Inhalte, die darauf abzielen, das Wahlergebnis zu delegitimieren oder die Legitimität von Wahlmethoden grundsätzlich zu hinterfragen, z.B. durch die Behauptung, dass legale Wahlmethoden zu Betrug führen, mit einem gesonderten Label versehen. Auch hier: Idee gut, es kommt auf die Umsetzung an, wie dieses aktuelle Beispiel zeigt, bei dem auf den gleichen Post unterschiedlich reagiert wird:
- Voting Center in Kooperation mit Reuters: Am Wahlabend (und in den Tagen danach) wird Facebook in Zusammenarbeit mit Reuters alle relevanten Daten zum Wahlausgang in einem Info-Center aufbereiten, auf das analog zu den Informationen rund um Covid-19 ganz oben im News Feed hingewiesen wird.
- Labels zum Wahlausgang: Sollte ein Kandidat oder eine Partei sich schon zum Sieger erklären, bevor ein offizielles Endergebnis vorliegt, wird Facebook den Posts mit einem Label versehen und auf das Voting Center verweisen.
- Limits beim Weiterleiten von Nachrichten: Was WhatsApp kann, kann Facebook Messenger jetzt auch: Künftig gilt ein Limit beim Weiterleiten von Nachrichten. Lediglich an 5 Empfänger kann eine Nachricht nun weitergeleitet werden. Die Einführung dieser Begrenzung soll Falschinformationskampagnen vorbeugen.
Warum macht Facebook das?
Mark Zuckerberg hat die neuen Regeln standesgemäß in einem Blogpost auf seiner Facebook-Seite angekündigt. Darin erklärt Zuckerberg, dass er die reale Gefahr von sozialen Unruhen rund um den Wahlausgang sieht. Interessanterweise macht der Facebook-Boss dieses Jahr gar keinen Hehl mehr daraus, dass sein Unternehmen dabei eine gewichtige Rolle, ja gar als Brandbeschleuniger fungieren könnte. Um dieser Gefahr etwas entgegenzusetzen, erlässt Facebook proaktiv neue Regeln.
Warum das wichtig ist
Ein paar Beispiele, die verdeutlichen, wie stark der Einfluss von Facebook auf die US-Gesellschaft ist:
- Militia in Kenosha: Im Vorfeld der Proteste in Kenosha hatte eine Miliz auf Facebook zu Gewalt aufgerufen. Eigentlich hätte Facebook das Event der Gruppe den neuen Community Standards folgend löschen müssen. Buzzfeed berichtet, dass dies trotz zahlreicher Hinweise nicht geschehen ist: How Facebook Failed Kenosha.
- Russische Trolle sind zurück: Wir erinnern uns sicher alle an die berühmte Internet Research Agency aus St. Petersburg. Die Troll-Armee mit dem harmlosen Namen hatte zuletzt bei den US-Wahlen 2018 versucht, ihr Unwesen zu treiben. Nun berichtet CNN, dass die IRA erneut versucht, mit Fake-Personas und Fake-Websites Zwietracht zu sähen und Falschinformationen zu streuen.
- Amerikaner nutzen Facebook für News: Mehr als zweidrittel aller Amerikaner kommen mit News auf Social-Media-Plattformen in Berührung (Pew Research Center). Das heißt nicht, dass sie ausschließlich über Facebook und Co ihre Informationen erhalten, reguläres TV ist immer noch am stärksten. Sehr wohl spielen Nachrichten, die via Social Media geteilt werden, eine Rolle bei der Willensbildung Abertausender Haushalte.
- Facebook als Werbebühne: US-Präsident Donald Trump und Herausforderer Joe Biden wissen um die Wirkmacht von Social Media. Entsprechend groß sind die Ausgaben für Anzeigen, die von den beiden Kontrahenten bei Facebook geschaltet werden. So hat z.B. Donald Trump allein im Juni diesen Jahres 6 Millionen Dollar für Anzeigen ausgegeben (CNBC). Vor der US-Wahl 2016 haben Trump und Clinton zusammen rund 81 Millionen Dollar in Werbung auf Facebook investiert (Vox).
Be smart
Es gibt eine Reihe von klugen Köpfen, die sich von Facebook noch viel mehr wünschen, wenn es um den Schutz von Wahlen geht. Dieses Paper der Cornell-Universität ist ein guter Anfang, um tiefer in das Thema einzusteigen.
Grundsätzlich möchten wir an dieser Stelle jedoch zunächst einmal festhalten, dass wir es richtig finden, wie sich Facebook im Vorfeld der Wahl aufstellt: die neuen Regeln sind sinnvoll und überfällig.
Jetzt kommt es auf zwei Dinge an: erstens muss Facebook sicherstellen, dass die neuen Regeln auch wirklich eingehalten werden.
Zweitens müssen wir uns als Gesellschaft grundsätzlich die Frage stellen, wie sinnvoll es ist, dass der Ausgang einer Wahl mit in den Händen weniger nicht demokratisch legitimierter Unternehmer liegt.
Und weil wir diese Bedenken nicht so schön in Worte fassen können, wie die wahnsinnig kluge Zeynep Tufekci, überlassen wir ihr das letzte Wort:
There are the details. And there is this: Mark Zuckerberg, alone, gets to set key rules—with significant consequences—for one of the most important elections in recent history. That should not be lost in the dust of who these changes will hurt or benefit.
TikTok News Roundup
TikTok-Deal
Wie in Ausgabe 664 beschrieben steht und fällt die Übernahme von TikTok mit der Frage, was eigentlich wirklich Gegenstand eines Deals ist. Wie Reuters berichtet, werden derzeit vier Optionen geprüft.
1) TikTok ohne Algorithmus kaufen = 😂
2) Mehr Zeit aushandeln für einen Deal = ⏲️
3) China um Erlaubnis bitten, den Algorithmus kaufen zu dürfen = 🇺🇸 ⚡ 🇨🇳
4) Den Algorithmus lizensieren = 🤷🏼♂️
TikTok-Nutzerzahlen
Im Zuge der Klageschrift gegen die US-Regierung hat TikTok erstmals Nutzerzahlen veröffentlicht:
- In den USA nutzen ca. 50 Millionen Menschen täglich TikTok.
- Monatlich sind es in den USA 100 Millionen.
- Weltweit wird TikTok von 689 Millionen Menschen monatlich genutzt.
Kritiker zeigen sich skeptisch, ob die Ausweisung solcher Zahlen überhaupt einen Mehrwert haben. Durchaus zurecht, wie wir finden. Denn dass ein Nutzer mindestens einmal im Monat TikTok geöffnet hat, sagt noch lange nichts über die eigentliche Nutzung der App aus. Sehr wohl haben sich die Ausgabe von DAUs (Daily Active User) und MAUs (Monthly Active User) zur international anerkannten Währung gemausert und lassen dadurch ein Stück weit den Vergleich zu anderen Apps zu. Here we go:
- Facebooks weltweite MAU-Rate liegt bei 2,7 Milliarden.
- Instagrams weltweite MAU-Rate liegt bei +1 Milliarde.
TikTok Merch
TikTok versucht, sich noch tiefer in die Jugendkultur einzuweben und bietet jetzt auch Merchandise im hauseigenen Store an – natürlich in Kooperation mit eigenen Kreativen. Smart!
TikTok Creator Fund
Europäische TikTok-Userïnnen können sich jetzt auch um Gelder aus TikToks Creator Fund bemühen. Die Voraussetzungen: Kreative müssen mindestens 18 Jahre alt sein, Original Content produzieren, 10k Follower haben und in den letzten 30 Tagen 10k Video-Views kassiert haben. Übrigens: Der Creator Fund ist auch für journalistische Angebote gedacht.
TikTok: Kevin Mayer tritt zurück
Äh, das hatten wir wohl vergessen zu melden: TikToks CEO hat das Unternehmen nach nur drei Monaten bereits wieder verlassen. Entweder war der politische Druck zu groß. Oder Mayer weiß schon, wie der Deal aussehen wird und hatte keinen Bock auf das Ergebnis.
New Teacher Challenge
Auf TikTok gibt es eine #newteacherchallenge. Ziel der Challenge: Kinder mit Fotos ihrer vermeintlich neuen Lehrer „schocken“ & dabei filmen. Eigentlich schon dumm genug. Aber dass zahlreiche Eltern Fotos von Menschen mit Behinderungen / Beeinträchtigungen zeigen, ist einfach nur schäbig. Melissa Blake wehrt sich völlig zurecht dagegen (Refinery29).
Schon einmal im Briefing davon gehört
- Horizon: Facebook ist auf der Suche nach der nächsten Plattform und setzt dabei voll auf Virtual Reality. Horizon ist der erste große Wurf und die Einladung an alle, sich vollends eine digitale Identität zuzulegen.
Empfehlungen fürs Wochenende
- Collab-Häuser: Für die brand eins habe ich über das Phänomen sogenannter Collab-Häuser geschrieben. Wer sich für die bunte Welt von Influencerïnnen interessiert, sollte mal einen Blick riskieren.
- Fact Checker weltweit: Die wunderbaren Kollegïnnen von Zapp haben einen sehenswerten Beitrag zum Thema Fact Checking gemacht. Wer sich für die Arbeit von Fact Checkern interessiert, wird hier mit Journalisten aus aller Welt bekannt gemacht. Super spannend!
Neues von den Plattformen
- Watch Video Feed: Facebook Watch wird von mehr als einer Milliarde Menschen jeden Monat genutzt, schreibt Facebook. Pünktlich zu diesem Meilenstein lanciert das Unternehmen ein neues Feature (Techcrunch): Fortan können Nutzerïnnen die Themen selbst auswählen, zu denen sie gern Videos in ihrem Watch-Feed sehen möchten.
- Dropbox- und Koofr-Integration: Facebook-Nutzerïnnen können künftig ihre Fotos und Videos direkt zu Dropbox und Koofr übertragen (Facebook).
- Neue Company Page Features: LinkedIn möchte anscheinend gern zum internen Wiki von Unternehmen werden und bretzelt die Features für Unternehmensseiten ordentlich auf (WERSM).
Twitch
- Watch Parties: Twitch gehört ja bekanntlich zu Amazon. Was liegt da näher als via Twitch gemeinsam mit Freundinnen einen Film aus dem Amazon Prime Sortiment zu schauen? Die Möglichkeit, sogenannte Watch Parties anzubieten, wird jetzt weltweit ausgerollt (Techcrunch).
One more thing
Die schönsten Bibliotheken der Welt: Hach!
Header-Foto von James Edwards bei Unsplash