Herzlich Willkommen zur 444. Ausgabe vom Social Media Watchblog Briefing! Heute mit einem ausführlichen Blick auf die PR-Offensive von Facebook, einigen Leseempfehlungen fürs Wochenende und einem – hört, hört – Ausgehtipp für die Berliner Kollegen. Vielen Dank für das Interesse an unserem Newsletter und die Wertschätzung unserer Arbeit, Martin & Team
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Facebooks PR-Offensive, erklärt
Was ist: In einer weiteren Ausgabe der Facebookschen PR-Serie Hard Questions hat Mark Zuckerberg via Mega-Telefonkonferenz 23 Journalisten eingeladen, Fragen zum Facebook-Cambridge-Analytica-Skandal (und darüber hinaus) zu stellen. Ein Überblick über die wichtigsten Themen und Facebooks Reaktionen:
87 Millionen Nutzer vom Facebook-Cambridge-Analytica-Skandal betroffen:
- In einem Blogpost hatte Facebook erklärt, dass womöglich bis zu 87 Millionen Nutzer vom FB-CA-Skandal betroffen wären.
- Facebook nennt diese maximal hohe Anzahl an Accounts, um nicht im nachhinein wieder nach oben korrigieren zu müssen – das hatte in den letzten Wochen zu häufig für schlechte Presse gesorgt.
- Wichtig an dieser Stelle: Die Referenzzahl von 50 Millionen Nutzern hatte Facebook selbst nie genannt – vielmehr hatte diese Zahl ihren Ursprung im Interview mit dem Whistleblower Christopher Wiley. Facebook nun vorzuhalten, der Skandal würde sich ausweiten, ist somit nur bedingt richtig.
Öffentliche Daten aller 2,2 Milliarden Nutzer wurden womöglich abgeschürft:
- Mark Zuckerberg hat zu Protokoll gegeben, dass eine Vielzahl der öffentlichen Profile all jener Nutzer, die das Feature, per Telefonnummer/Email gefunden werden zu können, nicht ausgeschaltet hatten (read: die allermeisten der 2,2 Milliarden Nutzer), abgeschürft wurden.
- Die Art und Weise, wie Mark Zuckerberg das herunterspielt, ist sagenhaft.
- Der Ex-Sicherheitschef von Snapchat äußerte sich auf Twitter zum Thema mit den folgenden selbst erklärenden Worten:
- Wichtig an dieser Stelle: Dieser Vorgang ist technisch betrachtet etwas anderes als der FB-CA-Skandal. Gleichwohl ist es ein weiteres Beispiel dafür, wie lax Facebook seine Nutzer vor dem unerwünschten Zugriff durch Dritte jahrelang geschützt hat.
Jad Boutros: Every social network has to have thought about scraping of user public content; there is no way to miss that. Either they take the stand that it is public content open to scraping *and stick with that narrative* or they build defenses intended to prevent any large-scale scraping.
Wird die General Data Protection Regulation der EU für alle Facebook-Nutzer zum Standard?
- Zunächst hatte Mark Zuckerberg in einem Interview mit Reuters darauf hingewiesen, dass dies nicht passieren würde.
- In der Telefonkonferenz vom Mittwochabend aber erklärte Zuckerberg nun, dass dies doch passieren würde – jedenfalls in dem Sinne, dass „all controls and settings“ für alle Nutzer auf der Welt die gleichen sein werden.
- Das bedeutet aber noch lange nicht, dass es auch inhaltlich die gleiche Ausgestaltung haben wird.
- Der EU-Datenschutz bleibt aus US-Sicht weiterhin in vielen Aspekten der Gold-Standard, wenn auch etwas kurz gedacht in vielerlei Hinsicht. Aber dazu mehr in der nächsten Woche.
Wird Facebook sein Geschäftsmodell verändern?
- Facebook hat in den letzten Wochen vor allem auf das Fehlverhalten Dritter hingewiesen und gleichzeitig betont, dass sie zu wenig getan hätten, dieses Fehlverhalten früher zu erkennen und zu unterbinden.
- Dass sie ihr eigenes Geschäftsmodell in Frage stellen, klang nicht durch. Im Gegenteil. Zwei Beispiele:
Mark Zuckerberg: On the one hand people want relevant experiences, and on the other hand I do think that there is some discomfort for how data is used in systems like ads. But I think the feedback is overwhelming on the side of wanting a better experience. You know, maybe its 95-5 or something like that in terms of the preferences that people state to us and in their use of the product. So, that informs us of decisions that we make here to offer the best service to people, but these are hard values trade-offs and I think we are doing the right thing to serve people better.
Sheryl Sandberg: It is because of ads — just like TV — that people all around the world can use Facebook. We all benefit by connecting to those people, and a lot of those people can never afford Facebook if it weren’t a free product. (…) We could go to a model that we are more like TV, and we just show the same ad to everyone. The problem is that means we only work for big business. (Quelle: Buzzfeed)
Wusste Facebook bereits frühzeitig von den Verbindungen von Cambridge Analytica in die Politik?
- Mark Zuckerberg erklärt, dass er im Jahre 2015 (das Jahr als Kogan die App lancierte, um die Daten zu sammeln, die später unrechtmäßig an CA weiterverkauft wurden) keine Ahnung von den Querverbindungen von Cambridge Analytica in die Politik gehabt habe.
- Die großartige Kollegin Carole Cadwalladr aber entgegnet Zuckerberg auf Twitter, dass der Guardian sehr wohl bereits im Dezember 2015 genau darüber berichtet hatte. Hier ist die Story.
Das Datenschutz-Update
- Facebook hat in den vergangen Tagen ein Update der Datenrichtlinien und der Nutzungsbedingungen lanciert.
- Die Updates erfüllen den Zweck, die sonst sehr komplizierten Regelwerke in möglichst einfache Sprache zu übersetzen.
- Was als Reaktion auf den FB-CA-Skandal anmutet und zum Teil auch so kommuniziert wurde, ist allerdings bereits seit Monaten in Arbeit und geht in großen Teilen auf die Umsetzung der EU-Datenschutzgrundverordnung zurück, die am 25. Mai in Kraft tritt.
#DeleteFacebook? Mitnichten.
- Seitdem der Guardian und die New York Times den FB-CA-Skandal veröffentlichten, wurde vielerorts darüber diskutiert, ob es nicht besser wäre, den eigenen Facebook-Account zu löschen.
- Es sei aber laut Zuckerberg kein „meaningful impact“ in dieser Sache zu beobachten gewesen seitens Facebook.
- Genau das hatte eigentlich alle Beobachter auch vorausgesagt: Viel Empörung, wenig Aktion.
„Fake News“ aus Facebooks Sicht
- Für Faceook gibt es drei Dimensionen von „Fake News“: eine kommerzielle, eine politische und eine mediale.
- All diese Formen würden auf unterschiedliche Weise angegangen.
- Auch wüssten sie in Sachen politische „Fake News“ sehr viel mehr als sie aktuell öffentlich kommunizieren könnten. Erst nach den Wahlen 2018 würden sie dazu mehr sagen.
Regulierung von Facebook
- In der Telefonkonferenz und in anderen Interviews zeigt sich Mark Zuckerberg einer potentiellen Regulierung gegenüber aufgeschlossen.
- Wie diese Aussehen könnte, wurde seitens Facebook in der Konferenz am Mittwochabend nicht weiter vertieft.
- Dafür hat The Atlantic einen guten Überblick darüber verfasst, welche vier Optionen in Washington gerade hinsichtlich einer Regulierung von Facebook und anderen Tech-Plattformen diskutiert werden.
Zuckerberg ist Facebook ist Zuckerberg
- Ob denn auch diskutiert wurde, dass Zuckerberg als CEO bei Facebook abtritt, wollte Hannah Kuchler von der Financial Times wissen.
- Alles, was Zuckerberg dazu zu sagen hatte – Zitat:
Not that I`m aware of.
Warum macht Facebook das? Facebook befindet sich in einer nie zuvor erlebten Stresssituation. Zwar müssen sie offenbar vor den Nutzern und den Werbekunden nicht wirklich Angst haben, aber die miese Presse und die Sorge vor einer tiefgreifenden Regulierung macht eine entsprechende PR-Offensive notwendig.
Insbesondere versucht Facebook, vor den anstehenden Kongress-Anhörungen bereits einige Pluspunkte zu sammeln, etwa indem sie lieber jetzt eine extrem hohe Zahl nennen, um eben nicht später nach oben korrigieren zu müssen. Oder indem sie bereits jetzt erklären, dass der Kampf um die Sicherheit der Nutzer niemals zu Ende wäre. Oder indem sie Botschaften via Mega-Telefonkonferenz unters Volk bringen, die dann bei den Vorladungen vor den Kongress bereits vertraut klingen. Oder indem sie bereits jetzt Dritten den Zugang zu Daten begrenzen und den Nutzern neue Privatsphäre-Tools an die Hand geben.
Auch dürfte es für Zuckerberg eine gute Übung gewesen sein, sich über den Zeitraum von 45 Minuten den Fragen von 23 Journalisten zu stellen. Die Anhörung im Kongress ist kein Spaziergang.
Fun Fact: Eigentlich waren übrigens auch noch Elliot Schrage (Facebooks Vice President of Communication), Mike Schroepfer (Chief Technology Officer) und weitere Schlüsselmitarbeiter, die sich bei FB um Safety und Securiy kümmern, bei der Telefonkonferenz mit dabei. Geredet hat allerdings nur einer: Zuckerberg selbst.
Kluger Kommentar von Kollege Patrick Beuth:
Keiner der bisher verkündeten Schritte – darunter auch die beendete Zusammenarbeit mit bestimmten Datenhändlern – tut dem Unternehmen weh. Facebook hatte sich einst zur mehr oder weniger offenen Plattform für externe App-Entwickler erklärt und den Facebook-Login zur zentralen Identität im Internet, um zu wachsen. Um jedem Internetnutzer einen Grund zu geben, sich ein Profil einzurichten. Um ein eigenes Internet zu werden. (Das hat es mittlerweile geschafft.) Deshalb ist es für Facebook jetzt auch kein Problem, das selbst jahrelang beschworene „Teilen“ zu beenden oder zumindest zurückzufahren. Die angekündigten und zum Teil schon wirksamen Beschränkungen treffen nur jene, die selbst noch wachsen wollen. (Quelle: SPON)
Tipps für mehr Daten-Sensibilität: Mir liegt es fern, auf den Kampagnenjournalismus von einigen amerikanischen Kollegen aufzuspringen. Sehr wohl sehe ich aber die Notwendigkeit als Journalist, über das Thema Datenschutz zu informieren und dadurch für das Thema zu sensibilisieren. In diesem Sinne möchte ich gern auf folgende Websites, bzw. Projekte aufmerksam machen:
- Die sehr geschätzte Kollegin Manoush Zomorodi hatte bereits vor vielen, vielen Monaten das sogenannte Privacy Paradox-Experiment gelauncht. Datenschutz-Newbies, respektive Interessierte am Thema, können durch das Projekt via Podcast und Email auf unterhaltsame Weise an fünf aufeinander folgenden Tagen sehr viel über Privatsphäre lernen. Wirklich gut gemacht.
- Die Datenschutz-Aktivisten von Tactical Tech haben eine extrem gute Übersicht zur Frage gebastelt, wie und was Facebook alles über seine Nutzer trackt und welche Optionen es gibt, bzw. welche Optionen Facebook auch selbst anbietet, um sich bei Bedarf des Datensammelns zu entziehen: Your Privacy Guide to Facebook.
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Lese-Tipps fürs Wochenende
Twitters Monster: Twitter hat jüngst erklärt, dass sie weitere 270.000 Accounts gelöscht hätten, die terroristische Propaganda verbreiten hätten. Damit wächst die Zahl der Accounts, die sie in diesem Zusammenhang insgesamt entfernt haben, auf über eine Million. Aber Terror-Propaganda ist nicht Twitters einziges Problem: Hass und Trolle treiben ihr Unwesen in allen nur denkbaren Spielarten: Wie Twitter den Kampf aufnimmt und warum Amnesty International lieber selbst tätig wird.
Macrons KI-Strategie: Laut Sascha Lobo gibt es allen Grund, schlechte Laune zu kriegen, wenn wir uns die von Präsident Macron via Videochat mitgeteilte Strategie in Sachen Künstlicher Intelligenz anschauen. In der Tat lässt einen die Weitsicht und der Gestaltungswille im Vergleich zu unserer deutschen „Retrodigitalpolitik“ alt aussehen. Aber auf der anderen Seite ist es doch auch erfreulich, dass wir bei unserem französischen Nachbarn in Sachen Digitalpolitik so viel Aufbruch erleben – da kann Deutschland gar nicht in der ewig gleichen Starre verbleiben. Wer sich noch stärker mit dem Thema auseinandersetzen möchte, der sollte einen Blick auf diese OECD-Studie zum Thema KI werfen.
Instagram Friendly Travel: Damit dieses Briefing nicht nur so arg schwer daherkommt, bringe ich jetzt hiermit noch einen eher pop-kulturellen Artikel unters Volk: bei BuzzFeed beschäftigt sich eine Kollegin mit der Frage, wie Städte Insta-Fame werden und extra aufgrund ihrer Instagram-Kompatibilität bereist werden. Spannend.
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One More Thing
Ausgehtipp: Am Freitagabend wird in der legendären c-base in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung der Dokumentarfilm The Cleaners zum ersten Mal in Deutschland gezeigt. Der Film beschäftigt sich mit der – wenn man so möchte – digitalen Müllabfuhr und zeigt, unter welchen Umständen soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter von unerwünschten Inhalten (Read: Enthauptungen, Verstümmelungen und andere menschliche Abgründe) gereinigt werden. Im Anschluss gibt es eine Diskussion mit den Regisseuren und Drinks. Wäre ich ein Berliner, würde ich hingehen. Haz fun!