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7 Gründe, warum Politik und Medien X verlassen sollten

Robert Habeck will X "nicht den Schreihälsen und Populisten" überlassen. Das ist ein Fehler.

Was ist

Vergangene Woche verkündete Robert Habeck auf X:

Orte wie diesen den Schreihälsen und Populisten zu überlassen ist leicht. Aber es sich leicht zu machen kann nicht die Lösung sein. Nicht heute. Nicht in dieser Woche. Nicht in dieser Zeit. Deshalb bin ich wieder auf X.

Das ist ein bemerkenswerter Sinneswandel. Vor knapp sechs Jahren hatte der Grünen-Politiker seinen Abschied von Twitter auf seinem Blog noch so begründet:

Twitter ist, wie kein anderes digitales Medium so aggressiv und in keinem anderen Medium gibt es so viel Hass, Böswilligkeit und Hetze. Offenbar triggert Twitter in mir etwas an: aggressiver, lauter, polemischer und zugespitzter zu sein – und das alles in einer Schnelligkeit, die es schwer macht, dem Nachdenken Raum zu lassen. Offenbar bin ich nicht immun dagegen.

Wir wissen nicht, was genau Habeck zu diesem Schritt bewogen hat. War es der anstehende Wahlkampf, in dem er seine Reichweite auf X nutzen möchte? Glaubt er, dass die Plattform tatsächlich zivilen Austausch ermöglicht, wenn nur genug Menschen dort bleiben oder auf X zurückkehren, die Interesse daran haben?

Das kann der Vizekanzler nur selbst beantworten. Letztlich sind seine Motive aber nebensächlich. Wir bewerten nur die Entscheidung – und die halten wir für falsch, unabhängig davon, welche Gründe dazu führten.

Habeck sendet ein deutliches Signal: X ist ein Ort, an dem politischer Diskurs möglich ist, den Politikerïnnen und Behörden mit Inhalten befüllen sollen.

Viele seiner Kollegïnnen scheinen das ähnlich zu sehen. News und Einordnungen zum Bruch der Koalition oder den Streit um den Termin für Neuwahlen findet man nach wie vor am ehesten auf X. Dort trifft sich das halbe politische Berlin. Bundeskanzler, Parteivorsitzende, Abgeordnete, Ministerien, Behörden – sie haben fast alle aktive Accounts.

Daraus ergibt sich eine Dynamik, die wir für fatal halten. Weil Politikerïnnen und Behörden weiter auf X kommunizieren, nutzen Journalistïnnen die Plattform als bevorzugte Informationsquelle. Sie zitieren Posts auf X (obwohl die gleichen Stellungnahmen in vielen Fällen auch auf Instagram, Facebook, Threads, Bluesky oder Mastodon veröffentlicht werden) und tragen damit zum Eindruck von Relevanz bei. Das wiederum bestärkt politische Akteure, die Plattform zu bespielen.

Das ist ein Fehler. Twitter hatte viele Probleme, konnte aber trotz allem ein wertvoller Ort für politische Diskussionen, persönlichen Austausch und wunderbaren Quatsch sein. X hat keine Probleme, die gesamte Plattform ist ein Problem.

Der beste Zeitpunkt, X zu verlassen, war vor zwei Jahren. Der zweitbeste Zeitpunkt ist jetzt. Aus diesen sieben Gründen halten wir den eXit für nötig:

1. Elon Musk

Dabei geht Musk vollkommen scham- und skrupellos vor. Er spendet Hunderte Millionen für Trumps Wahlkampf und postet Dutzende Male pro Tag: Lügen, Verschwörungserzählungen und wütende Angriffe auf alle, die weniger rechtsradikal sind als er. (…)
Musks Parteiergreifung hat ein beispielloses Ausmaß erreicht. Der Eigentümer von Tesla, SpaceX, Neuralink, Starlink und X ist der mächtigste und gefährlichste politische Influencer der Welt, der damit zum Steigbügelhalter für einen rassistischen, autoritären und demokratiefeindlichen US-Präsidenten werden könnte.
Ich kommentiere keine Tech-Milliardäre, ein Staatschef ist er nicht, auch wenn man manchmal den Eindruck hat, mancher Tech-Konzern sei mächtiger als Staaten.

2. Die Algorithmen haben Schlagseite nach rechts

3. Musk, Trump und Vance halten Erpressung für Verhandlungstaktik

It’s insane that we would support a military alliance if that military alliance isn’t going to be pro-free speech. I think we can do both. But we’ve got to say American power comes with certain strings attached. One of those is respect free speech, especially in our European allies.

4. X ist und bleibt eine fast luftdichte Blase

Die Plattform ist hierzulande ein Nischenphänomen, selbst Snapchat oder Pinterest nutzen mehr Deutsche. Laut der jüngsten Medienstudie im Auftrag von ARD und ZDF waren 2024 drei Prozent der Deutschen täglich und sieben Prozent der Deutschen wöchentlich bei X, das ist ein Rückgang um einen Prozentpunkt. Bei Instagram sind es 26 täglich und 37 Prozent wöchentlich, ein Wachstum um drei Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. TikTok hat in Deutschland viermal so viele tägliche Nutzerinnen und Nutzer wie Twitter. X, das ist Deutschlands polit-mediale Social-Media-Blase, mit ein bisschen Sport und Unterhaltung – und vielen Trollen. Sonst nichts.

5. Wer bleibt, macht es sich leicht

We ourselves have torn down the wall between editorial and business interests if as journalists, our calculation here is not values-based. To wit: “But I have a large following and neither BlueSky or Threads does.” That is the rationalization of a marketer, not a journalist who believes in the SPJ Code of Ethics dictate to “minimize harm.”

6. Jede und jeder Einzelne zählt

7. Es gibt längst Alternativen

Bluesky, a decentralized social network originally funded by Twitter, has added more than 700,000 new users in the past week, and now has 14.5 million total accounts, up from 10 million in September. (…)
Meta Platforms Inc.’s Threads, meanwhile, is the top rated “free” app in Apple Inc.’s App Store. Bluesky is seventh on the list of free apps, ahead of Instagram, Facebook and X. Threads has more than 275 million monthly users, up from 150 million in April.

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