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Wie Social Media in der Coronakrise hilft

Wie Social Media in der Coronakrise hilft

Was ist

Das Coronavirus ist die größte Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg. Das sagt Angela Merkel, und sie hat Recht. Die Pandemie verändert den Alltag fast aller Menschen, und selbst wenn wir es schaffen, Covid-19 einzudämmen, werden die wirtschaftlichen Folgen noch Jahre zu spüren sein.

Doch neben Pandemie und Infodemie gibt es ein weiteres virales Phänomen, das Mut machten und Hoffnung spenden kann (Deutschlandfunk): Das Netz beweist, dass es neben Hass und Spott noch eine andere Seite hat. Menschen zeigen Hilfsbereitschaft und Solidarität, Unternehmen bieten einst kostenpflichtige Dienste vorübergehend gratis an, Social Media wird wieder das, was der Name besagt: soziale Medien.

Wie sich das zeigt

Meine Timeline ist voll mit Fotos und Videos, die zeigen, dass zumindest ein Teil der Welt in der Krise näher zusammenrückt. Mieterïnnen bieten an, für ihre älteren Nachbarïnnen einkaufen zu gehen, Italienerïnnen singen auf ihren Balkonen, Menschen spenden sich Trost und Zuversicht.

Beobachtungen, Fundstücke und Tipps

Wie sich das anfühlt

Kevin Roose beschreibt seine Erfahrungen so (NYT):

I expected my first week of social distancing to feel, well, distant. But I’ve been more connected than ever. My inboxes are full of invitations to digital events — Zoom art classes, Skype book clubs, Periscope jam sessions. Strangers and subject-matter experts are sharing relevant and timely information about the virus on social media, and organizing ways to help struggling people and small businesses. On my feeds, trolls are few and far between, and misinformation is quickly being fact-checked.

Genauso geht es mir auch. Ja, Twitter ist immer noch aufgeregt und hektisch, rotzig und besserwisserisch. Insta ist voller Inszenierungen, TikTok albern wie eh und je, Facebooks Algorithmen habe ich noch nie verstanden (oder andersherum).

Aber das macht nichts. Denn dazwischen sind so viel willkommene Ablenkung, Lustiges und Rührendes, Mitgefühl und Menschlichkeit, dass ich heilfroh bin, diese Zeit online überstehen zu können. Quarantäne ist Mist – Quarantäne ohne Netz ist noch viel größerer Mist.

Wie die Plattformen helfen

Als Social Media Watchblog ist es unsere erklärte Aufgabe, Big Tech kritisch auf die Finger zu schauen. Den bedingungslosen Glauben, dass Technik und Vernetzung die Welt zu einem besseren Ort macht, haben wir oft kritisiert. In der Coronakrise aber zeigen viele Unternehmen, dass sie so etwas wie ein Gewissen haben und soziale Verantwortung verspüren.

Twitter, Facebook, YouTube and others can actually deliver on their old promise to democratize information and organize communities, and on their newer promise to drain the toxic information swamp.

Das schreibt Ben Smith (NYT), und er hat Recht:

Be smart

Die kommenden Monate werden hart. Aberausende Menschen werden sterben, Millionen Menschen werden um ihre Existenz bangen. Ausgangssperren und Social Distancing werden viele Menschen einsam machen. Der Soziologe Eric Klinenberg sagt deshalb (Vox):

We’ve entered a new period of social pain. There’s going to be a level of social suffering related to isolation and the cost of social distancing that very few people are discussing yet.

Menschen sind soziale Wesen, Videokonferenzen in HD können Kontakt von Angesicht zu Angesicht nicht ersetzen (WSJ). Diese Sorge treibt auch Mark Zuckerberg um. „I’m personally quite worried that the isolation from people being at home could potentially lead to more depression or mental health issues”, sagt er (The Verge).

Deshalb wäre es zynisch, die Krise als Chance zu bezeichnen (abgesehen davon, dass das eine abgegriffene Floskel ist). Trotzdem könnte der aktuelle Ausnahmezustand Prozesse auslösen, die der Gesellschaft langfristig gut tun (und unserem Planeten erst recht). Am Beispiel von Igor Levit beschreibt Georg Diez (Looping Group), wie diese Kommunikations-Revolution aussehen könnte:

Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, das zeigt diese Krise, bieten eine viel umfassendere Möglichkeit, sich zu informieren, und zwar auf eine Art und Weise, die an Tiefe, Kontinuität und Genauigkeit in keinem Vergleich steht zu dem, was die traditionellen Medien in gefiltertem Maß tun; wobei der Filter genau das Problem ist, denn zwischen Absender und Adressat schaltet sich jemand, der oder die im Zweifelsfall deutlich weniger weiß als etwa Christian Drosten.

Jahrelang haben Feuilletonistïnnen von „sogenannten sozialen Medien” geschrieben. Vielleicht können sie sich den Zusatz bald sparen, weil das Netz endlich jenes Versprechen einlöst, das viele einst damit verbunden haben (NYT):

But if there is a silver lining in this crisis, it may be that the virus is forcing us to use the internet as it was always meant to be used — to connect with one another, share information and resources, and come up with collective solutions to urgent problems.


Foto-Quelle: Fusion Medical Animation, Unsplash