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Warum die Entscheidung des Facebook Oversight Board größer ist als Donald Trump

Warum die Entscheidung des Facebook Oversight Board größer ist als Donald Trump

Was ist

Fast auf den Tag genau fünf Monate, nachdem Facebook den damaligen US-Präsidenten von seiner Plattform warf, hat das Oversight Board über die Sperre entschieden: Der Bann war grundsätzlich gerechtfertigt, allerdings hat das Board Facebook auch einige knifflige Hausaufgaben mitgegeben.

Warum das wichtig ist

Die Entscheidung hat drei Ebenen, die weitreichende Fragen aufwerfen:

  1. Wie geht es weiter mit Trump, der auch ohne politisches Amt noch eine mächtige Figur mit Millionen Unterstützerïnnen darstellt?
  2. Wie soll Facebook grundsätzlich mit Regierungschefïnnen umgehen?
  3. Wer sollte Facebooks Regeln schreiben und sie auslegen?

In seinen ersten Entscheidungen hatte das Board Facebook mehrfach widersprochen. Der aktuelle Fall war komplex, und die Mitglieder des Boards waren sich nicht komplett einig. Das zeigen auch mehrere abweichende Empfehlungen einer Minderheit des Boards, die in der finalen Entscheidung enthalten sind.

Es war also schwer vorauszusagen, was das Board diesmal sagen würde. Dutzende Journalistïnnen hatten Analysen und Kommentare vorgeschrieben, die sie am Mittwoch um 15 Uhr abfeuern wollten. Dummerweise fiel die Entscheidung anders aus, als sich das die meisten erwartet hatten: Es ist eben kein klares Urteil, sondern ein komplexes, fast 12.000 Zeichen umfassendes Statement – das genauere Betrachtung verdient, als es viele der ersten Reaktionen leisten.

Warum die Entscheidung nötig wurde

Am 6. Januar stürmte ein wütender Mob das US-Kapitol. Trump veröffentlichte mehrere Posts und ein Video, in denen er die Angreiferïnnen verteidigte und Verständnis für sie äußerte. Wir zitieren den Wortlaut, denn er ist wichtig, um sich eine eigene Meinung zu bilden.

In einem Video, das Trump auf Facebook, Instagram, Twitter und YouTube teilte, sagte er:

We had an election that was stolen from us. It was a landslide election, and everyone knows it, especially the other side, but you have to go home now. We have to have peace. We have to have law and order. (…) This was a fraudulent election, but we can't play into the hands of these people. We have to have peace. So go home. We love you. You're very special. You've seen what happens. You see the way others are treated that are so bad and so evil. I know how you feel. But go home and go home in peace.

In einem Posting schrieb Trump:

These are the things and events that happen when a sacred landslide election victory is so unceremoniously viciously stripped away from great patriots who have been badly unfairly treated for so long. Go home with love in peace. Remember this day forever!

Facebook wertete beides als Verstoß gegen seine "Community-Standards on Dangerous Individuals and Organizations" und sperrte Trump zunächst für 24 Stunden. Einen Tag später weitete Facebook die Verbannung "auf unbestimmte Zeit" aus, mindestens aber für zwei Wochen.

14 Tage später, nachdem Joe Biden das Präsidentenamt übernommen hatte, verkündete Facebook, dass es den Fall an das Oversight Board übergeben habe. Das Gremium sollte entscheiden, ob es richtig war, Trumps Accounts auf Facebook und Instagram unbefristet zu sperren. Außerdem erbat sich Facebook Empfehlungen, wie es mit anderen Politikerïnnen umgehen solle, die ebenfalls gegen Community-Standards verstoßen.

Was das Board entschieden hat

Die Entscheidung umfasst mehrere Teilaspekte:

1. War die Sperre gerechtfertigt?

2. War die Dauer der Sperre gerechtfertigt?

3. Was muss Facebook tun?

Was das Board Facebook empfiehlt

Neben der Beurteilung der Sperre fragte Facebook das Board nach Policy-Empfehlungen. Dieser Bitte ist das Gremium nachgekommen. Das Statement enthält ein knappes Dutzend teils konkreter, teils allgemeiner Ratschläge. Im Gegensatz zur Trump-Entscheidung sind diese Empfehlungen nicht bindend.

Facebook bezog sich konkret auf politische Machthaberïnnen, das Board erweiterte die Empfehlungen aber auf einflussreiche Nutzerïnnen, unabhängig von ihrem politischen Amt. Schließlich hätten alle Accounts mit großer Reichweite auch eine besondere Verantwortung und stellten ein mögliches Risiko dar, wenn sie ihre Reichweite missbrauchen.

Derzeit gibt es bei Facebook eine sogenannte "newsworthiness"-Ausnahme: Bestimmte Inhalte dürfen online bleiben, wenn sie von öffentlichem Interesse sind, obwohl sie gegen die Community-Standards verstoßen. Dem Board zufolge führt diese Regel zu großer Verwirrung, weshalb Facebook sie genauer erklären müsse.

Das Gleiche, also bessere Erklärungen, wünscht sich das Board auch für Fälle, in denen Facebook einflussreiche Konten vorübergehend sperrt. Es müsse öffentlich erklärt werden, auf welcher Grundlage und welchen Verstößen die Sperre beruhe. Bevor die Sperre aufgehoben werde, solle Facebook prüfen, ob wirklich keine Gefahr mehr bestehe – und den Account gegebenenfalls noch länger sperren.

Weitere interessante Empfehlungen, teils mit zusätzlichen Anmerkungen:

Wie es jetzt weitergeht

Was die Entscheidung bedeutet

Was man aus der Entscheidung sonst noch lernen kann

Evelyn Douek hat nicht nur die wohl fundierteste Einschätzung zur Entscheidung geschrieben (Lawfare Blog), sondern weist auch auf drei Details hin, die sonst vielleicht im sehr langen Statement des Boards untergegangen wären:

Wie wir die Entscheidung einschätzen

Warum mehr auf dem Spiel steht als Trump

Man könnte das glatt verstehen als Aufruf, eine gesellschaftliche Initiative zu starten, die diese Entscheidungen diskutiert – und das Oversight Board damit überflüssig macht.


Header-Foto von KAL VISUALS bei Unsplash