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18.9.2020 | Schwere Vorwürfe gegen Facebook, Silicon Valley und Klimaschutz, Filter-Journalismus bei Instagram

18.9.2020 | Schwere Vorwürfe gegen Facebook, Silicon Valley und Klimaschutz, Filter-Journalismus bei Instagram

Facebook-Memo: Ex-Mitarbeiterin erhebt schwere Vorwürfe

Was ist

Eine ehemalige Facebook-Angestellte wirft dem Unternehmen vor, Wahlmanipulationen und Desinformationskampagnen teils monatelang ignoriert zu haben. Das zuständige Policy-Team konzentriere sich auf die USA und Europa. Für Länder abseits des Kerngeschäfts fehle es an Ressourcen und auch am Willen, Missbrauch zu verhindern.

Warum das wichtig ist

In den vergangenen Monaten haben sich immer wieder aktuelle und ehemalige Facebook-Mitarbeiterïnnen an Medien gewandt und teils brisante interne Informationen durchgestochen (#659). Der aktuelle Leak zählt zu den größten und substanziellsten. Er erhärtet den Verdacht, dass Facebook in erster Linie auf öffentlichen Druck hin reagiert. Der gesellschaftliche Schaden, den die Plattform in Schwellen- und Entwicklungsländern anrichtet, scheint in Menlo Park keine allzu große Priorität zu genießen.

Woher die Anschuldigungen stammen

Die Vorwürfe gehen auf Sophie Zhang zurück, die drei Jahre als Data Scientist bei Facebook arbeitete. Sie wurde kürzlich gekündigt und teilte an ihrem letzten Arbeitstag im September ein langes Posting in Facebooks internen Kommunikationsforen. Angeblich lehnte sie eine Abfindung in Höhe von 64.000 Dollar ab, um kein NDA unterschreiben zu müssen und ihr Memo zumindest konzernintern veröffentlichen zu können.

Das Posting landete bei drei BuzzFeed-Reportern und später auch bei der New York Times. Während die Zusammenfassung der NYT recht knapp ausfällt (womöglich, weil BuzzFeed den Scoop zuerst exklusiv hatte), zitiert BuzzFeed großzügig aus dem 6600-Wörter-Memo.

BuzzFeed selbst räumt dem Leak offenbar große Bedeutung ein und fasst die Geschichte so zusammen:

The memo is a damning account of Facebook’s failures. It’s the story of Facebook abdicating responsibility for malign activities on its platform that could affect the political fate of nations outside the United States or Western Europe. It's also the story of a junior employee wielding extraordinary moderation powers that affected millions of people without any real institutional support, and the personal torment that followed.

Was Zhang Facebook vorwirft

Wir können nicht jedes Details aus dem BuzzFeed-Bericht wiedergeben. Wer sich für das Thema interessiert, sollte die Recherche selbst lesen. Das sind die aus unserer Sicht zentralen Vorwürfe:

Was Facebook dazu sagt

Wir haben Facebook unter anderem gefragt, ob es die Vorwürfe von Zhang dementiert oder kommentiert. Eine Sprecherin schickte uns das Statemen, das auch BuzzFeed zitiert:

We’ve built specialized teams, working with leading experts, to stop bad actors from abusing our systems, resulting in the removal of more than 100 networks for coordinated inauthentic behavior. It’s highly involved work that these teams do as their full-time remit. Working against coordinated inauthentic behavior is our priority, but we’re also addressing the problems of spam and fake engagement. We investigate each issue carefully, including those that Ms. Zhang raises, before we take action or go out and make claims publicly as a company.

Einerseits ist es verständlich, dass Facebook nichts zu den konkreten Vorwürfen sagen will, bevor sie die Angelegenheit geprüft haben. Andererseits sind wir uns sicher, dass Facebook die teils recht spezifischen Anschuldigungen dementiert hätte, wenn Zhangs Darstellung gar keine Faktengrundlage hätte.

Intern sagt Facebook, es sei nicht Zhangs primäre Aufgabe gewesen, sich um Manipulationsversuche, Bots und Fake-Accounts zu kümmern. Ryan Mac, einer der drei BuzzFeed-Reporter, zeigt den Screenshot einer Nachricht an Angestellte (Twitter), in der ein Mitarbeiter des Kommunikationsteams unterschwellig Zweifel an Zhangs Kompetenz und Urteilskraft schürt: "(…) what she believed to be coordinated inauthentic behavior".

In der Vergangenheit veröffentlichte Facebook in solchen Fällen oft Richtigstellungen, etwa wenn es Recherchen von Medien wie der NYT oder des WSJ für falsch hielt. Dass dieser Widerspruch bislang ausgeblieben ist, mag daran liegen, dass es in diesem Fall um eine ehemalige Mitarbeiterin geht. Vielleicht treffen Zhangs Vorwürfe aber auch einfach zu, sodass es zumindest inhaltlich nichts Substanzielles zu dementieren gibt.

Was wir (nicht) wissen

Zhang will ihr Memo selbst nicht weiter kommentieren – verständlich, schließlich hatte sie das Posting nur intern veröffentlicht und wohl nicht mit der öffentlichen Aufmerksamkeit gerechnet. Wir können zwar nicht mit letzter Sicherheit sagen, wer das Memo an die Presse weitergegeben hat. Unseren Informationen nach war sie es aber nicht selbst.

Wir haben mit vier Personen gesprochen, von denen zwei früher und zwei nach wie vor bei Facebook arbeiten. Eine davon kennt Zhang persönlich und hatte beruflich zumindest Schnittmengen. Allerdings hat niemand eng genug mit ihr zusammengearbeitet, um ihre Vorwürfe im Detail zu beurteilen.

Grundsätzlich halten aber alle vier Personen die Darstellung für durchaus glaubwürdig. Sie teilen Zhangs Eindruck, dass Facebooks Hauptaugenmerkt auf den USA und Europa liegt. Das deckt sich mit früheren Erfahrungen. Facebook hat sich etwa für die Rolle entschuldigt, die die Plattform bei Menschenrechtsverletzungen in Ländern wie Myanmar, Sri Lanka und Kambodscha spielte.

In Ausgabe #638 schrieben wir dazu:

Das US-Unternehmen Facebook hat lange zu wenig darauf geachtet, wie Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern seine Dienste nutzen. Diese blinden Flecken haben dazu geführt, dass Extremistïnnen offen zu Gewalt aufrufen konnten.

Dieser Eindruck scheint sich zu bestätigen. Auch unsere Informantïnnen betonen aber, dass es nicht um bewusstes Wegschauen gehe. Im Integrity-Team arbeiten demnach mehrere hundert Menschen, die

nach bestem Wissen und Gewissen versuchten, den Missbrauch der Plattform zu verhindern. Dass dies nicht immer gelinge, sei eine Frage von Kapazitäten und Prioritäten.

Be smart

Bis 2014 lautete Facebooks Unternehmensmotto: "Move fast and break things". Manchmal wirkt es so, als handle Facebook immer noch so. Wachstum genießt höchste Priorität, um die Risiken und Nebenwirkungen kümmern sich nur wenige Angestellte.

In jedem Land, das wirtschaftlich auch nur ansatzweise interessant ist, gibt es eine Abteilung für Sales und Marketing. Die Integrity-Teams sind schmückendes Beiwerk, insbesondere wenn es um Länder geht, die geografisch und kulturell weit von Kalifornien entfernt sind.

Natürlich ist die US-Wahl wichtig, und es ist nachvollziehbar, dass Facebook seine Ressourcen derzeit darauf konzentriert. In diesem Zuge scheinen aber andere Regionen aus dem Blickfeld zu geraten, was Missbrauch und Manipulationsversuche begünstigt.

Für eine globale Plattform, die allein im vergangenen Quartal mehr als fünf Milliarden Dollar verdient hat (Facebook Investor Relations), ist das ein Armutszeugnis. Das Portal "Rest of World" (gegründet von Sophie Schmidt, der Tochter des Ex-Google-Chefs Eric Schmidt) sammelt Tech-Geschichten aus den Teilen der Welt, die normalerweise "übersehen und unterschätzt" werden. Facebook könnte etwas davon lernen.


Tech goes Klimaschutz: mehr als nur PR?

Was ist

Facebook und Google wollen ihren CO2-Fußabdruck auf null reduzieren:

Warum das wichtig ist

Wer zwei Juristïnnen fragt, bekommt oft drei Meinungen zu hören. Wer 100 Klimaforscherïnnen fragt, bekommt eine Meinung zu hören: Klimakrise und globale Erhitzung sind real – und eine der existenziellsten Bedrohungen für unseren Planeten und damit auch für die Menschheit. Im Vergleich zu Branchen wie den Automobilherstellern oder der Ölindustrie dürfte das Silicon Valley keinen allzu großen Beitrag dazu leisten – doch je mehr große Unternehmen die Klimakrise ernst nehmen und Gegenmaßnahmen einleiten, desto besser.

Was davon zu halten ist

Die Ankündigungen klingen spektakulär, man muss aber genau hinsehen. Wenn Google etwa sagt, dass es sämtliche CO2-Emissionen seiner Unternehmensgeschichte kompensiert habe, schwingt auch viel PR mit, schreibt etwa der Umweltjournalist Roger Harrabin (BBC):

But the claim to have "offset" all of Google's historical carbon "debt" needs scrutiny. The company tells me its offsets so far have focused mainly on capturing natural gas where it's escaping from pig farms and landfill sites. But arguably governments should be ensuring this happens anyway.

Google says it's also monitoring the debate about so-called Nature Based Solutions, which involve activities such as planting trees to capture CO2. But the science on this is still contested. And any firm wanting to lock up its emissions in trees would need to make sure they're never dug up, or burned down.

Noch umstrittener ist die Selbstverpflichtung von Facebook. Das liegt nicht an den selbst gesteckten Zielen. Vielmehr konterkarieren Facebooks Taten teils die hehren Worte:

Be smart

Ein Teil der Kritik ist sicher berechtigt. Insbesondere Facebooks Umgang mit Klimalügen auf der eigenen Plattform war lange Zeit eher Teil des Problems als Teil der Lösung.

Das Informationszentrum mag manchen nicht weit genug gehen, ist unserer Ansicht nach aber zumindest ein (kleiner) Schritt in die richtige Richtung. Niederschwellige Handlungsempfehlungen sind oft besser als dystopische Warnungen und radikale Aufforderungen zur Verhaltensänderung, die viele Menschen ab- und verschrecken.

Wenn mit Microsoft, Apple, Google und Facebook vier der fünf Big-Tech-Konzerne (looking at you, Amazon) bis 2030 komplett klimaneutral werden wollen, ist das auf jeden Fall ein wichtiges Signal. Glaubt man Lisa Jackson (The Pioneer), die bei Apple für Umweltthemen zuständig ist, handelt es sich auch nicht um eine PR-Maßnahme, sondern liege um Interesse der Unternehmen:

Im Kern ist Klimaneutralität ein Investment in unsere Zukunft, das auch finanzielle Gewinne ergibt. Niemand bittet hier um Spenden.


Social Media & Journalismus


Neue Features bei den Plattformen

Facebook

Twitter


One more thing

Auf der Suche nach der nächsten Plattform: Facebook hat diese Woche eine Reihe neuer Produkte und Anwendungen vorgestellt, die Facebooks Ambitionen in Sachen AR und VR untermauern sollen. Wir hatten leider noch keine Zeit, uns ausführlicher mit Project Aria und Co zu beschäftigen. Das tun wir aber gern nächste Woche. In der Zwischenzeit erfreuen wir uns noch einmal an dieser Ikone.


Header-Foto von Jana Shnipelson bei Unsplash