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23.7.2020 | Kampf um TikTok, Twitter kickt QAnon, BKA liest bei WhatsApp mit, Mozillas TheirTube

23.7.2020 | Kampf um TikTok, Twitter kickt QAnon, BKA liest bei WhatsApp mit, Mozillas TheirTube

Kampf um TikTok

Was ist

Bei TikTok brennt die Hütte. Woche für Woche wird der Ton rauer, die Kritik lauter. Politikerïnnen warnen eindringlich, Indien hat die App bereits verboten, die USA denken darüber nach. Auch ein (erzwungener) Verkauf von TikTok an ein nicht-chinesisches Unternehmen wird derzeit ins Spiel gebracht. Der Versuch einer Einordnung:

Worum geht es konkret?

All Chinese Internet companies are compelled by the country’s National Intelligence Law to turn over any and all data that the government demands, and that power is not limited by China’s borders. Moreover, this requisition of data is not subject to warrants or courts, as is the case with U.S. government requests for data from Facebook or any other entity; the Chinese government absolutely could be running a learning algorithms in parallel to ByteDance’s on all TikTok data.

We may share your information with law enforcement agencies, public authorities or other third parties if we consider that we are legally required to do so or if such use is reasonably necessary to: comply with a legal process or request;

ByteDance’s different apps share technologies for personalized recommendation and other engineering resources.

TikTok even takes steps to obfuscate how the app works, which the company told The Washington Post is meant to thwart hackers, but obviously could have other purposes. Even by watching the app's network requests, you can't get the whole picture.

China is willing and able to use data to suppress dissent, distribute propaganda and harm people.

Warum ist das alles überhaupt interessant?

 

  1. Es geht um die Zukunft des Netzes und die Frage, ob sich das Internet in ein Splinternet verwandelt (Wikipedia).
  2. Es geht um die Frage, wer darüber (mit-)entscheidet, welche Inhalte bei den Nutzerïnnen landen: US-amerikanische Unternehmen, bei denen die Sorge besteht, dass sie zu lax moderieren? Oder Unternehmen aus China, bei denen die Sorge besteht, dass sie zu viel moderieren ("zensieren")?
  3. Es geht um wirtschaftliche Fragen: Kann ein Unternehmen mit Wurzeln in China den westlichen Markt aufmischen, während westlichen Unternehmen der Zugang zum chinesischen Markt verwehrt bleibt?
  4. Es geht um geopolitische Fragen: Die Drohung, eine App zu verbieten, wird zur politischen Handlungsmasse.
  5. Es geht um Glaubensfragen: Ben Thompson, bislang nicht gerade als politischer Hardliner aufgefallen, fordert den Verkauf von TikTok an ein nicht-chinesisches Unternehmen, um „die Welt vor Chinas Krieg gegen den Liberalismus zu schützen“.

Wie könnte es weitergehen?

Be smart

ByteDance ist bereits zur Hälfte in US-Hand. Auch sind 4 von 5 Mitgliedern des Aufsichtsrats Amerikaner. Ein Verkauf an US-amerikanische Investoren wäre also gar kein so großer Kulturschock. Dennoch ist dieses Szenario mindestens aus zwei Gründen unwahrscheinlich:

  1. Ein Verkauf an ein nicht-chinesisches Unternehmen bedeutet nicht automatisch das Ende des Konflikts. Schließlich haben die Installation eines Ex-Disney-Managers als neuem CEO (New York Times), eine Neuaufstellung des Management-Boards (Pandaily), die Verstärkung der Lobby-Bemühungen (New York Times), die Ankündigung, Tausende neue Jobs zu schaffen (Axios) sowie die Diskussion um ein neues Headquarter außerhalb von China (The Guardian) auch noch nicht dazu geführt, ausreichend Vertrauen zu gewinnen.
  2. Zudem fielen bei einer Übernahme wohl Teile des Codes, der TikTok (und Douyin) so populär macht, in die Hände Dritter. Dass ByteDance dies zulässt, ist fraglich. Dann doch lieber wieder auf den lukrativen Heimatmarkt konzentrieren (The Information).

Wie auch immer das alles ausgeht, Facebook ist natürlich bereits vorbereitet, um TikTok das Leben schwer zu machen: Der TikTok-Klon Reels steht kurz vorm internationalen Rollout (Techcrunch).


Twitter kickt QAnon – endlich

Was ist

Twitter hat eine Reihe von Maßnahmen gegen die rechtsradikale QAnon-Bewegung angekündigt. Sie sollen Reichweite und Sichtbarkeit der Verschwörungsmythen reduzieren.

Warum das wichtig ist

QAnon steht längst nicht mehr nur für ein paar Spinnerïnnen, die man einfach ignorieren kann. Die Bewegung ist gefährlich, und ihre Lügen haben Konsequenzen:

Wie Twitter gegen QAnon vorgeht

Ein ganzes Maßnahmenpaket soll verhindern, dass sich die Verschwörungserzählungen weiter ausbreiten und QAnon-Anhängerïnnen andere Nutzerïnnen belästigen und bedrohen:

Im Zuge dieser Maßnahmen hat Twitter bereits 7000 Accounts gesperrt (NBC). Insgesamt beträfen die Schritte rund 150.000 Konten, sagt eine Person, die im Namen von Twitter spricht, aber anonym bleiben will, weil sie gezielte Hasskampagnen fürchtet.

Wie Twitter das Vorgehen begründet

Twitter spricht im Zusammenhang mit QAnon von "Verhalten, das das Potential habe, 'offline harm' auszulösen". Wie berechtigt diese Sorge ist, zeigt diese Atlantic-Titelgeschichte, in der Adrienne LaFrance ausführlich erklärt, wie und warum Verschwörungsmythen wie QAnon eine reale Gefahr darstellen.

Zu spüren bekamen das in den vergangenen Jahren immer wieder Prominente, die von QAnon-Anhängerïnnen digital verfolgt, belästigt und bedroht wurden. Erst vergangene Woche schrieb etwa Chrissy Teigen (Twitter):

I have block chained over one million people, ONE MILLION people today and I am still flooded with sick psychopaths. So please, spare me the "just ignore them, they’re just trolls"

Dementsprechend erleichtert reagiert sie jetzt auf Twitters Entscheidung. Einem Account, der von "Zensur" spricht, antwortet sie:

You don’t have a "right" to coordinate attacks and make death threats. It is not an "opinion" to call people pedophiles who rape and eat children.

Be smart

Der Trend, den wir in Briefing #654 als allmählichen Abschied vom "Wild Wild Web" beschrieben haben, setzt sich fort. Plattformen verschärfen ihr Vorgehen gegen Rechtsradikale, Rassistïnnen und Verschwörungsideologïnnen. Sie erkennen, dass digitaler Hass analoge Folgen hat, und handeln dementsprechend.

Deplatforming verbannt die Wut nicht aus den Köpfen, sondern nur aus der Öffentlichkeit. Das birgt Gefahren, manche Bewegungen formieren sich in dunkleren Ecken neu und radikalisieren sich weiter. Studien deuten aber daraufhin, dass in den meisten Fällen die Vorteile überwiegen: Wenn Verschwörungsmythen weniger sichtbar sind, sinkt die Gefahr, dass sich das Gift noch weiter in die Gesellschaft hineinfrisst.

Twitter ist die erste große Plattform, die konsequent gegen QAnon vorgeht. Reddit hat einzelne Richtlinie, die etwa koordinierte Hasskampagnen verbieten, Facebook sperrte im Frühjahr mehrere Seiten, Gruppen und Konten (PDF). Eine konsistente Policy fehlt aber bislang, und der Guardian enthüllte kürzlich, dass QAnon-Verschwörungsmythen auf Facebook Hunderttausende Menschen erreichen.

Das könnte sich bald ändern (NYT):

Facebook is preparing to take similar steps to limit the reach of QAnon content on its platform, said two Facebook employees with knowledge of the plans, who spoke on the condition of anonymity. The company has been coordinating with Twitter and other social media companies and plans to make an announcement next month, the employees said.


Das BKA liest bei WhatsApp mit: kein Hack, trotzdem wichtig

 

Was ist

Eine Recherche von Florian Flade und Hakan Tanriverdi (Offenlegung: die wir persönlich kennen und schätzen) löste viele Reaktionen aus. Kein Wunder bei dieser Überschrift: "BKA kann bei WhatsApp mitlesen" (Tagesschau)

Auf die anfängliche Aufregung folgte viel Kritik – und zwar nicht unbedingt am BKA, sondern an der Aufmachung von BR und Tagesschau.

 

Was die Kritikerïnnen sagen

Vor allem auf Twitter bemängelten viele die angeblich übertriebene Darstellung der Recherche. Auch manche Medien hielten Debunkings für nötig: "Nein, das BKA kann eure WhatsApp-Nachrichten nicht einfach so mitlesen" (t3n)

Im Wesentlichen geht es um zwei Vorwürfe:

  1. Ermittlerinnen benötigen physischen Zugriff auf das Smartphone. Das ist eine enorm hohe Hürde. Und wer das (entsperrte) Handy einer Zielperson hat, kann ohnehin auf alle Daten, Kontakte und Nachrichten zugreifen, sofern sie sich nicht zusätzlich gesichert sind.
  2. Das BKA hat nicht etwa WhatsApp gehackt, sondern nutzt eine ganz normale Funktion: Die Beamtïnnen koppeln das Smartphone mit dem Web-Client in einem andere Browser ("WhatsApp Web") und können anschließend über den eigenen Rechner auf vergangene Konversation zugreifen und künftige Unterhaltungen mitlesen. Wenn das Smartphone gekoppelt ist, werden Nutzerïnnen aber durch eine dauerhafte Benachrichtigung gewarnt und können die Verbindung jederzeit aufheben. Das sind keine guten Voraussetzung, um Kriminelle zu überwachen, die sich auch nur ein kleines bisschen mit Technik auskennen.

 

Was die Journalistïnnen sagen

Flo und vor allem Hakan antworten vielen Menschen, die sich auf Twitter über angeblichen Clickbait beschweren. Ihre Argumentation: Die Aussage der Überschrift ist korrekt, faktisch liest das BKA auf WhatsApp mit. Außerdem ist im Teaser von einer "regulären Funktion" die Rede, ein Hack wird nirgends nahegelegt.

Der wichtigste Grund für die Berichterstattung lautet aber: Das BKA hat den Umweg über den Web-Client von WhatsApp bereits im Fall eines Terrorverdächtigen genutzt, der gemeinsam mit dem Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri und einem französischen Extremisten eine Serie von Bombenanschlägen geplant haben soll.

Bislang war nicht bekannt, dass Ermittlerïnnen neben dem Staatstrojaner auch auf solche Low-Tech-Methoden setzen, um verschlüsselte Messenger-Nachrichten abzugreifen. Technisch ist das natürlich banal, aber allein die Tatsache, dass das BKA auf diesem Weg versucht, bei WhatsApp mitzulesen, ist eine wichtige Information und könnte die Debatte über den Einsatz des Staatstrojaners neu befeuern.


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Header-Foto von Thomas de Luze bei Unsplash