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9 Min. Lesezeit Journalismus

Folgst du Mensch oder Maschine?

Es lohnt sich, zuzuhören, wenn mächtige Leute sprechen. Oft verbergen sie nicht, was sie vorhaben, sondern erzählen es einfach.

Heute veröffentlichen wir einen Gastbeitrag von Sebastian Esser. Sebastian ist Gründer von Steady und schreibt einen Newsletter darüber, wie Menschen mit Communitys Geld verdienen können: Blaupause. Wir kennen ihn schon länger und nutzen selbst Steady, um unsere Mitgliedschaften zu verwalten – bezahlt werden wir für diesen Beitrag aber nicht. Im Gegenteil: Wir freuen uns sehr über Sebastians Text, denn Simon gönnt sich gerade einen wohlverdienten Geburtstags-Kurzurlaub, und Martin kämpft mit einer hartnäckigen Erkältung.


Was ist

Es lohnt sich, zuzuhören, wenn mächtige Leute sprechen. Oft verbergen sie nicht, was sie vorhaben, sondern erzählen es einfach – das gilt für Trump, Putin, Orban, Höcke, Musk.

Hier ein Zitat von Mark Zuckerberg aus dem Quartalsbericht von Meta am 30. Oktober (Meta / Investor Relations):

Social media has gone through two eras so far. First was when all content was from friends, family, and accounts that you followed directly. The second was when we added all the creator content. Now, as AI makes it easier to create and remix1 content, we're going to add yet another huge corpus of content on top of those.

Wenn Mark Zuckerberg von einer dritten Social-Media-Ära spricht, spitze ich die Ohren. Ich übersetze mal, wie ich das obige Zitat verstehe.

Die Friends & Family-Ära

Ursprünglich hat Social Media die Leute, wie wir sie kennen, unsere sozialen Beziehungen aus dem echten Leben ins Internet gebracht. Wir konnten lesen, was die Leute um uns herum zu sagen hatten. Facebook war eine digitale Kopie unserer sozialen Kontakte im echten Leben.

Die Follower-Ära

Dann brachte TikTok die Phase der For-You-Feeds. Seitdem kommen die Inhalte nicht mehr unbedingt von Leuten, denen ich folge, sondern ein Algorithmus berechnet, welche Sorte Inhalte mir wahrscheinlich gefällt.

Auch Instagram und Facebook folgen zunehmend dieser Logik. Schon im vergangenen Jahr kamen über die Hälfte der Inhalte, die Menschen auf Instagram sehen, von Accounts, denen sie gar nicht folgen. Auch bei YouTube Shorts, dem Hochkant-Konkurrenten für TikTok von Google, besteht der Feed fast nur noch aus KI-Empfehlungen – mit gigantischem Erfolg: Über 200 Milliarden Views pro Tag erzielen Youtube Shorts mittlerweile, nach nur 70 Milliarden im vergangenen Jahr (The Verge). Dieser explosionsartige Anstieg zeigt, wie sehr wir inzwischen den Algorithmen überlassen, welche Inhalte wir sehen.

Die Für-Dich-Feeds ermöglichten den Aufstieg der Creators, Leute mit Millionen Followern. Speziell für sie wurde der Begriff Creator Economy geprägt, die sogar die traditionellen Medien und ihre Geschäftsmodelle in Gefahr bringt. Denn Werbebudgets landen inzwischen nicht mehr in Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehsendern oder Radios, sondern in Creator-Kooperationen oder algorithmisch gesteuerter Plattform-Werbung. Für Journalismus und andere „relevante“ Inhalte bleibt immer weniger Budget übrig.

Aber künstliche Intelligenz hat auch die Follower-Phase grundlegend disruptiert. Die Algorithmen von TikTok sind so gut, dass man sich nur wundern kann, woher diese Höllenmaschine so genau weiß, welche Videos mich interessieren. Statt selbst unsere Lieblings-Creators zu kuratieren, swipen wir stumpf vor uns hin und lassen uns durch den Feed zerren, belohnt mit immer neuen kleinen Dopamin-Kicks.

Die Slop-Ära

Doch auch diese Phase geht dem Ende zu, wenn man Mark Zuckerberg glaubt. Denn KI automatisiert in Zukunft nicht nur die Kuration unserer Feeds, sondern übernimmt gleich auch die Produktion von Inhalten. Das hat den Vorteil, dass die Plattformen, aber auch ihre Werbekunden komplett ohne Menschen auskommen.

Wie das funktionieren kann, hat Adobe vor zwei Wochen als Project Moonlight vorgestellt: einen KI-Assistenten, der als persönlicher Social-Media-Manager auf Autopilot fungiert. Moonlight vernetzt Adobe-Apps mit deinen Social-Media-Kanälen, entwirft in deinem persönlichen Stil Posts und veröffentlicht sie auch gleich.

YouTube geht einen Schritt weiter: CEO Neal Mohan kündigte an, ein neues generatives Videomodell (VO3) direkt in Shorts einzubauen (The Verge). Bald könnten also massenhaft AI-generierte Kurzvideos unsere Feeds fluten, produziert von der Plattform selbst. Menschen kommen nicht mehr vor.

Für Zuckerberg ein feuchter Traum.

Denn Geld verdient Meta mit Werbung. KI ermöglicht es nun, Werbekampagnen noch stärker als bisher zu optimieren. Also den richtigen Leuten im richtigen Moment die richtige Werbung vorzusetzen. Dazwischen: KI-generierte Videos.

Warum das auf Dauer nicht gut geht

Die Plattformen machen Creators überflüssig. Nicht über Nacht, aber ewig wird es auch nicht dauern. Die anstrengenden Menschen können weg.

Dir fallen sicher sofort jede Menge Argumente ein, warum das auf Dauer nicht gut gehen kann. Ich sehe das auch so. Es ist ein etwas kurzsichtiges Konzept, komplett auf AI-Slop zu setzen und zu hoffen, dass die Leute einen immer größeren Teil ihres Lebens von hirnlosem Computer-Matsch füllen lassen.

Hier ein paar Gründe.

1. Algorithmus-Müdigkeit

Ich habe neulich den Begriff Algorithm Fatigue kennengelernt: mentale Erschöpfung durch den endlosen Strom ähnlicher, auf maximale Verweildauer getrimmter Posts. Der Algorithmus zeigt immer mehr vom gleichen Einheitsbrei, bis wir nicht mehr können. Instagram, YouTube und TikTok sind schon heute zunehmend entfremdete Dopamin-Maschinen, deren Algorithmen unsere Aufmerksamkeit melken.

Studien beobachten eine wachsende Müdigkeit des Publikums gegenüber sich stets wiederholenden Inhalten (Research World). Die Feeds werden monoton. Unsere Aufmerksamkeit sinkt. Wir schalten innerlich ab, scrollen immer lustloser – und steigen irgendwann aus.

2. Creator-Entfremdung

Medienmacher:innen verlieren auf den Plattformen den Kontakt zu ihren Fans. Die direkte Beziehung zum Publikum geht verloren, und dadurch haben Creators keine Gründe mehr, neue Inhalte zu produzieren.

Das hat längst begonnen: Die organische Reichweite geht schon jetzt verloren. Posts bekommen trotz tausender Follower wenige Views, weil der KI-Algorithmus gerade andere Prioritäten hat. (Ein Beispiel von mir: Kaum jemand hat diesen LinkedIn-Post gesehen, wahrscheinlich, weil ich den Begriff „Arsch“ darin verwende. Das passt dem Algorithmus nicht.)

Für Creators fühlt es sich an, als würden sie ständig gegen die unsichtbaren Launen einer Maschine ankämpfen, statt zuverlässig die eigenen Follower zu erreichen. Das wird zunehmend sinnlos.

3. Meme-ifizierung

Ich weiß nicht, ob es dir auch so geht: Wenn eine bestimmte Art von Video gut performt, wird sie vom Algorithmus immer wieder serviert bis zur Überdosis. Uns begegnen überall dieselben Sounds, dieselben Gags. Der Content gleicht sich immer mehr an.

In der Follower-Ära folgte man gezielt den Inhalten, die einen wirklich interessierten. Im Slop-Zeitalter dominiert das, was massenkompatibel funktioniert. Das Ergebnis ist ein Einheits-Pamp, der nie aufhört, zu quellen. Content wird zur Commodity (Blaupause), die schnell und kostenfrei produzierbar ist. Wir Nutzer:innen langweilen uns und fühlen uns übersättigt. Wir haben den Eindruck, schon alles gesehen zu haben.

4. Werbung verliert Wirksamkeit

Der für die Plattformen gefährlichste Aspekt dieser neuen Ära: Zwar lassen sich Werbespots hyperpersonalisiert produzieren und ausspielen, aber trotzdem droht eine Entwertung der Werbung selbst.

Um weiterhin Umsatz zu erreichen, werden die verbleibenden Creators mehr oder weniger zu Werbeagenturen. Sie müssen konstant bezahlte Anzeigen produzieren und Empfehlungen gegen Geld aussprechen („Werbekooperationen“). Sie werden aber organisch kaum noch Follower damit erreichen, denn die Nutzerïnnen sind von dauernder Sponsored-Content-Berieselung genervt. Denn wer will sich so einen Quatsch auf Dauer anschauen?

Unternehmen müssen stattdessen immer mehr Geld in Werbung investieren, die die Plattform-AIs generieren und zu einem algorithmischen Einheitsbrei untermengen. Gleichzeitig werden die Inhalte immer generischer, die Bindung zum Publikum schwindet. Die Effizienz von Social-Media-Werbung sinkt, während die Kosten steigen.

Die Community-Ära

Für mich ist die neue Ära auch eine Chance für Community-Medien. Der Weg gabelt sich. Menschen und Maschinen gehen in verschiedene Richtungen. Meiner Meinung nach spricht viel dafür, dass Menschen eher den Menschen folgen werden, nicht den Maschinen.

Die Plattformen erstellen ihren eigenen synthetischen Content und konzentrieren sich auf ihre zunehmend absurde Mission, unsere Hirne mit auf Zeitverschwendung optimiertem Content-Quark zu verkleistern. Für sie beginnt jetzt die Slop-Ära.

Für menschliche Creators, die weiterhin mit ihren Inhalten Geld verdienen wollen, dagegen beginnt die Community-Ära. Je weniger Plattformen funktionieren, desto mehr setzen Creators und Medienhäuser auf Kanäle, die sie selbst kontrollieren: Newsletter, Podcasts und eigene Community-Plattformen, finanziert durch Mitgliedschaften.

In einer künstlichen Welt sind „echte“ menschliche Bindungen in unabhängigen Netzwerken ein wertvolles Gut. Verbindung, Vertrauen und Loyalität sind zutiefst menschliche Eigenschaften, anthropologische Konstanten. Wir sind soziale Wesen, und das wird uns auch der noch so manipulative AI-Slop nicht abtrainieren können.

Über den Autoren
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Sebastian Esser ist Journalist, Gründer und Herausgeber von Krautreporter sowie CEO der Mitgliedschaftsplattform Steady. Mit Krautreporter setzt er sich seit 2014 für unabhängigen, mitgliederfinanzierten Journalismus ein und hilft mit Steady anderen Medienschaffenden, nachhaltige Geschäftsmodelle aufzubauen. LinkedIn, Newsletter, Krautreporter


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Über den Autor
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Martin Fehrensen hat das Social Media Watchblog 2012 ins Leben gerufen und ist seit 2019 hauptberuflich Herausgeber und Autor. Zuvor arbeitete er für das ZDF und „Der Spiegel“. LinkedIn | Bluesky