Heute veröffentlichen wir einen Gastbeitrag von Sebastian Esser. Sebastian ist Gründer von Steady und schreibt einen Newsletter darüber, wie Menschen mit Communitys Geld verdienen können: Blaupause. Wir kennen ihn schon länger und nutzen selbst Steady, um unsere Mitgliedschaften zu verwalten – bezahlt werden wir für diesen Beitrag aber nicht. Im Gegenteil: Wir freuen uns sehr über Sebastians Text, denn Simon gönnt sich gerade einen wohlverdienten Geburtstags-Kurzurlaub, und Martin kämpft mit einer hartnäckigen Erkältung.
Was ist
Es lohnt sich, zuzuhören, wenn mächtige Leute sprechen. Oft verbergen sie nicht, was sie vorhaben, sondern erzählen es einfach – das gilt für Trump, Putin, Orban, Höcke, Musk.
Hier ein Zitat von Mark Zuckerberg aus dem Quartalsbericht von Meta am 30. Oktober (Meta / Investor Relations):
Social media has gone through two eras so far. First was when all content was from friends, family, and accounts that you followed directly. The second was when we added all the creator content. Now, as AI makes it easier to create and remix1 content, we're going to add yet another huge corpus of content on top of those.
Wenn Mark Zuckerberg von einer dritten Social-Media-Ära spricht, spitze ich die Ohren. Ich übersetze mal, wie ich das obige Zitat verstehe.
Die Friends & Family-Ära
Ursprünglich hat Social Media die Leute, wie wir sie kennen, unsere sozialen Beziehungen aus dem echten Leben ins Internet gebracht. Wir konnten lesen, was die Leute um uns herum zu sagen hatten. Facebook war eine digitale Kopie unserer sozialen Kontakte im echten Leben.
Die Follower-Ära
Dann brachte TikTok die Phase der For-You-Feeds. Seitdem kommen die Inhalte nicht mehr unbedingt von Leuten, denen ich folge, sondern ein Algorithmus berechnet, welche Sorte Inhalte mir wahrscheinlich gefällt.
Auch Instagram und Facebook folgen zunehmend dieser Logik. Schon im vergangenen Jahr kamen über die Hälfte der Inhalte, die Menschen auf Instagram sehen, von Accounts, denen sie gar nicht folgen. Auch bei YouTube Shorts, dem Hochkant-Konkurrenten für TikTok von Google, besteht der Feed fast nur noch aus KI-Empfehlungen – mit gigantischem Erfolg: Über 200 Milliarden Views pro Tag erzielen Youtube Shorts mittlerweile, nach nur 70 Milliarden im vergangenen Jahr (The Verge). Dieser explosionsartige Anstieg zeigt, wie sehr wir inzwischen den Algorithmen überlassen, welche Inhalte wir sehen.
Die Für-Dich-Feeds ermöglichten den Aufstieg der Creators, Leute mit Millionen Followern. Speziell für sie wurde der Begriff Creator Economy geprägt, die sogar die traditionellen Medien und ihre Geschäftsmodelle in Gefahr bringt. Denn Werbebudgets landen inzwischen nicht mehr in Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehsendern oder Radios, sondern in Creator-Kooperationen oder algorithmisch gesteuerter Plattform-Werbung. Für Journalismus und andere „relevante“ Inhalte bleibt immer weniger Budget übrig.
Aber künstliche Intelligenz hat auch die Follower-Phase grundlegend disruptiert. Die Algorithmen von TikTok sind so gut, dass man sich nur wundern kann, woher diese Höllenmaschine so genau weiß, welche Videos mich interessieren. Statt selbst unsere Lieblings-Creators zu kuratieren, swipen wir stumpf vor uns hin und lassen uns durch den Feed zerren, belohnt mit immer neuen kleinen Dopamin-Kicks.
Die Slop-Ära
Doch auch diese Phase geht dem Ende zu, wenn man Mark Zuckerberg glaubt. Denn KI automatisiert in Zukunft nicht nur die Kuration unserer Feeds, sondern übernimmt gleich auch die Produktion von Inhalten. Das hat den Vorteil, dass die Plattformen, aber auch ihre Werbekunden komplett ohne Menschen auskommen.
Wie das funktionieren kann, hat Adobe vor zwei Wochen als Project Moonlight vorgestellt: einen KI-Assistenten, der als persönlicher Social-Media-Manager auf Autopilot fungiert. Moonlight vernetzt Adobe-Apps mit deinen Social-Media-Kanälen, entwirft in deinem persönlichen Stil Posts und veröffentlicht sie auch gleich.
YouTube geht einen Schritt weiter: CEO Neal Mohan kündigte an, ein neues generatives Videomodell (VO3) direkt in Shorts einzubauen (The Verge). Bald könnten also massenhaft AI-generierte Kurzvideos unsere Feeds fluten, produziert von der Plattform selbst. Menschen kommen nicht mehr vor.
Für Zuckerberg ein feuchter Traum.
Denn Geld verdient Meta mit Werbung. KI ermöglicht es nun, Werbekampagnen noch stärker als bisher zu optimieren. Also den richtigen Leuten im richtigen Moment die richtige Werbung vorzusetzen. Dazwischen: KI-generierte Videos.
Warum das auf Dauer nicht gut geht
Die Plattformen machen Creators überflüssig. Nicht über Nacht, aber ewig wird es auch nicht dauern. Die anstrengenden Menschen können weg.
Dir fallen sicher sofort jede Menge Argumente ein, warum das auf Dauer nicht gut gehen kann. Ich sehe das auch so. Es ist ein etwas kurzsichtiges Konzept, komplett auf AI-Slop zu setzen und zu hoffen, dass die Leute einen immer größeren Teil ihres Lebens von hirnlosem Computer-Matsch füllen lassen.
Hier ein paar Gründe.
1. Algorithmus-Müdigkeit
Ich habe neulich den Begriff Algorithm Fatigue kennengelernt: mentale Erschöpfung durch den endlosen Strom ähnlicher, auf maximale Verweildauer getrimmter Posts. Der Algorithmus zeigt immer mehr vom gleichen Einheitsbrei, bis wir nicht mehr können. Instagram, YouTube und TikTok sind schon heute zunehmend entfremdete Dopamin-Maschinen, deren Algorithmen unsere Aufmerksamkeit melken.
Studien beobachten eine wachsende Müdigkeit des Publikums gegenüber sich stets wiederholenden Inhalten (Research World). Die Feeds werden monoton. Unsere Aufmerksamkeit sinkt. Wir schalten innerlich ab, scrollen immer lustloser – und steigen irgendwann aus.
2. Creator-Entfremdung
Medienmacher:innen verlieren auf den Plattformen den Kontakt zu ihren Fans. Die direkte Beziehung zum Publikum geht verloren, und dadurch haben Creators keine Gründe mehr, neue Inhalte zu produzieren.
Das hat längst begonnen: Die organische Reichweite geht schon jetzt verloren. Posts bekommen trotz tausender Follower wenige Views, weil der KI-Algorithmus gerade andere Prioritäten hat. (Ein Beispiel von mir: Kaum jemand hat diesen LinkedIn-Post gesehen, wahrscheinlich, weil ich den Begriff „Arsch“ darin verwende. Das passt dem Algorithmus nicht.)
Für Creators fühlt es sich an, als würden sie ständig gegen die unsichtbaren Launen einer Maschine ankämpfen, statt zuverlässig die eigenen Follower zu erreichen. Das wird zunehmend sinnlos.
3. Meme-ifizierung
Ich weiß nicht, ob es dir auch so geht: Wenn eine bestimmte Art von Video gut performt, wird sie vom Algorithmus immer wieder serviert bis zur Überdosis. Uns begegnen überall dieselben Sounds, dieselben Gags. Der Content gleicht sich immer mehr an.
In der Follower-Ära folgte man gezielt den Inhalten, die einen wirklich interessierten. Im Slop-Zeitalter dominiert das, was massenkompatibel funktioniert. Das Ergebnis ist ein Einheits-Pamp, der nie aufhört, zu quellen. Content wird zur Commodity (Blaupause), die schnell und kostenfrei produzierbar ist. Wir Nutzer:innen langweilen uns und fühlen uns übersättigt. Wir haben den Eindruck, schon alles gesehen zu haben.
4. Werbung verliert Wirksamkeit
Der für die Plattformen gefährlichste Aspekt dieser neuen Ära: Zwar lassen sich Werbespots hyperpersonalisiert produzieren und ausspielen, aber trotzdem droht eine Entwertung der Werbung selbst.
Um weiterhin Umsatz zu erreichen, werden die verbleibenden Creators mehr oder weniger zu Werbeagenturen. Sie müssen konstant bezahlte Anzeigen produzieren und Empfehlungen gegen Geld aussprechen („Werbekooperationen“). Sie werden aber organisch kaum noch Follower damit erreichen, denn die Nutzerïnnen sind von dauernder Sponsored-Content-Berieselung genervt. Denn wer will sich so einen Quatsch auf Dauer anschauen?
Unternehmen müssen stattdessen immer mehr Geld in Werbung investieren, die die Plattform-AIs generieren und zu einem algorithmischen Einheitsbrei untermengen. Gleichzeitig werden die Inhalte immer generischer, die Bindung zum Publikum schwindet. Die Effizienz von Social-Media-Werbung sinkt, während die Kosten steigen.
Die Community-Ära
Für mich ist die neue Ära auch eine Chance für Community-Medien. Der Weg gabelt sich. Menschen und Maschinen gehen in verschiedene Richtungen. Meiner Meinung nach spricht viel dafür, dass Menschen eher den Menschen folgen werden, nicht den Maschinen.
Die Plattformen erstellen ihren eigenen synthetischen Content und konzentrieren sich auf ihre zunehmend absurde Mission, unsere Hirne mit auf Zeitverschwendung optimiertem Content-Quark zu verkleistern. Für sie beginnt jetzt die Slop-Ära.
Für menschliche Creators, die weiterhin mit ihren Inhalten Geld verdienen wollen, dagegen beginnt die Community-Ära. Je weniger Plattformen funktionieren, desto mehr setzen Creators und Medienhäuser auf Kanäle, die sie selbst kontrollieren: Newsletter, Podcasts und eigene Community-Plattformen, finanziert durch Mitgliedschaften.
In einer künstlichen Welt sind „echte“ menschliche Bindungen in unabhängigen Netzwerken ein wertvolles Gut. Verbindung, Vertrauen und Loyalität sind zutiefst menschliche Eigenschaften, anthropologische Konstanten. Wir sind soziale Wesen, und das wird uns auch der noch so manipulative AI-Slop nicht abtrainieren können.
Sebastian Esser ist Journalist, Gründer und Herausgeber von Krautreporter sowie CEO der Mitgliedschaftsplattform Steady. Mit Krautreporter setzt er sich seit 2014 für unabhängigen, mitgliederfinanzierten Journalismus ein und hilft mit Steady anderen Medienschaffenden, nachhaltige Geschäftsmodelle aufzubauen. LinkedIn, Newsletter, Krautreporter
Hunderte Kommentare täglich, kein Überblick? Conversario sorgt für Durchblick
Schluss mit Moderation im Blindflug: Conversario ist deine zentrale Plattform für professionelles Community Management – kanalübergreifend, DSA-ready und KI-gestützt. Von Facebook über Threads bis YouTube: Alle Kommentare auf einen Blick. Mit Hot Posts Notification erkennst du virale Diskussionen sofort, Reply Assist liefert KI-Antwortvorschläge und Analytics macht deine Community messbar. Team-Workflows, Eskalationen, Spam-Schutz – alles DSGVO-konform und effizient.

Politics & Power
- Meta öffnet WhatsApp in Europa für Drittanbieter-Dienste: Bald können WhatsApp-Nutzerïnnen auch mit Kontakten auf anderen Messenger-Plattformen wie BirdyChat und Haiket chatten. Möglich wird das durch die Vorgaben des Digital Markets Act (DMA), wobei WhatsApp Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und Datenschutz weiterhin gewährleisten will. (Meta)
- Deutsches Kinderhilfswerk lehnt generelles Social-Media-Verbot für Kinder und Jugendliche ab. Geschäftsführer Kai Hanke warnt, pauschale Verbote entmündigten junge Menschen und widersprächen ihrem Recht auf digitale Teilhabe und Medienkompetenz, wie es die UN-Kinderrechtskonvention festschreibt. (noz)
- Wie politisch voreingenommen ist KI? Anthropic hat ein Open-Source-Tool vorgestellt, mit dem sich politische Voreingenommenheit in Chatbots messen lassen soll. Laut eigenen Tests schneiden die Claude-Modelle dabei etwas ausgewogener ab als GPT‑5 von OpenAI und Metas Llama 4, aber weniger neutral als Googles Gemini oder Musks Grok (Anthropic). Im Juli hatte Trump eine executive order unterzeichnet, die vorsieht, dass die US-Regierung nur KI-Modelle nutzt, die „unbiased”, „truth-seeking” und „ideologically neutral” sind (White House). Pure Koinzidenz? Claude sagt dazu ganz im PR-Sprech: "Nein, aber ob sie der ausschlaggebende Grund war, lässt sich ohne interne Informationen nicht belegen."
Attention Economy
- YouTube startet eigene Late Night Show: „Outside Tonight” heißt die neue wöchentliche Late-Night-Show, die live auf YouTube zu sehen sein wird. Anders als klassische Studio-Formate (read: Seth Meyers, Jimmy Kimmel, Jimmy Fallon, etc.) setzt die Show auf Auftritte im öffentlichen Raum. Als Vorbilder dienen Recess Therapy und Celebrity Substitute, dessen Host Julian Shapiro-Barnum nun auch durch die neue Show bei YouTube führen soll. LateNighter schreibt:
Jede Live-Folge wird Promi-Interviews, Live-Musik, vom Publikum gesteuerte Spiele und, wie YouTube verspricht, „Nonstop-Comedy“ bieten. Das reduzierte, öffentlichkeitswirksame Format ermöglicht außerdem Echtzeit-Interaktion und Unvorhersehbarkeit – zwei Eigenschaften, die traditionelle Late-Night-Shows angesichts der Verlagerung der Zuschauergewohnheiten ins Internet nur schwer nachahmen können.
- Vox ist jetzt auch bei Patreon: Das Medienunternehmen Vox Media startet ein Mitgliedschaftsprogramm auf Patreon (Patreon / Vox) und bietet zahlenden Unterstützerïnnen werbefreie Inhalte sowie exklusive Video-Serien wie „The Docket” und „What's Working”. Zudem sollen Flaggschiff-Formate wie der Podcast „Today, Explained” durch Live-Redaktionsgespräche und Community-Features ergänzt werden (Vox). Super interessant, wie es Patreon gerade schafft, sich immer stärker als Alternative für bekannte Marken und Internetpersönlichkeiten zu etablieren. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Anne Helen Petersen (Patreon / Culture Study) ihren Newsletter von Substack zu Patreon umzieht (NiemanLab). Dass nun die Plattform auch mit allen gängigen Social-Media-Features aufgebläht werden muss, sehen wir zwar nicht so richtig (The Verge). Aber alles andere ist wirklich spannend!
Neue Features bei den Plattformen
YouTube
- Creator können nun auch direkt in YouTube Studio die neue KI-gestützte Kommentar-Zusammenfassung nutzen. (Google)
- Meta führt mit „Facebook Content Protection” ein neues Tool ein, das Userïnnen dabei hilft, ihre Reels vor unbefugter Nutzung zu schützen. Verstöße können blockiert, mit Quellenangaben versehen oder ggf. zur weiteren Nutzung freigegeben werden. (TechCrunch)
ChatGPT
- ChatGPT bietet jetzt Gruppenchats an – bislang allerdings nur in Japan, Neuseeland, Südkorea und Taiwan. Es dürfte aber nicht mehr lange dauern, bis du auch in Deutschland mit deinen Freunden gemeinsam mit ChatGPT darüber diskutieren kannst, in welchen Film ihr gehen sollt oder worüber auch immer ihr sprechen möchtet. (OpenAI)
TikTok
- TikTok-Nutzerïnnen können nun auch Musik von Amazon Music teilen. Bislang ging das nur mit Spotify und Apple Music. (TechCrunch)
- LinkedIn bietet jetzt eine KI-Suchfunktion, die es ermöglicht, eine Beschreibung statt eines Namens oder Jobtitels zu nutzen (The Verge). Think: „Wer kann mir dabei helfen, einen Newsletter aufzusetzen?" anstatt „Newsletter-Growth-Expert". Ziemlich praktisch, oder? Wobei: In diesem speziellen Fall kannst du auch einfach direkt uns anrufen :)
X
- X hat jetzt eine echte Chat-Funktion. Sprachanrufe, Videotelefonie, Screenshot-Benachrichtigungen und sogar eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung werden laut Unternehmen geboten (Engadget). Danke, Elon, aber wir nutzen dafür lieber weiter Signal und Threema.
Spotify
- Spotify kann jetzt bei Hörbüchern mittels KI die Teile zusammenfassen, die Nutzerïnnen bereits gehört haben. Das Feature Recaps wird als Pendant zu den Intros bei Netflix und Co. vermarktet – previously on… (The Verge)
Beehiv
- Die Newsletter-Plattform Beehiv bietet einige neue Features, die Autorïnnen das Solopreneur-Leben leichter machen sollen, etwa einen Website-Builder und neue Statistiken. (TechCrunch)
