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Facebooks Moonshot hebt nicht ab, Kampf gegen das Coronavirus, Jack Dorsey wird seinen Job behalten

Salut und herzlich Willkommen zur 622. Ausgabe des Social Media Briefings. Heute erklären wir, warum Facebook seinen ambitionierten Versuch, eine eigene Währung zu schaffen, wohl nochmal gründlich überdenken muss. Und ganz ohne Corona-Content kommen wir natürlich auch nicht aus. Aus dem hoffentlich virenfreien Homeoffice grüßen: Martin & Simon

Libra: Facebooks Moonshot hebt nicht ab

Was ist: Facebook ändert bei seiner Digitalwährung Libra den Kurs. Nutzerïnnen sollen nicht nur in Libra bezahlen, sondern auch US-Dollar, Euro und andere Währungen in ihren Wallet laden können. Außerdem verschiebt sich der Start abermals um mehrere Monate, nun peilt Facebook Oktober an – allerdings nur in ausgewählten Regionen.

Zuerst hatte The Information darüber berichtet, kurz danach zog Bloomberg nach. Wer kein Abo hat, kann bei The Verge nachlesen.

Moment, Libra? In Briefing #556 haben wir erklärt, was Libra ist (keine echte Kryptowährung), was Calibra ist (ein Wallet, um mit Libra zu bezahlen), was Facebook damit bezweckt und warum das Projekt so großes Risiko birgt.

Warum das wichtig ist: Libra war und ist eines der (über)ambitioniertesten Projekte in Facebooks Firmengeschichte. Das Potenzial ist gewaltig, aber das gilt auch für die Hürden und Probleme, die Facebook überwinden muss.

Offenbar hat es Facebooks Blockchain-Chef David Marcus bislang nicht geschafft, Regulatorïnnen, Kartellwächterïnnen, Notenbanken und Regierungen von Libra zu überzeugen.

Das ist verständlich: Facebook hat Politik und Gesellschaft fundamental verändert – und zwar nicht nur zum Guten. Das globale Währungs- und Bankensystem ist sein Jahrzehnten relativ stabil. Digitale Disruption könnte mehr durcheinanderbringen als nur ein paar Wechselkurse.

Warum Facebook den Kurs ändert: In den vergangenen Monaten gab es massiven Widerstand gegen Libra. Auf der ganzen Welt äußerten Finanzministerïnnen und Ökonomïnnen Bedenken. Zuckerberg und Marcus mussten vor mehreren Ausschüssen aussagen und konnten die bohrenden Fragen nur unzureichend beantworten.

Dem Projekt drohte harte Regulierung oder gar eine komplette Blockade. Indem Facebook auch andere Währungen integriert, will es Regulatorïnnen besänftigen. Diesen Schritt hatte Marcus bereits Ende 2019 angedeutet.

Was das für Libra bedeutet: Facebook selbst sagt, man stehe weiter vollkommen hinter dem Projekt (Ars Technica). Doch das Vorhaben verliert einiges an Strahlkraft: Viele Menschen, die Facebooks Zahlungsinfrastruktur nutzen wollen, könnten nun doch auf bekannte und bewährte Währungen wie Dollar und Euro zurückgreifen.

Das verlangsamt das Wachstum von Libra und macht die Initiative unattraktiver für Partner, die sich der Libra Association beitreten wollen. Aus einer eigenen Währung könnte eine Mischung aus Stablecoin und PayPal-Klon werden – für Facebook immer noch interessant und potenziell lukrativ, aber längst nicht mehr so faszinierend wie der ursprüngliche Plan.

Wie es mit Libra weitergeht: Bereits im September 2019 schrieben wir in Briefing #580:

In den kommenden Monaten wird viel Überzeugungsarbeit auf Facebook zukommen. Ich halte es für nahezu ausgeschlossen, dass Libra so umgesetzt wird, wie es ursprünglich gedacht war.

Das hat sich bewahrheitet – und das gilt immer noch. Selbst der abgespeckte Status quo garantiert nicht, dass Libra wie geplant im Oktober starten kann. Es gibt immer noch viel Misstrauen und eine Menge regulatorischer Hürden.

Auch wenn bereits etliche wichtige Partner wie Mastercard, Visa, Vodafone und PayPal abgesprungen sind, hat Libra immer noch Potenzial. Nach wie vor sind Unternehmen wie Spotify, Lyft, Shopify und der VC-Investor Andreessen Horowitz dabei – und natürlich Facebook selbst, das drei der größten digitalen Plattformen der Welt kontrolliert.

Be smart: Facebook hat bei Libra mehrere strategische Fehlentscheidungen getroffen. Das ging bereits mit der Ankündigung los. In unserer Libra-Analyse schrieben wir:

„Als Facebook Libra im Juni vorstellte, war es nur ein vages Konzept – wurde aber präsentiert wie ein konkreter Plan. Das war ein schwerer Kommunikationsfehler: Was als Gesprächsangebot gedacht war, wurde öffentlich als Bedrohung wahrgenommen. Statt mit Facebook über Risiken und Nebenwirkungen zu diskutierten, gingen Politikerïnnen und Aufsichtsbehörden in eine Abwehrhaltung.“

Die folgenden Monate zeigten, dass Facebook keinerlei Strategie hatte, wie es mit Libra weitergehen sollte – und auch keine entwickelte. Im Dezember sagte Patrick Ellis, ein führendes Mitglied der Libra Association (Reuters):

„At this stage, there is no strategy set in stone for the markets or the product, or how it will actually get rolled out.“

Das zeigt drei Dinge:

    1. Facebook hat immer noch nicht begriffen, wie stark es seinen Ruf durch fortlaufende Pannen und Skandale beschädigt hat. Nutzerïnnen mag der drölfzigste Datenschutz-Schluckauf nur am Rande interessieren – Politik und Aufsichtsbehörden nehmen das aber sehr wohl wahr.

 

    1. Politikerïnnen haben jahrelang zugesehen, wie Facebook immer mächtiger geworden ist. Jetzt scheinen sie aufgewacht zu sein. Tech-Unternehmen werden es künftig schwerer haben, disruptive Projekte auf den Weg zu bringen, ohne regulatorische Fragen beantworten zu müssen.

 

  1. Facebook-Features, die Datenschutz und Privatsphäre betreffen, brauchen teils Jahre, bis sie Realität werden – und sind dann deutlich weniger mächtiger als ursprünglich versprochen, wie etwa Off-Facebook Activity zeigt (SZ). Doch auch Projekte, von denen Facebook finanziell profitieren könnte, kommen später oder scheitern. Das gilt für die Datingfunktion (Golem) und auch für Libra.

Autor: Simon Hurtz

Kampf gegen das Coronavirus

Wir kennen uns mit Social Media aus. Von Viren und Pandemien verstehen wir nur wenig. Trotzdem kommen wir in diesem Newsletter nicht an dem Thema vorbei, das derzeit alle Schlagzeilen bestimmt.

Vergangene Woche haben wir in Briefing #620 die Infodemic analysiert, die dem Virus hilft, viral zu gehen. Martin hat außerdem im Deutschlandfunk erklärt, wie Facebook und YouTube gegen die Desinformation vorgehen.

An dieser Stelle beschränken wir uns auf Linktipps und einen nachrichtlichen Überblick, wie Sars-CoV-2 Plattformen und digitale Wirtschaft verändert. Kommende Woche gibt es dann vielleicht wieder eine digitale Tangente, die sich tiefer zu analysieren lohnt.

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Autor: Simon Hurtz

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