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Facebook spürt die Risiken und Nebenwirkungen seiner eigenen Größe, neue rechte Medienmacher, Überblick zu QAnon

Facebook spürt die Risiken und Nebenwirkungen seiner eigenen Größe, neue rechte Medienmacher, Überblick zu QAnon

Facebook spürt die Risiken und Nebenwirkungen seiner eigenen Größe

Was ist

In den vergangenen Tagen gab es bei Facebook drei Entwicklungen, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben:

  1. Facebook hat sich dafür entschuldigt, dass die Plattform in Sri Lanka missbraucht wurde, um Gerüchte und Hass zu streuen – mit tödlichen Konsequenzen.
  2. Facebook will 11.250 Content-Moderatorïnnen (CM) insgesamt 35 Millionen Dollar für die Traumata und anderen psychischen Folgeschäden zahlen, die ihre belastende Arbeit hinterlassen hat.
  3. Facebook hat die ersten 20 Mitglieder seines Oversight-Boards bekanntgeben, das eine Mischung aus Aufsichtsrat und Verfassungsgericht darstellen wird.

Wie das zusammenhängt

Alle drei Nachrichten zeigen (erneut): Facebook ist sich selbst über den Kopf gewachsen. Binnen eines Jahrzehnts hat sich das einstige Start-up in die wohl wichtigste globale Kommunikationsplattform verwandelt – erst recht, wenn man WhatsApp und Instagram dazuzählt.

Jede Entwicklung hängt mit dem gigantischen Ausmaß zusammen, das es Facebook schwer macht, die Risiken und Nebenwirkungen seiner eigenen Existenz zu kontrollieren:

  1. Das US-Unternehmen Facebook hat lange zu wenig darauf geachtet, wie Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern seine Dienste nutzen. Diese blinden Flecken haben dazu geführt, dass Extremistïnnen offen zu Gewalt aufrufen konnten, etwa in Indien, Myanmar und eben Sri Lanka.
  2. 2,5 Milliarden Nutzerïnnen hinterlassen leider auch jede Menge Dreck, den CM beseitigen müssen. Das gilt auch für kleinere soziale Netzwerke, doch je größer die Reichweite, desto schwerer die Aufgabe – und niemand ist so groß wie Facebook.
  3. Jahrelang wollte Facebook eine möglichst neutrale Plattform sein und keine Verantwortung für Inhalte übernehmen – teils sogar verständlich, aber zunehmend unmöglich: Der Einberufung des Oversight-Boards liegt die Erkenntnis (und viel öffentlicher Druck) zugrunde, dass Facebooks eigene Community-Standards nicht reichen, dass es externe Kontrolle braucht.

Trotz dieser verbindenden Meta-Ebene wollen wir die Nachrichten separat betrachten und erst im abschließenden Fazit noch einmal auf das große Ganze blicken.

1. Facebooks Rolle in Sri Lanka

We deplore this misuse of our platform. We recognize, and apologize for, the very real human rights impacts that resulted.

2. Facebooks symbolisches Schmerzensgeld

3. Facebooks neue Richterïnnen

Be smart

Zuckerberg sagt, dass Facebooks Größe dazu beitrage (The Verge), bestimmte Probleme wirksamer bekämpfen zu können als kleinere Unternehmen wie Twitter. Das stimmt nur teilweise: Vor allem (manuelle) Content-Moderation wird immer schwerer, je größer eine Plattform ist.

Maschinen werden Menschen in naher Zukunft nicht ersetzen können – vielleicht gelingt es Facebook aber auf eine andere Art und Weise, sich das Problem vom Hals zu schaffen: Vergangenes Jahr hat Zuckerberg seine „Privacy-Focused Vision for Social Networking“ beschrieben.

Demnach verlagert sich Kommunikation zunehmend in geschlossene Räume und verschlüsselte Messenger, wo Moderation unmöglich ist. Facebook will eine gemeinsame, Ende-zu-Ende verschlüsselte Plattform für WhatsApp, den Messenger und Instagrams Direktnachrichten aufbauen. Das ist gut für die Privatsphäre – aber schlecht für alle, die sich mehr Moderation und Kontrolle wünschen.


Kampf gegen Desinformation und Hass

Facebook weitet Faktenprüfung auf Österreich und Schweiz aus: Die dpa, die ja auch in Deutschland für die Faktenchecks mit verantwortlich ist, überprüft ab sofort auch Inhalte aus Österreich und Schweiz (Facebook). Zu Beginn wird die dpa vom Faktencheck-Team der Austria Presse Agentur, bzw. Keystone-SDA unterstützt.

Hateful Memes Challenge: Memes sind ein populäres Format, um Hass und Beleidigungen in sozialen Netzwerken zu streuen. Das Problem bei Memes besteht darin, dass es ungleich schwieriger ist, den Kern der Aussage zu erfassen (was übrigens für Computer und Menschen womöglich gleichermaßen gilt). Während Facebook problematische Text-, Video- und Audio-Inhalte bereits recht gut automatisiert identifizieren kann, bleiben Memes eine echte Herausforderung. Eine Challenge soll nun dabei helfen, Facebooks AI smarter zu machen (AI Facebook).

Neue Labels und Warnhinweise bei Twitter: Twitter hat damit begonnen, „irreführende“ und „umstrittene“ Botschaften zum Coronavirus zu kennzeichnen (Twitter). Dabei arbeitet das Unternehmen mit „vertrauenswürdigen Partnern“ zusammen. Welche Partner das sind, ist bislang nicht bekannt.


Datenschutz-Department

TikToks Umgang mit Inhalten: In Ausgabe #637 haben wir berichtet, dass WeChat auch nicht-chinesische Accounts überwacht. Das Vorgehen, das dabei zum Tragen kommt, war so bislang nicht bekannt. Für uns stellte sich daher die Frage, ob Inhalte der derzeit extrem populären Plattform TikTok womöglich auch dazu genutzt werden, um das Zensursystem der chinesischen Schwesterapp Douyin zu trainieren und aufzubauen. Gudrun Herrmann, Leitung Kommunikation TikTok Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, erklärt hierzu:

Nein. Inhalte auf TikTok werden nicht für derartige Zwecke verwendet. TikTok ist nicht in China verfügbar. Unsere Daten werden in den USA gespeichert mit einem zusätzlichen Backup in Singapur.

Follow the money

Adidas lässt EM digital aus- und via IGTV übertragen: Weil die Fußball Europameisterschaft dieses Jahr bekanntlich ausfallen muss, hat Adidas die EM kurzerhand ins Netz verlegt. In der Türkei wurde das komplette Turnier bei Fifa ausgetragen und via Facebook Live, IGTV und YouTube Live übertragen (Digiday).


Statistiken

Livestream Boom: Die letzten Wochen haben dafür gesorgt, dass die Zahlen bei Twitch, Facebook Gaming und YouTube Live regelrecht explodiert sind. The Verge hat einen Überblick über die wirklich beeindruckenden Zahlen:


Empfehlungen fürs Wochenende

Die neuen rechten Medienmacher: Die Kollegïnnen von Rabiat haben für die ARD eine spannende Dokumentation zum Thema neue rechte Medienmacher gedreht. In 44 Minuten gehen sie der Frage nach, wer die Produzenten sind und wie die Distribution der Inhalte funktioniert. Da ist selbst für die aufmerksamsten Watchblog-Leserïnnen noch viel drin – absolute Guck-Empfehlung! Nicht zuletzt, weil man erfährt, wie ernst es die rechten Akteure meinen – offen ausgesprochene Drohungen gegenüber den Reporterïnnen inklusive:

Solltet ihr es so zurecht schneiden, dass es gegen mich verwendet werden kann, was ich gesagt habe, (…) dann wird euch irgendwann der Blitz beim Scheißen treffen.

Umfassender Überblick zu QAnon: In den vergangenen Tagen war wieder einmal viel von QAnon die Rede. Was es damit auf sich hat, welche Rolle Donald Trump bei dieser Verschwörungsideologie spielt und warum QAnon für einige fast schon religiöse Züge annimmt, erklärt Adrienne LAFrance in einem beeindruckenden Longread für The Atlantic: The Prophecies of Q – American conspiracy theories are entering a dangerous new phase. Der Text ist übrigens auch als Audioversion verfügbar.

What I came to learn is that QAnon isn’t just a dangerous conspiracy theory. We are witnessing the birth of a new religion. And we are likely closer to the beginning of its story than the end.


Neue Features bei den Plattformen

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Header-Foto von United Nations COVID-19 Response bei Unsplash