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10 Min. Lesezeit Twitter/X

DSA vs. X: Die EU muss Musk die Stirn bieten

Die Zensurvorwürfe von Elon Musk und der halben US-Regierung sind absurd. Jetzt zeigt sich, was der DSA wert ist.

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Was ist

Die EU hat mit einem eher banalen Verwaltungsakt eine Flut an politischen Reaktionen ausgelöst. Am Freitag verhängte sie eine Geldbuße in Höhe von 120 Millionen Euro gegen X. Die Plattform ist der erste Dienst, der bestraft wird, weil er gegen die Vorgaben des europäischen Digital Services Act (DSA) verstößt.

Seitdem wüten Elon Musk und hochrangige Republikaner gegen die EU. Obwohl die Strafe nicht das Geringste mit Inhalten oder Politik zu tun hat, schwadronieren sie von Zensur und fordern die Abschaffung der EU.

Wir erklären den Anlass, ordnen die Reaktionen ein und werfen einen Blick in die Zukunft. Denn gegen X laufen weitere Verfahren – und die wirklich heiklen Entscheidungen kommen noch. Zunächst möchten wir die aktuellen Ereignisse aber in einen größeren politischen Kontext stellen.

Warum das wichtig ist

Die anlasslose Empörung aus den USA zeigt, dass digitale Regulierung geopolitische Auswirkungen hat. Donald Trump behauptet seit seiner Amtsübernahme, die EU wolle mit ihren Digitalgesetzen gezielt Konzernen aus dem Silicon Valley schaden und die Meinungsfreiheit im Netz einschränken.

Der DSA und sein wettbewerbsrechtliches Pendant, der Digital Markets Act (DMA), tauchen immer wieder als Argumente im Zollstreit auf. Wenn die EU ihre Regulierung entschärfe, werde man womöglich Zölle senken, versprechen die USA.

Anfang des Jahres schwenkte auch Meta-Chef Mark Zuckerberg voll auf Trump-Linie ein (SMWB). Unter anderem kündigte er an, gemeinsam mit der US-Regierung gegen „Zensur“ im Netz zu kämpfen. Als Beispiele nannte er explizit China und die EU.

Mit den tatsächlichen Vorgaben des DSA hat das wenig zu tun. Die Verordnung schreibt Plattformen nicht vor, was genau sie löschen müssen. Die Unternehmen müssen nur regelmäßige Transparenzberichte veröffentlichen und nachweisen, dass sie in der Lage sind, in angemessener Zeit auf illegale Inhalte zu reagieren.

Seit Monaten versucht sich die EU an einem heiklen Balanceakt:

Wie schwierig das ist, zeigte sich bereits im April. Damals schrieben wir über DMA-Sanktionen gegen Apple und Meta, die in den USA zu ähnlicher Schnappatmung führten wie die Strafe gegen X (SMWB):

Die EU wollte offenbar erst warten, bis der hitzige Zollstreit etwas abkühlt, und dann möglichst wenig Öl ins Feuer gießen. Das ist nur bedingt gelungen. (…) Ein Sprecher nannte die Entscheidung „ökonomische Erpressung“, die man nicht dulden werde. Die Digitalgesetze der EU ermöglichten Zensur, das fasse man als direkten Angriff auf eine freie Zivilgesellschaft auf.

Wir schlossen mit einem düsteren Ausblick:

Die beiden DMA-Verfahren gegen Apple und Meta sind erst der Anfang. Aktuell laufen zehn Untersuchungen auf Grundlage des DSA, unter anderem ein Verfahren gegen X. (…) Wenn die US-Regierung bereits die milden Maßnahmen gegen Meta als Affront empfindet, möchte man sich gar nicht vorstellen, wie die Reaktion ausfällt, falls Musks Unternehmen bestraft werden sollte.

Diese Befürchtungen haben sich leider bewahrheitet.

Wie X gegen den DSA verstößt

Nach zweijährigen Ermittlungen hat die EU-Kommission drei Verstöße festgestellt:

  1. X täuscht Nutzerïnnen mit dem irreführenden Design der blauen Haken (SMWB). Das Symbol suggeriert Authentizität. Tatsächlich kann man sich das Abzeichen aber einfach kaufen. Das machen sich Scammer, Kriminelle und Betreiberïnnen von Botnetzen zunutze (Cory Doctorow).
  2. X schafft nicht die erforderliche Transparenz bei Werbung. Es gibt zwar ein Anzeigenarchiv, das aber nicht richtig funktioniert. Das erschwert es, herauszufinden, wer welche Werbung geschaltet hat.
  3. X hindert Forschende daran, auf öffentlich zugängliche Daten zuzugreifen. Der DSA schreibt diesen Zugang unter bestimmten Auflagen vor. Dabei geht es nicht um interne Informationen, sondern nur um Schnittstellen für unabhängige Forschung. Musk hatte vor der Übernahme immer wieder behauptet, wie wichtig ihm Transparenz sei – jetzt möchte er nichts mehr davon wissen.

Für diese drei Verstöße muss X 120 Millionen Euro Strafe zahlen. Die Geldbuße beträgt rund 4,5 Prozent des Jahresumsatzes, bis zu sechs Prozent wären möglich gewesen.

Inhaltlich sind die Vorwürfe seit Langem bekannt und gut dokumentiert. Im Juli informierte die Kommission das Unternehmen über die vorläufigen Ergebnisse der Ermittlungen. X hätte also genügend Zeit gehabt, um zu reagieren und die Mängel zu beheben.

Wie Musk und die USA reagieren

Wir sind es leid, uns an Musk abzuarbeiten. Seine Behauptungen sind so offensichtlich entkoppelt von der Realität, dass man ihnen zu viel Gewicht gibt, wenn man sie ausführlich dekonstruiert. Das Gleiche gilt für die Polit-Propaganda, die aus der US-Regierung kommt.

Deshalb fassen wir uns kurz:

Wir möchten die wichtigste Botschaft wiederholen, damit sie in der politischen Posse nicht untergeht:

Für ausführlichere Analysen verweisen wir auf zwei geschätzte Expertïnnen:

Wie es weitergeht

Nach dem Bußgeld hat die EU zwei Fristen gesetzt:

Nimmt man Musks Reaktion zum Maßstab, wird X die Forderungen wohl kaum umsetzen. Dann könnte die EU weitere Geldbußen verhängen oder die Plattform komplett sperren.

Zudem laufen weitere Ermittlungen gegen X, die sich um die Empfehlungssysteme der Plattform und mögliche politische Manipulation drehen. Wenn X und die USA bereits die aktuelle Strafe als Zensur bezeichnen, werden sie die zusätzlichen Verfahren erst recht skandalisieren.

Warum die EU standhaft bleiben muss

Die ersten Äußerungen aus Brüssel klingen entschlossen. EU-Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera sagte etwa, die EU werde sich nicht einschüchtern lassen und Regulierung weiter konsequent durchsetzen (Bloomberg).

Das klingt gut, wird aber eine große Herausforderung. Die Reaktionen von Musk und der US-Politik dürften nur ein Vorgeschmack gewesen sein. Neben den Verfahren gegen X laufen weitere Ermittlungen gegen fast alle großen Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley.

Jede Entscheidung, die kein kompletter Freispruch ist, wird die Trump-Regierung zum Anlass nehmen, mit neuen Zöllen zu drohen. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA zeigt deutlich, mit welcher Verachtung große Teile der Republikaner auf Europa und die EU blicken (ZDF).

Kurzfristig mag es einfacher sein, die Eskalation zu vermeiden und klein beizugeben. Langfristig führt das zur Selbstaufgabe. Kompromisse lassen sich nur schließen, wenn das Gegenüber zu einem Kompromiss bereit ist.

Trump hat daran nicht das geringste Interesse. Genau wie Putin ist er ein Bully. Er möchte das Maximum für sich herausschlagen und fühlt sich an seine Zusagen nicht gebunden.

Natürlich sitzen wir nicht am Verhandlungstisch und haben leicht reden. Aber zumindest von unserem Schreibtisch aus wünschen wir uns, dass die EU die digitalen Grundrechte ihrer Bürgerïnnen verteidigt.

Denn ungeachtet lästiger Cookie-Banner: Digitalregulierung wirkt. Dank der EU können Menschen weltweit ihre Daten von Plattformen herunterladen und löschen lassen. Es gibt Auskunftsrechte und sinnvolle Standards wie USB-C.

Erst gestern gab Meta dem Druck der EU-Kommission nach. Von Januar 2026 an sollen Nutzerïnnen besser entscheiden können, ob mehr oder weniger Daten für personalisierte Werbung weitergegeben werden (Golem). Solche Erfolge gehen bei all der Aufregung leicht unter.

Be smart

Vor mehr als einem Jahr schrieben wir (SMWB):

Elon Musk ist extrem reich, extrem mächtig und extrem rechts. Das macht ihn zu einer Gefahr für die liberale Demokratie.

Wir wünschten uns:

Falls du noch auf X aktiv sein solltest oder Unternehmenskanäle betreust, die dort posten, dann ist der Zeitpunkt gekommen, um diese Präsenz zu hinterfragen. Je mehr Menschen sich zurückziehen, desto schwächer wird der Netzwerkeffekt und desto weniger Gründe haben die Verbliebenen, dort noch länger zu posten.

Kurz danach nannten wir sieben Gründe, warum Politik und Medien X verlassen sollten (SMWB). Diese Argumente sind nach wie vor aktuell. Beim Zentrum für Digitalrechte und Demokratie liefern Jasmin Ehbauer und Markus Beckedahl weitere Gründe, X den Rücken zu kehren.

Das gilt neben der EU-Kommission auch für die Bundesregierung. Das Bündnis Save Social hat deshalb eine Petition gestartet (Campact):

Die Bundesregierung und ihre Behörden sollen X sofort verlassen und ihre Social-Media-Kommunikation auf offene, gemeinwohlorientierte Plattformen verlagern. Unterstützen Sie die Europäische Kommission darin, Recht und Gesetz auch gegenüber US-amerikanischen Plattformen durchzusetzen.

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