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Digitales Lagerfeuer, Facebooks Regulierungsvorschläge, Instagram "größer" als Facebook

Salut und herzlich Willkommen zur 616. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute beschäftigen wir uns mit der Frage, warum Messenger, Micro-Communities und „Shared Experiences“ derzeit bei jungen Menschen so boomen. Ferner blicken wir auf Zuckerbergs Vorschläge, wie Facebook reguliert werden sollte und auf eine bemerkenswerte Studie zu den Top-50-Marken bei Facebook und Instagram. Wir bedanken uns für das Interesse an unserem Angebot und wünschen eine gewinnbringende Lektüre, Simon, Tilman und Martin 💛

Digitales Lagerfeuer: Warum Messenger, Micro-Communities und Shared Experiences boomen

Was ist: Die Zeit, die Menschen mit Social-Media-Angeboten verbringen, steigt weltweit.¹ Und auch die Plattformen selbst wachsen – mit Blick auf den Umsatz und auch hinsichtlich der Nutzerzahlen.² Soweit alles bekannt. Wer allerdings etwas tiefer gräbt, bekommt ein wesentlich nuancierteres Bild. Denn junge Menschen sind für diese Steigerungen nur bedingt verantwortlich. Sie versammeln sich nämlich zunehmend lieber um digitale Lagerfeuer. Genauer gesagt boomen derzeit…

Was genau hat sich verändert?

Warum ist das so?

Die drei Arten des digitalen Lagerfeuers: Für das Harvard Business Review hat Sara Wilson drei Kategorien herausgearbeitet, um den Trend besser zu beschreiben:

Be smart: Wer junge Menschen erreichen möchte, muss auch darum kämpfen, einen Platz am digitalen Lagerfeuer einnehmen zu dürfen. Das kann über verschiedene Strategien funktionieren:

¹ Digital Trends 2020 (The Next Web)
² FB Q4 Earnings, Twitter Q4 Earnings, Snap Q4 Earnings
³ Es handelt sich dabei natürlich nur um eine gefühlte Privatsphäre – es findet weiterhin alles im Vorgarten von Mark Zuckerberg und Co statt.
⁴ Das Folio Mag hat einen spannenden Artikel zum Thema veröffentlicht: Publishers Share Their Social Distribution Secrets.

Facebook schlägt vor, wie Facebook reguliert werden soll

Was ist: „Ich glaube, dass schädliche Inhalte reguliert werden sollten“, sagte Mark Zuckerberg auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende (Reuters). Einen Tag später veröffentlichte die Financial Times sein Op-ed „Big Tech needs more regulation„, das später auch in Facebooks Newsroom erscheint.

Was noch ist: Facebook fordert nicht nur Regulierung von Inhalten – es skizziert auch, wie diese aussehen könnte. Parallel zu Zuckerbergs Vorstoß stellte Facebook ein 22-seitiges Whitepaper ins Netz (PDF). Monika Bickert, die für Content Policy zuständig ist, fast die Eckpunkte in Facebooks Newsroom zusammen.

Warum das wichtig ist: Der Inhalt des Whitepapers ist weder besonders konkret noch besonders überraschend. „Ich sehe nicht viel Neues“, sagt etwa Renée DiResta, die am Stanford Internet Observatory forscht (Protocol). Die Vorschläge bündelten nur, was ohnehin seit mehreren Jahren diskutiert werde.

Wir fassen das Paper natürlich trotzdem kompakt zusammen. Davor erklären wir aber, welche Strategie Facebook mit den Vorschlägen verfolgt – denn die ist mindestens genauso interessant wie der Inhalt.

Was dahintersteckt:

Die Botschaft lautet also nicht: „Bitte reguliert uns!“ Was Zuckerberg tatsächlich sagt: „Bitte reguliert uns – und zwar so, wie wir das für sinnvoll halten.“

Im aktuellen Whitepaper wird das deutsche NetzDG nicht explizit erwähnt. Dennoch sieht Juraprofessorin Kate Klonick darin eine eindeutige Reaktion auf die deutsche Gesetzgebung (Protocol). Seit 2017 drohen Plattformen Bußgelder, wenn sie strafbare Inhalte nicht oder zu langsam löschen. Facebook will verhindern, dass andere Staaten solche Gesetze adaptieren.

Was Facebook vorschlägt: Bickert formuliert vier Herausforderungen, die Content-Moderation so schwierig machen:

    1. Plattformen agieren global, Gesetze gelten nur national.

 

    1. Plattformen verändern sich dynamisch und sind sehr unterschiedlich. Je nach Medium können Normen und Werte stark voneinander abweichen.

 

    1. Plattformen werden unweigerlich Fehler machen. Angesichts der Masse an Entscheidungen ist es unmöglich, dass Menschen und Maschinen immer richtig liegen.

 

  1. Plattformen sind Intermediäre und keine Urheber. Sie geben Nutzerïnnen eine Bühne, produzieren aber keine Inhalte. Deshalb sollten sie anders behandelt werden als etwa Verlage, die unmittelbar für alles verantwortlich sind, was auf ihrer Webseite veröffentlicht wird.

Daraus leitet Bickert vier Fragen ab:

    1. Wie kann Content-Regulierung schädliche Inhalte begrenzen und gleichzeitig Redefreiheit gewährleisten?

 

    1. Wie sollte Regulierung die Verantwortlichkeit von Internet-Plattformen stärken?

 

    1. Sollte Regulierung von Unternehmen verlangen, bestimmte Leistungsvorgaben einzuhalten? Ein Beispiel: Nach 24 Stunden müssen strafbare Inhalte gelöscht sein.

 

  1. Sollte Regulierung definieren, welche konkreten schädlichen Inhalte auf Internet-Plattformen verboten werden?

Einige zentrale Punkte, die Bickert macht:

Wie die Reaktionen ausfallen: Sehr gemischt. Aus der Tech-Branche kommt teils Zustimmung. Nick Pickles, bei Twitter für Public Policy Strategy zuständig, dankt Facebook in einem Twitter-Thread für das Whitepaper und nennt es einen wichtigen Beitrag zur Debatte über Tech-Regulierung.

Die EU-Kommission, die Zuckerberg am Montag besuchte, lehnt den Vorstoß dagegen ab (Politico). Nur einen Tag nach Zuckerbergs Op-ed in der FT forderte George Soros den Facebook-Chef und seine Stellvertreterin Sheryl Sandberg zum Rücktritt auf. Und auch das Editorial Board der Zeitung nennt Facebooks Vorschläge „zu schwach„.

Noch drastischer drückt es Chris Pedigo von der Verleger-Lobbyvereinigung Digital Content Next aus. Facebook halte sich nicht an bereits existierende Regulierungen wie die DSGVO, und Zuckerberg gehe es mit dem Vorstoß nur darum, die Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten von Facebook zu minimieren.

Be smart: Es gibt keine perfekte Content-Moderation, und es wird sie niemals geben. Es ist gut, dass sich Facebook mit Vorschlägen einbringt. Was Bickert schreibt, mag vor allem den Status quo der aktuellen Diskussion abbilden, statt revolutionäre neue Ideen zu formulieren – das entwertet das Whitepaper aber nicht.

Auch Evelyn Douek, die an der Harvard Law School zu Content Moderation und Regulierung forscht, hält Bickerts Vorschläge für substanziell und ausgewogen (Lawfareblog): „Die Fragen und Sorgen, die Facebook aufwirft, sind real und kompliziert, und Regulatorïnnen sollten sie ernst nehmen“, schreibt Douek in ihrer Analyse.

Zwei Aspekte fehlen jedoch völlig:

    1. Facebooks umstrittener, weil ausgesprochen freigiebiger Umgang mit politischer Werbung taucht an keiner Stelle auf. Politikerïnnen dürfen bezahlte Lügen verbreiten, weil ihnen Facebook qua Amt Sonderrechte einräumt und nahezu unbegrenzte Redefreiheit gewährt.

 

  1. Zuckerberg selbst sagt: „Die Zukunft ist privat.“ Kommunikation verlagert sich, wie oben beschrieben, immer mehr in geschlossene Räume und auf verschlüsselte Messenger. Wie soll dort moderiert werden? Hofft Facebook, dass das Problem der Content-Moderation verschwindet, weil bald alle Nutzerinnen Ende-zu-Ende-verschlüsselt miteinander chatten? Ein 22-seitiges Whitepaper hätte diese gewaltige Herausforderung zumindest andeuten können.

Know more:

Kampf gegen Desinformation

Australien hat 17 Millionen Facebook-Userïnnen und 7 Fact Checker: Keine Pointe. (BuzzFeed News)

Instagram größer als Facebook (jedenfalls in dieser Untersuchung)

Was ist: Socialbakers hat sich die Top-50-Marken auf Facebook und Instagram angeschaut und dabei spannende Beobachtungen gemacht – z.B. verzeichnen die Top-50-Marken auf Instagram zum ersten Mal eine größere Audience als auf Facebook.

Weitere Key-Takeaways im Überblick:

Read on: Social Media Trends Report Q4 (Google Drive)

Schon einmal im Briefing davon gehört

Instagram ohne Werbung: Instagram-Boss Adam Mosseri hat die Tage in einem Q&A auf Instagram verraten, dass es Nutzerïnnen gibt, die nicht eine einzige Anzeige zu sehen bekommen. Instagram möchte damit prüfen, welche Effekte Werbung, respektive das Weglassen von Werbung auf die Nutzerïnnen hat. Unser heißer Tipp: Seelenfrieden!

Empfehlungen

The original renegade: Ja, wir verlinken hier viel zu oft Stories von Taylor Lorenz. Völlig klar. Aber dieser Text über eine 14-jährige Tänzerin ist ein wunderschönes Beispiel für die gnadenlose Remix-Kultur im Internet und die Frage, ob Urheber bestimmer Trends, Memes, Dance-Moves im Social-Media-Zeitalter auch nur annähernd adäquat honoriert werden. Übrigens hat zwar Lorenz für ihren Text extrem viel Aufmerksamkeit bekommen, ein ganz ähnlicher Text ist aber bereits 10 Tage vorher bei Vox erschienen. 🤷‍♂️

Yuval Noah Harari & Tristan Harris haben sich zu einem ziemlichen Dreamteam entwickelt. In diesem Talk, der am Rande des Weltwirtschaftforums in Davos stattgefunden hat, sprechen die beiden über ‚Wahrheitszerfall und technologische Bedrohungen‘ – sehr, sehr spannend und defintiv die 45 Minuten wert. Hier ist das YouTube-Video der Veranstaltung.

Vice prüft zensierte Wörter bei YT-Stars: Es gibt bei YouTube in der Kommentarfunktion die Option, bestimmte Wörter auf eine schwarze Liste zu setzen. Das ist z.B. sinnvoll, um das Posten von Telefonnummern, Adressen oder beleidigende Kommentaren zu unterbinden. Das Feature ist eigentlich nicht dafür gedacht, Kritik zu unterbinden.

Neue Features bei den Plattformen

Facebook

Spotify

Twitter

TikTok

Tipps, Tricks und Apps

YouTube Primer: Wer gerade erst damit beginnt, YouTube professionell zu nutzen, kann sich für einen sauberen Start gut an dieser Checkliste von Buzzsumo orientieren.

Pikaso: Instagram besteht ja zu einem Großteil aus Twitter-Screenshots. Weil das meistens ziemlich hässlich ist, hat jemand die App Pikaso programmiert, mit der sich Tweets sauber screenshotten lassen. Wäre vielleicht auch was für Twitter selbst, deren Account ja bekanntermaßen ebenfalls nur aus Twitter-Screenshots besteht. LOL.

Header-Foto von Danny Feng bei Unsplash