Was ist
Jahrestage und Jubiläen dienen Medien oft als Anlass, um Themen zu setzen. Den meisten Menschen sind runde Zahlen aber egal. Für Leserïnnen zählt nur: Ist das eine gute Geschichte? Deshalb wollten wir zunächst gar nicht weiter darauf eingehen, dass wir heute unsere tausendste Ausgabe verschicken.
Nun haben wir uns aber doch entschieden, kein gewöhnliches Briefing zu schreiben. Schließlich sind wir auch kein gewöhnliches Medium, sondern leben ausschließlich von unseren Abonnentïnnen – von Menschen wie dir. Deshalb hoffen wir, dass dich ein kurzer Blick hinter die Kulissen vielleicht doch interessiert.
Wir möchten dich aber nicht mit Nabelschau und Selbstbeweihräucherung langweilen. Auch wenn die meisten unserer Takes recht gut gealtert sind: Nichts ist so alt wie der Newsletter von gestern. Statt einer Rückschau auf die vergangenen zwölf Jahre konzentrieren wir uns auf Gegenwart und Zukunft.
Was uns antreibt
Wir sagen es offen: Nicht jeder Newsletter macht Spaß. Wenn sich am Morgen des Briefings eine dreistellige Zahl an Links angehäuft hat und wir auf Dutzende Tabs mit Texten starren, die wir lesen, sortieren und zusammenfassen müssen, fluchen wir innerlich.
Neben dieser kurzfristigen Überforderung gab es immer wieder Phasen, in denen wir das Gefühl hatten, dass wir uns leer geschrieben haben. Social Media und Big Tech wirkten auserzählt. Zwar geschah täglich Neues, aber die grundlegenden Dynamiken, Strukturen und Probleme blieben gleich:
- Eine Handvoll Konzerne kontrolliert große Teile des Netzes und schreibt die Regeln für die digitale Kommunikation von Milliarden Menschen.
- Diese Machtkonzentration ist hochproblematisch, aber die meisten Regulierungsversuche zementieren nur den Status quo.
- Soziale Netzwerke dienen in ihrer Anfangszeit den Nutzerïnnen, dann den Werbekunden und schließlich nur noch ihren Betreibern.
- Niemand ist richtig glücklich, aber irgendwie haben sich alle mit Aufmerksamkeitsökonomie, Plattformkapitalismus und Enshittification abgefunden.
Auch TikTok war letztlich nur das Gleiche in Chinesisch. Immer wieder fielen in unseren Telefonaten Sätze wie: "Aber das ist doch alles nicht neu. Haben wir schon in Ausgabe 612, 759 und 878 ausführlich analysiert. Müssen wir das wirklich nochmal aufschreiben?"
Zwei Dinge haben dazu beigetragen, dass wir zuletzt wieder seltener gezweifelt haben. Zum einen verändert generative KI nicht nur Social Media, sondern alle Gesellschaftsbereiche. Wie bei jeder neuen Technologie geht das mit übertriebenen Heilsversprechen, apokalyptischen Warnungen sowie einer Reihe ganz realer Chancen und Risiken einher. Die kurzfristigen Auswirkungen werden überschätzt, die langfristigen unterschätzt. Wir sehen es als unsere Aufgabe, diese Entwicklungen nüchtern zu beschreiben und einzuordnen.
Zum anderen hat das vergangene halbe Jahr unsere schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Wir warnen seit mehr als einem Jahrzehnt, dass (…)
- zentrale Kommunikationsinfrastruktur nicht in die Hände von Milliardären gehört
- kein Mensch so viel Einfluss haben sollte wie Mark Zuckerberg, der bei Meta fast alles allein entscheiden kann
- Konzerne Umsatz fast immer höher priorisieren als Moral
- Personen wie Elon Musk gefährlicher sind als russische Desinformation
- Medien Geschäftsmodelle entwickeln müssen, die unabhängig von Plattformen funktionieren
- soziale Netzwerke das Konzept von Öffentlichkeit und einen Grundkonsens über Fakten und Realität erodieren lassen.
Spätestens der US-Wahlkampf verdeutlichte, dass sich hypothetische Szenarien in Realität verwandelt hatten. Der reichste Mensch der Welt nutzte seine beispiellose ökonomische, publizistische und politische Macht, um einem verurteilten Straftäter den Weg ins Weiße Haus zu ebnen. Natürlich ist Musks Unterstützung nicht der einzige Grund für Trumps Wahlsieg, doch X und die Hunderten Millionen Dollar für den Wahlkampf waren zwei wichtige Werkzeuge der Kampagne.
Musk steht dabei für eine Strömung im Silicon Valley, die in den kommenden vier Jahren massiven Einfluss auf Trumps Politik nehmen wird. Rechtslibertäre Gründer und Investoren wie Marc Andreessen, Peter Thiel und David Sacks kämpfen erbittert gegen jede Form von Regulierung. Ihre Demokratieverachtung hat autokratische bis faschistische Züge angenommen. Mit Trump haben sie den idealen Verbündeten gefunden, um unter dem Deckmantel von Bürokratieabbau und Freiheit die demokratischen Institutionen der USA zu entmachten.
Seit Kurzem möchte auch Zuckerberg mitmischen. Ob er aus Opportunismus oder Überzeugung handelt, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Was zählt, ist das Ergebnis: Meta unterwirft sich Trump, der damit noch vor seinem Amtsantritt maßgeblichen Einfluss auf Facebook, Instagram, Threads und X nimmt.
Zuckerberg erhofft sich davon mehrere Dinge:
- In den USA droht Meta an mehreren Fronten Ärger. Unter anderem läuft ein Kartellverfahren der FTC und eine Klage von Trump, der sich gerichtlich gegen die Sperrung seines Kontos wehrte. Zudem beschweren sich Republikaner fast täglich über angebliche "Zensur". Noch im Wahlkampf sprach Trump davon, Zuckerberg ins Gefängnis zu stecken. All diese Probleme ließen sich lösen, wenn es Zuckerberg gelingt, Trump zu besänftigen.
- Trump hat mehrfach gesagt, dass er TikTok vor einem Verbot retten werde. Der wichtigste Grund für seinen Sinneswandel: Facebook sei der "wahre Feind des Volkes", von einem Verbot profitiere in erster Linie "Zuckerschmuck". Was aber, wenn Zuckerberg plötzlich gar kein Feind mehr ist, sondern ein Freund? Vielleicht überlegt es sich Trump dann erneut anders und sieht dabei zu, wie Metas größter Konkurrent aus dem wichtigsten Markt verschwindet.
- In der EU sollen DMA und DSA die Macht von Big Tech eindämmen. Die beiden Digitalgesetze verpflichten große Plattformen zu Transparenz, verlangen wirksame Moderationsstrukturen und geben Nutzerïnnen ein Beschwerderecht. Für Zuckerberg ist das, natürlich, "Zensur". Jetzt setzt er darauf, dass Trump geopolitischen Druck auf die EU ausübt und Regulierung von US-Konzernen verhindert.
Auf den Rechtsruck im Weißen Haus folgt damit eine tektonische Machtverschiebung im Netz. Meta verwandelt sich in eine MAGA-Plattform, Zuckerberg bewirbt sich mit Nachdruck um einen Ehrenplatz im Ring der Broligarchen.
Am Morgen nach der Wahl schrieb Musk auf X: "You are the media now". Er meinte das als Verheißung, wir empfinden es als Drohung. Unfassbar mächtige, reiche und rechte Männer arbeiten gemeinsam an der Abschaffung der Demokratie, verbreiten Verschwörungserzählungen und schüren Ressentiments gegen Medien und Politik. Damit sind sie erschreckend erfolgreich.
Zuckerberg drängt auf Deregulierung, Musk mischt sich aktiv in Wahlkämpfe ein. Das Gespräch mit Alice Weidel wird nicht der letzte Versuch gewesen sein, Einfluss auf den Ausgang der Bundestagswahl zu nehmen. Auch Deutschland wird den Einfluss der US-Broligarchen zu spüren bekommen.
Einerseits erschüttern uns diese Ereignisse. Andererseits zeigen sie, dass man Demokratie und ein ziviles Miteinander immer wieder neu verteidigen muss. Natürlich ändert unser Newsletter nichts am Zustand der Welt – aber wenn unsere Analysen dazu beitragen, dass ein paar Hundert Menschen etwas besser verstehen, was gerade geschieht, dann haben wir das Gefühl, dass unsere Arbeit einen Sinn hat.
Warum wir dankbar sind
Wir sind aus zwei Gründen sehr privilegiert:
- Erstens haben wir einen Beruf, der sich den Großteil der Zeit anfühlt wie eine Berufung. Das macht uns froh.
- Zweitens können wir auch noch davon leben, weil Tausende Menschen dafür zahlen, dass wir ihnen Newsletter schicken. Das macht uns dankbar.
Im Alltag vergessen wir oft, wie außergewöhnlich dieses Projekt ist. Zwischen Orga, Umsatzsteuer und Deadlines geht unter, dass es eben nicht selbstverständlich ist, dass wir komplett unabhängig und ausschließlich finanziert von unseren Leserïnnen arbeiten können.
Deshalb müssen wir einander immer wieder gegenseitig daran erinnern, einen Schritt zurückzutreten, wenn einer von uns beiden mal wieder genervt und überfordert ist. Wir leben den Traum vieler freier Journalistïnnen, sind gleichzeitig unsere eigenen Chefs und haben vergleichsweise große finanzielle Sicherheit. Das ist ein großes Glück.
Gleichzeitig spüren wir, dass wir wohl keine weiteren 1000 Ausgaben in dieser Form verschicken werden. Das vergangene Jahr war für viele Medien finanziell schwierig, und auch wir haben die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf unsere Abozahlen gesehen.
Das Social Media Watchblog steht weiter auf einem soliden Fundament, aber 2025 ist es an der Zeit für frischen Wind. Wir haben Ideen für neue Formate und Projekte, die wir in den kommenden Monaten ausprobieren möchten.
An unserem grundlegenden Versprechen wird sich aber bis auf Weiteres nichts ändern: Wir erklären dir zweimal pro Woche, was rundum Social Media und KI passiert – und was das bedeutet. Unser Anspruch: Wenn du unser Briefing liest, erfährst du nicht nur alles, was wichtig ist – sondern verstehst es auch.
Wir sagen von Herzen danke, dass du uns auf unserer Reise begleitet hast und hoffen, dass du weiter mit an Bord bleibst. Ohne die Unterstützung von dir und vielen anderen wunderbaren Menschen wäre dieses Projekt nicht möglich.
Meta goes MAGA
Eine Woche ist Zuckerbergs Kniefall vor Trump nun her. Was seitdem geschah:
- Zuckerberg lässt in einem dreistündigen Podcast bei Joe Rogan mal so richtig Dampf ab und erklärt, dass die westliche Gesellschaft, insbesondere die amerikanischen Unternehmen, „entmannt“ und „kastriert“ worden seien. Zudem fordert er eine „männlichere Präsenz“ in den USA und in den Unternehmen. Auch „die“ Medien und die EU kriegen ihr Fett weg. (YouTube / PowerfulJRE)
- Werbetreibende zeigen sich irritiert. Dass es zu weniger Buchungen kommt, muss Meta aber sicher nicht befürchten. (Financial Times)
- Zuckerbergs Video im Faktencheck: Oh, da haben sich wohl bei Zuckerbergs Video-Statement ein paar Fehler eingeschlichen. Zum Glück gibt es Faktenchecks. Welche Ironie! (NiemanLab)
- Meta beendet Diversity-Programm: Amazon folgt Metas Beispiel und distanziert sich ebenfalls von einigen Vorhaben, die mehr Gleichberechtigung zum Ziel hatten. (TechCrunch, The Information)
- Meta löscht Trans- und Non-Binary-Messenger-Themes und alle Blogposts, auf denen ihre Einführung einst stolz angekündigt wurden. (404 Media)
- Angestellte protestieren gegen Metas Pläne: Vor allem die neuen Anti-LGBTQ-Richtlinien sorgen für Protest. (404 Media)
- Drosselt Meta Links zu Fediverse-Alternativen? Es gibt ernstzunehmende Hinweise darauf. (Heise)
Unser aktueller Deep Dive zum Thema:

TikTok Verbot
Diesen Sonntag könnte ein Gesetz in Kraft treten, das TikTok vor die Wahl stellt: Verkaufen oder verboten werden. Hier die aktuellsten Entwicklungen im Überblick:
- Anhörung beim Supreme Court: Es sieht nicht danach aus, dass der Supreme Court das TikTok-Verbot stoppt. (Vox)
- Zwar wünscht sich Donald Trump weiter einen Aufschub des Verbots, Expertïnnen sind sich aber unsicher, wie er das Verbot noch kippen könnte. (Washington Post)
- Ein TikTok-Verbot wird daher immer wahrscheinlicher — Überraschungen auf den letzten Metern nicht ausgeschlossen. (Wired, Vox)
- Frank McCourts Project Liberty hat bei ByteDance ein Angebot eingereicht, um TikToks US-Geschäft zu übernehmen. (Reuters)
- Musk soll ebenfalls als potenzieller Käufer im Gespräch sein. Jedenfalls ist davon bei Bloomberg zu lesen. Wir glauben jedoch nicht, dass es dazu kommt. ByteDance hat die Meldung auch bereits als „pure Fiktion“ zurückgewiesen (Variety). Luca Hammer nennt gute Gründe, warum eine Übernahme durch Musk unwahrscheinlich erscheint (social.luca.run).
- Welche Auswirkungen ein TikTok-Verbot für US-User tatsächlich hätte, ist nicht mit einem Satz erzählt. Es ist ja nicht so, dass die App von heute auf morgen nicht mehr funktionieren würde. Wired und Washington Post erklären, wie sich das Verbot auswirken könnte.
- TikToks herunterladen: Triller bringt sich bereits seit einiger Zeit in Stellung, TikToks Nachfolger zu werden. Nun hat das Unternehmen eine App gelauncht, mit der Nutzerïnnen ihre TikTok-Videos herunterladen können: SaveMyTikToks.com
- Tausende US-Nutzerïnnen testen derweil Xiaohongshu - auch bekannt als "Little Red Book" - und Lemon8 als mögliche TikTok-Nachfolger. Es handelt sich dabei ebenfalls um Apps mit chinesischem Hintergrund. Lemon8 stammt sogar aus dem Hause ByteDance. (Süddeutsche, Washington Post, Wired)
- Auch YouTube und Instagram stehen hoch im Kurs als mögliche TikTok-Nachfolger. Zumindest ist das die Hoffnung vieler TikToker… (CNBC)
Unser aktueller Deep Dive zum Thema:

Social Media & Politik
- Massen-X-Odus: Mehr als 60 Hochschulen verlassen in einer konzertierten Aktion die Plattform X. (Netzpolitik)
- Indien: Journalisten setzen immer häufiger auf YouTube, weil Premier Modi der freien Presse den Kampf angesagt hat. (Rest of World)
- Mastodon wird europäische Non-Profit: Nachdem Mastodon die Gemeinnützigkeit in Deutschland entzogen wurde, verpasst sich das dezentrale soziale Netzwerk eine neue Struktur und wird zur europäischen Non-Profit. (Mastodon)
Follow the money
- Video-Editing-App Captions führt Freemium-Modell ein: Mit Blick auf das drohende TikTok-Verbot stellt Captions eine kostenfreie Version zur Verfügung. Bislang war die App kostenpflichtig und damit nur bedingt konkurrenzfähig mit CapCut und TikTok. (Techcrunch)
- X: 8 Dollar pro Signup? Müssen neue X-Nutzerïnnen künftig acht Dollar zahlen, um einen neuen Account zu erstellen? (Fortune) Nein.
UPDATE, 15.1.2025: Fortune hat den Bericht mittlerweile zurückgezogen. Anstelle des Artikels heißt es nun:
CORRECTION: On January 9, Fortune published an article titled “Elon Musk is pushing to remove dates from X posts and planning new $8 sign up fee.” After publication, Fortune learned that a source that was central to this story had intentionally misled our reporter over a series of exchanges. The sourcing and story do not meet our editorial standards, and the story has been deleted. We apologize to readers and to Mr. Musk and employees of X.
Danke Armin für den Hinweis in den Kommentaren.
- "Free our Feeds" will auf Grundlage von Blueskys AT Protocol ein offenes Social-Media-Ökosystem bauen, das sicher vor der Einflussnahme von Milliardären ist. In den kommenden Jahren sollen dafür rund 30 Millionen Dollar eingesammelt werden. Die Initiatorïnnen und Unterstützer klingen vielversprechend. (freeourfeeds.com)
Neue Features bei den Plattformen
YouTube
- Fortan können alle YouTuber-User Shorts mit einer Gesamtlänge von drei Minuten hochladen. (Social Media Today)
TikTok
- TikTok-User können nun über TikToks Studio-App Videos planen. (Social Media Today)
X
- B̵e̵i̵ ̵X̵ ̵k̵ö̵n̵n̵t̵e̵n̵ ̵k̵ü̵n̵f̵t̵i̵g̵ ̵d̵i̵e̵ ̵Z̵e̵i̵t̵a̵n̵g̵a̵b̵e̵n̵ ̵w̵e̵g̵f̵a̵l̵l̵e̵n̵. KORREKTUR s.o.
- Parodie-Accounts bekommen bei X jetzt ein entsprechendes Label. (Techcrunch)